Mailänder Stadtderby Inter schaut nach oben, Milan nur zurück

Spieler von Milan (rote Trikots) und Inter (blau): Es war einmal ein Spitzenspiel
Foto:MARCO BERTORELLO/ AFP
Das Mailänder Derby wird "Derby della Madonnina" genannt, in Anlehnung an die goldene Madonnenstatue auf dem Turm des Doms. Die Madonnina blickt allerdings längst pikiert auf die beiden Klubs hinab, auf Internazionale und die AC. Während Juventus Turin seit acht Jahren den italienischen Fußball beherrscht wie keine Mannschaft zuvor, haben die Mailänder Klubs den Sprung in die Moderne verpasst.
Der eine, Inter, wähnt sich mittlerweile wieder auf einem vielversprechenden Weg. Dem anderen aber scheint die Vision zu fehlen, wie er zurückfinden kann in die Spitze des italienischen Fußballs. Und selbst diese war dem AC Mailand einmal zu klein gewesen.
Milans langjähriger Eigentümer Silvio Berlusconi verkaufte die AC 2017 nach 29 Trophäen in 31 Jahren, drei Jahre zuvor hatte Massimo Moratti mit der Bilanz 16 Titel in 19 Jahren als Inter-Patron aufgegeben. "Massimo und ich haben Nachfolger in Italien gesucht, doch hier kann sich niemand mehr die Konkurrenz gegen Paris Saint-Germain und Konsorten leisten", sagte Berlusconi damals. Da hatte er offenbar noch die Weltspitze des Fußballs im Blick. Mittlerweile geht es für die Rossoneri darum, nach sechs Jahren überhaupt wieder in die Champions League zu kommen.
"San Siro wird das Wohnzimmer der Champions League bleiben"
Das klassische italienische Mäzenatentum langt nicht mehr für die Weltspitze. Berlusconi investierte über die Jahre insgesamt 900 Millionen Euro in die AC. Bei Moratti waren es 1,2 Milliarden Euro. Beide schienen mit ihrer Art der Klubführung auf Siege aus zu sein, darunter litt die wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Das führte im Fall Berlusconis dazu, dass ihn etwa die Familie ausbremste; er solle sein Geld nicht in den Klub versenken.
Sportlich aber resultierten daraus zwischen 2003 und 2010 vier Champions-League-Finals mit Beteiligung zumindest einer Mailänder Mannschaft. Von Milans damaligem Manager Adriano Galliani ist mit Blick auf das Mailänder Stadion ein vollmundiger Satz überliefert: "San Siro wird auf Jahre das Wohnzimmer der Champions League bleiben". Wie man sich irren kann.
Im April 2017 hatte der chinesische Unternehmer Li Yonghong den Klub von Berlusconis Fininvest für 516 Millionen Euro übernommen, doch nach nur 15 Monaten war seine Zeit bei der AC vorbei. Sie war geprägt von versäumten Zahlungen und teuren Fehleinkäufen. Seither führt der US-amerikanische Hedgefonds Elliott den Klub.

Milans Zlatan Ibrahimovic Ende Januar im Pokal gegen Torino
Foto:Antonio Calanni/ dpa
Das Unternehmen hatte angekündigt, Milan binnen weniger Jahre für 1,2 Milliarden Euro wieder abstoßen zu wollen. Die Summe scheint aktuell absurd hoch. In puncto Umsatz fehlt die stagnierende AC in den europäischen Top 20. Vor 15 Jahren lag sie fast gleichauf mit Real Madrid. Jetzt trennen beide Klubs rund 550 Millionen Euro.
Die einstige Grandezza ist dahin. Milan schien das ändern zu wollen, indem alte Größen zurückgeholt wurden. Klublegende Paolo Maldini und Zvonimir Boban sind heute Sportverantwortliche. Gleich mehrfach wurden Ex-Spieler zum Cheftrainer gemacht, doch weder Leonardo, Clarence Seedorf, Filippo Inzaghi noch Gennaro Gattuso brachten nachhaltigen Erfolg.
Kürzlich vermeldete die "Bild" , die AC stehe vor einer Verpflichtung von Leipzigs Ralf Rangnick für die kommende Saison - als Trainer und Sportdirektor. Das wäre ein Impuls von außen, der zum Klub passen könnte. Doch Milan dementierte umgehend.
Kurzfristig soll es der mittlerweile 38-jährige Zlatan Ibrahimovic richten, den der Klub gerade für den Sturm verpflichtete. Ibrahimovic war Schlüsselspieler in Milans bislang letzter Meistersaison 2011. In den fünf Einsätzen seit seiner Rückkehr erzielte er immerhin zwei Tore. Doch für die Champions League müssten wohl viele hinzukommen. Milan fehlen aktuell zehn Punkte auf Platz vier.
Der Rückstand auf Inter beträgt sogar 19 Punkte.
Dem Rivalen mit den schwarz-blauen Farben ist ein Tief wie das Milans nicht unbekannt. Auf den größten Erfolg der Vereinsgeschichte, das Triple 2010 unter Trainer José Mourinho, folgten bei Inter triste Jahre. Elf Trainer und drei Besitzer kamen und gingen. 2016 übernahm die chinesische Suning Holdings Group den Klub. Suning-Chef Zhang Jindong installierte Sohn Steven vor Ort, in dreieinhalb Jahren investierte das Unternehmen 441 Millionen Euro in den Verein.
Inter sagt Abo-Meister Juventus den Kampf an
Wo Milan das Konzept zu fehlen scheint, hat Inter eine Vision. Etliche Sponsoren wurden angeworben, der Klub engagiert sich stark auf dem chinesischen Markt und versucht dort Anhänger zu gewinnen und seine Einnahmen zu steigern. Tatsächlich stieg der Umsatz in den vergangenen Jahren von 207 auf 377 Millionen Euro.
Sportlich aber geht es bei Inter langsamer voran. Acht Jahre in Folge verpasste man die ersten drei Ligaplätze. In dieser Saison scheint der Klub erstmals ernsthaft mit den Turinern konkurrieren zu können. Etwa 180 Millionen Euro gab Inter für Spitzenfußballer wie Romelu Lukaku (Manchester United) oder Christian Eriksen (Tottenham) aus.
Auch in anderen Positionen setzt Inter weniger auf ehemalige Größen. Erfolgstrainer Antonio Conte kam im Sommer, eine Inter-Vergangenheit hat er nicht. Auch ihm ist es zu verdanken, dass der Klub Zweiter ist, drei Punkte hinter Juventus. Mit einem Derbysieg am Abend über Milan (20.45 Uhr, Stream: Dazn, Liveticker auf spiegel.de) könnte Inter nach Punkten gleichziehen, der erste Titel seit 2011 ist möglich. Zum propagierten Slogan "Inter gehört aufs Dach der Welt" (Steven Zhang) benötigt der Klub allerdings noch etliche Stockwerke. In der Champions League scheiterte man kürzlich in der Gruppenphase an Dortmund und Barcelona.
Am Abend wird noch im traditionsreichen San Siro angepfiffen. In naher Zukunft soll das Derby dann in einer neuen Arena ausgetragen werden. Für das neue Mailänder Stadionprojekt wollen beide Klubs jeweils 600 Millionen Euro bereitstellen. Es ist ein Schritt in die Moderne, der zu Mailand passt. Zumindest zu einem seiner beiden Klubs.