Absteiger Schalke 04 Glück auf!

Schalke bringt selbst einen Weltstar wie Raúl zum Haareraufen
Foto: Bernd König / imago imagesDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Noch einmal zeigt der FC Schalke 04 allen, welch Traditionsverein er ist. Abgestiegen ist er an diesem Abend ausgerechnet gegen Arminia Bielefeld. Schalke 04 gegen Arminia Bielefeld, das war die Partie, die vor exakt 50 Jahren, im April 1971, den Bundesliga-Skandal auslöste, ein Fußball-Erdbeben, das vor einem halben Jahrhundert den Verein schon einmal an den Rand der Selbstzerstörung brachte.
Man kann es noch weiterführen: Vor 30 Jahren ist der FC Schalke aus der 2. Liga aufgestiegen, in die er jetzt wieder zurückmuss, vor 20 Jahren hatte der FC Schalke für vier Minuten endlich sein großes Ziel, die Deutsche Meisterschaft, erreicht, bevor er dann doch wieder zum Meister der Herzen degradiert wurde. Und vor zehn Jahren, im April 2011, erreichte der Klub unter Trainer Ralf Rangnick sensationell und mit einem rauschhaften 5:2 bei Inter Mailand das Halbfinale der Champions League. Schalke im Halbfinale der Champions League. So unglaublich, wie das klingt, war das damals gar nicht.

Der Jahrhunderttrainer und der Fleischmogul
Foto: Team2 / imago imagesChampions League, Rangnick, die Vergangenheit – im Grund hat man damit schon genug Versatzstücke parat, mit denen man den fast beispiellosen Niedergang dieses Vereins beschreiben kann. Der FC Schalke, dieser ruhmreiche Klub, der Verein, der sich vor einem Jahrzehnt noch die Verpflichtung des Weltstars Raúl glaubte erlauben zu können – dieser Verein ist in relativ kurzer Zeit so am Boden zerstört, wie man es nur ganz selten mitansehen muss. Sportlich, finanziell, ein Haufen Asche. Ein Trauerspiel in Königsblau.
Eine trostlose Truppe in einem trostlosen Stadion
Jetzt verlässt der Klub die Bundesliga, und niemand hat ernsthaft daran Zweifel, wie verdient dieser Abstieg ist. Eine fußballerisch trostlose Truppe in einer trostlos leeren Schalker Arena, gecoacht von fünf Trainern innerhalb eines Jahres: David Wagner, Manuel Baum, Huub Stevens, Christian Gross, Dimitrios Grammozis. Zwei Siege aus 30 Spielen, meine Güte, eine Bilanz, bei der man absteigen MUSS.
Dazu diese demütigenden Vergleiche mit Tasmania, die der Verein auszuhalten hatte, die Investorengruppe, die Ralf Rangnick zum Messias stilisieren wollte und die nach ein paar Tagen wieder in der Versenkung verschwand. Natürlich. Schalkefans sind leidensfähig, aber irgendwann ist ein Punkt erreicht, bei dem das Erträgliche zum Unerträglichen wird. In der Spielzeit 2020/2021 wurde dieser Punkt regelmäßig überschritten.

Schalke gegen Bielefeld 1971 – ein Auslöser des Bundesligaskandals
Foto: Werner Otto / imago imagesDass dieser Verein jetzt die Bundesliga verlässt in aller Ungewissheit, ob und wann er zurückkehren wird, kann niemanden froh machen. Nicht einmal die Fans des Erzrivalen Borussia Dortmund, die ab jetzt auf ihr Derby, den eigentlichen Höhepunkt des jährlichen Fußballkalenders im Revier, verzichten müssen. Schalke 04 ist Ursuppe der Fußball-Bundesliga. Es wäre übertrieben zu sagen, ein Schalker Abstieg reißt der Liga das Herz hinaus, aber ein oder zwei Finger werden schon abgehackt. Mindestens.
Der Sonnenkönig Günter Eichberg, der Fleischmogul Clemens Tönnies, der Volkstribun Charly Neumann, Rudi Assauer mit seinem Zigarrenstumpen, Huub Stevens, der Jahrhunderttrainer und seine Eurofighter, was für Typen, Folklore des Fußballs. Und gleichzeitig Figuren in all ihrer Ambivalenz, sie trugen gleichzeitig zum Glanz wie zum Elend des Vereins bei, der eine mehr, der andere weniger. Zwischen Größenwahn und Ruhrpottscholle, zwischen Raúl und Bentaleb. Schalke hat immer geschillert, es tut es sogar noch im kompletten Scheitern.

Stumpen-Rudi Assauer und Huub Stevens
Foto: Sven Simon / imago imagesAuf Schalke war man sich immer bewusst, wie besonders dieser Verein ist, und vielleicht war und ist gerade dies das Fatale. Ein ganz normaler Klub zu sein, sich auch mal über Jahre mit dem Mittelfeld begnügen, das reichte den Tönnies' und Eichbergs nie. Schalke wollte mitmischen mit den Großen, mindestens mit Borussia Dortmund sowieso. Als Clemens Tönnies vor fünf Jahren Christian Heidel aus Mainz nach Schalke holte, bekam der neue Manager Prokura. Geld ist dazu da, es auszugeben. Letztlich war der Verein da schon zum Niedergang verurteilt.
Immer wieder der Malocher-Klub
Am 19. Dezember 2018 kam es in der Arena auf Schalke zu einem Moment, den wahrscheinlich keiner vergisst, der dabei war. Der Bergbau im Ruhrgebiet verabschiedete sich endgültig, eine mehr als 100 Jahre alte Geschichte ging zu Ende, die auch die Geschichte des FC Schalke war. Das Flutlicht ging an diesem Abend aus, Knicklichter, Wunderkerzen und Feuerzeuge von 60.000 Menschen sorgte stattdessen für die Beleuchtung.
Auf dem Rasen, auf dem anschließend Schalke gegen Leverkusen spielen sollten, stand der Bergmannschor zwischen den Mannschaften, und den Offiziellen und sang das Steigerlied. Clemens Tönnies stand daneben und sang mit Inbrunst mit. Kitsch? Malocher-Marketing? Vielleicht auch. Aber viel mehr. Es war ein Augenblick, in dem alles zusammenkam, was Schalke 04 ausmacht. Wer keine Träne im Auge hatte, war kein Schalker. Ein emotionaler Höhepunkt. Und gleichzeitig ein Abschied.
Es war, als hätten die Kumpel an diesem Abend nicht nur den Steinkohlebergbau, sondern auch den FC Schalke zu Grabe getragen. Danach ging es nur noch bergab. Hinunter bis zur letzten Sohle. Schlagende Wetter. Der Verein zahlt jetzt die Zeche.
Glück auf, der Absteiger kommt. Glück auf, Schalke 04.