Sicherheit bei der Fußball-EM Lächeln!

Die erste EM-Woche ist vorbei, und abseits vom Sport ist da vor allem: ein ungutes Gefühl. Hooligans jagen friedliche Fans, die Polizei wirkt überfordert - wie sicher ist das Turnier?
Kontrollen in Paris

Kontrollen in Paris

Foto: Abedin Taherkenareh/ dpa

Rafael Buschmann
Évian, Paris u.a.

Ob in Paris, Évian, Lille, Toulouse oder Lens - man merkt den Menschen an, dass sie sich über dieses Fußballfest freuen. Wer in Kneipen die Abendspiele schaut, kann ausgelassene Menschen jeden Alters und Nationalität sehen. Sie trinken, sie singen und sie feiern zusammen. Nur der viele Regen trübt die Stimmung. Die Sorgen, ob vor Terror, Hooligans oder den Folgen der Streikkämpfe, merkt man ihnen nicht an. Wenn die Franzosen schimpfen, dann eher auf die Präsenz hochgerüsteter Polizisten auf den Straßen, vor den Bahnhöfen, Stadien oder Flughäfen. Sie wollen, so scheint es, nach den Monaten der Trauer nach dem Terror endlich Abstand vom Thema Sicherheit.

Leider ist das eine Illusion: Nachdem einige wenige Irre, die sich selbst Hooligans nennen, in den Straßen von Marseille, Nizza und Lille prügelten und jagten, sieht man wieder viel mehr Polizei auf den Straßen, mit schweren Gewehren und Helmen. Sie patrouillieren zu zweit, zu dritt durch Metrostationen und am Ufer der Seine. Sie grüßen oft freundlich.

Die Kontrollen an Flughäfen sind genauso rigoros wie im Stadion. Auch, wenn nicht jede Tasche, nicht jeder Rucksack, nicht jeder Ein- oder Ausgang kontrolliert werden kann. Aber wie soll das auch gehen? Wie soll totale Sicherheit funktionieren? Und wollen wir das wirklich?

Irland-Fan mit Polizisten in Paris

Irland-Fan mit Polizisten in Paris

Foto: PATRICK KOVARIK/ AFP

Christoph Ruf
Paris

Alle Spiele, bei denen ich bisher war, waren fröhliche Veranstaltungen. Vor dem Spiel und danach durchmischten sich die Fangruppen in der Stadt, sie sangen ihre Lieder, machten sich übereinander lustig oder tranken zusammen. Und die Pariser? Lachten mit. Es ist also so wie es fast immer ist, wenn eine Europa- oder Weltmeisterschaft ist.

Aber es gibt auch etwas zu meckern: Die einzelnen Stadionbereiche sind wahnsinnig schlecht beschildert, um die Kompetenz der Ordner ist es dafür, habe ich den Eindruck, eher überdurchschnittlich gut bestellt. Das spricht aber nicht nur für die Ordner, sondern gegen den Durchschnitt. Das Wetter ist schlechter ist als üblich.

Wir leben in unsicheren Zeiten. Und keine Grenzkontrolle der Welt, keine Hundertschaft Polizei wird es verhindern können, wenn ein fanatisiertes Hirn einen Mord plant. Aber wenn es beruhigt: Sie sind da, die Ordner und die Polizisten - oft im Hintergrund, aber überall auf den Anfahrtswegen zum Stadion, im Stadionumfeld, auch jetzt gerade in der Metro.

Doch die Polizisten hier wirken nicht bedrohlich, sie grüßen freundlich, sie helfen bei Fragen mit einem Lächeln weiter. Die französischen flics schaffen also einen Spagat, indem sie zeigen, dass sich Wachsamkeit und Freundlichkeit nicht ausschließen müssen. Und das ist nicht das Einzige, was hier eigentlich ziemlich gut läuft. Vielleicht wollen es viele einfach nur nicht hören?

DFB-Teamquartier in Évian

DFB-Teamquartier in Évian

Foto: Alexander Hassenstein/ Bongarts/Getty Images

Peter Ahrens
Évian, Paris u.a.

Wer bei der Fußball-EM Verhältnisse wie in einem Polizeistaat erwartet hat, hat sich geirrt. Die Überwachungen der Sicherheitskräfte halten sich zumindest im öffentlichen Raum im Rahmen dessen, was man von solchen Großereignissen kennt. Es wird nicht schärfer, mehr oder intensiver kontrolliert als zum Beispiel bei den Olympischen Spielen in London 2012. Das gilt auch für die Flughäfen und Bahnhöfe.

Stattdessen stellt man sogar eine gewisse Lässigkeit fest, die in Nachlässigkeit kippt. So werden die Journalisten, wenn sie zum Spiel fahren, nur sehr unzureichend überprüft. Beim Deutschlandspiel gegen die Ukraine in Lille wurde zwar der Kofferraum gecheckt und die Tasche des Fahrers durchsucht. Dass der Beifahrer jedoch auch mehrere Taschen dabei hatte, wurde großzügig übersehen. Ein Kollege berichtet, dass er zu Fuß ins Parkhaus des Stadions von Lyon gegangen sei. Die Autos seien kontrolliert worden, er als Fußgänger dagegen unbehelligt durchgewinkt.

Intensiver sind schon die Security-Leute beim deutschen EM-Quartier in Évian. Trotz Akkreditierung und trotz des Umstandes, dass täglich die gleichen Journalisten ins Pressezentrum kommen, werden die Kontrollen auch beim vierten und fünften Mal noch akribisch durchgezogen. Man muss den Inhalt der Jackentaschen ausleeren, und man wird relativ gründlich abgetastet.

Fans vor dem Stade Geoffroy-Guichard, Saint-Étienne

Fans vor dem Stade Geoffroy-Guichard, Saint-Étienne

Foto: Kai Pfaffenbach/ REUTERS

Hendrik Buchheister
Lyon, Saint-Étienne

In Lyon und Saint-Étienne waren die bisherigen Spiele sehr ruhig, die Sicherheitssysteme wurden nicht auf die Probe gestellt. In Lyon liegt das Stadion etwas außerhalb der Stadt, es hat nur einen Hauptzugang. Die Fans beider Teams sind bei der Anreise mit der Straßenbahn und vor dem Stadion kaum zu trennen. Die Straßenbahnen werden nicht von Ordnern begleitet, soweit das zu sehen war.

In Saint-Étienne liegt die Fanzone mitten in der Stadt, die Straßenbahn zum Stadion fährt hindurch. Isländer und Portugiesen haben vor dem Spiel friedlich zusammen gefeiert. Polizisten und Soldaten waren kaum zu sehen. Die Innenstadt ist weniger verwinkelt als die in Marseille, es gibt mehrere offene Plätze. Interessant wird es werden, wenn die Engländer für das Spiel gegen die Slowakei am Montag in Saint-Étienne einfallen.

Journalisten werden grundsätzlich sehr genau kontrolliert. Taschen werden gescannt, Computer müssen ausgepackt werden. Es ist wie bei einer Sicherheitsschleuse am Flughafen. Auch Ordner und Volunteers werden abgetastet, wenn sie ihren Dienst antreten. Wie schon beim Spiel der Russen gegen England in Marseille kam auch bei Portugal gegen Island in Saint-Étienne Pyrotechnik ins Stadion. Nach dem portugiesischen Führungstor explodierte im Portugal-Block ein Böller, eine Fackel flackerte. Mehrere Ordner waren sofort am Ort des Geschehens.

Ausschreitungen im Stadion von Marseille

Ausschreitungen im Stadion von Marseille

Foto: Lars Baron/ Getty Images

Lukas Rilke
Marseille, Nizza, Toulouse

Zur Sicherheit in Marseille ist schon alles gesagt und geschrieben worden, Schuldzuweisungen gab es mehr als Schiffe im Alten Hafen, dem Schauplatz der Krawalle. Keinen Vorwurf machen kann man Marseille, wenn es um die Organisation geht. Auch Stadionbesucher, denen die Reisestrapazen oder der Alkohol den Kopf haben abschlaffen lassen, haben keine Probleme: In den Metro-Stationen weisen große Aufkleber auf dem Boden den richtigen Weg. Gleich zwei Haltestellen sind in unmittelbarer Nähe des Stade Vélodrome gelegen, Busse fahren auch regelmäßig und selbst mit den zahlreichen Stadträdern kommt man gut zu den Spielen und wieder zurück.

Bei Korruption hören die Probleme um das Allianz-Riviera-Stadion in Nizza noch nicht auf. Es liegt im Industrie-Nirgendwo, rund eine Stunde braucht das Bus-Shuttle vom Stadion bis in die Innenstadt. Wobei "vom Stadion" nicht ganz richtig ist: Vom Haupteingang der Arena zu den Shuttle-Haltestellen war man rund eine halbe Stunde zu Fuß unterwegs, was besonders ältere Besucher ärgerte und zwei Lehrerinnen, die mit ihren Schülern einer siebten Klasse unterwegs waren. 13 und 14-Jährige im Gedränge zwischen mehreren Tausend Fans im Auge zu behalten - kein einfacher Job.

Eine Trennung der Fans fand nicht statt und wäre mit dem Polizeiaufkommen vor Ort auch nicht möglich gewesen, vielleicht 50 Beamte sicherten den Abmarsch der Fans. Polen und Nordiren blieben friedlich. Auch die kommenden EM-Gäste, Spanier und Türken, Schweden und Belgier, gelten nicht als Problemfans. Im Achtelfinale könnte sich das ändern: Dann spielt der Zweite der Gruppe F (Österreich, Ungarn, Island, Portugal) gegen den Zweiten aus der Gruppe B mit England.

Polizisten der Spezialeinheit RAID, Lille

Polizisten der Spezialeinheit RAID, Lille

Foto: PASCAL ROSSIGNOL/ REUTERS

Daniel Theweleit
Lille

Die erhöhte Anspannung in Lille lässt sich an kleinen Details beobachten. Bei der Abholung der Akkreditierung wurde ich eine Dreiviertelstunde aufgehalten, weil in der Uefa-Datei Freiburg "in" Breisgau statt wie auf dem Ausweis Freiburg "im" Breisgau als Geburtsort stand - ein kleiner Tippfehler. Nach ausführlicher polizeilicher Prüfung wurde das Zugangsdokument zum Stadion dann "nur provisorisch" ausgestellt.

Rund um die Spiele auf den höheren Gebäuden in Stadionnähe sind schwarz gekleidete Männer zu sehen, die das Geschehen beobachten. Es kursiert das Gerücht, dass es sich um Scharfschützen handle. Ansonsten verlaufen die Einlassprüfungen ähnlich wie bei den Turnieren der vergangen Jahre: Taschen werden durchsucht, Körper abgetastet, die Gründlichkeit leidet angesichts des Massenandrangs.

Noch verletzlicher als das Stadion ist aber die Innenstadt. Dort war vor dem Spiel der Deutschen gegen die Ukraine keine erhöhte Polizeipräsenz sichtbar, was angesichts des bedrohlichen Hooligan-Aufmarsches auf den ersten Blick fahrlässig erscheinen mag. Aber vielleicht trug die Abwesenheit gepanzerter Polizeieinheiten am Ende auch zur Deeskalation bei - jedenfalls fehlte den Hooligans ein Gegner für eine große Schlacht. Vor allem aber wird in Lille erkennbar, wie angreifbar diese Europameisterschaft immer bleiben wird. Wie vergeblich die Hoffnung auf totale Sicherheit ist.

Polizeikontrolle in Toulouse

Polizeikontrolle in Toulouse

Foto: ERIC CABANIS/ AFP

Frank Hellmann
Toulouse

Es gibt eine Möglichkeit, die bei der EM weiträumig abgesperrten Zonen zu umgehen: Mit einem Leihfahrrad. Allein Toulouse bietet eine Kapazität von 2600 "vélos" an 283 Stationen. Es erfordert zwar viel Einfühlungsvermögen an einem Automaten, der auch Einheimische schon mal verzweifeln lässt, aber dann geht es recht einfach. Die Idee ist gut und der Preis günstig. "Un vélo" gibt es bei fünf Euro gleich für sieben Tage.

Das Problem ist nur: Das französische Sicherheitspersonal ist offenbar nicht darauf eingestellt, dass man auch per Fahrrad zum Stadion gelangen könnte. Im Maßnahmenkatalog scheint nicht so ganz klar, wie mit Radfahrern umgegangen wird. Die meisten Polizisten verlangen die Akkreditierung, einige rufen sofort bei einem Vorgesetzten an - und schicken den Radfahrer zurück zu den Fans.

In Toulouse ist die Konfusion teils grotesk, weil die eine Hand nicht weiß, was die andere tut - und 80 Meter weiter der Radfahrer freundlich durchgewunken wird. In Bordeaux hat eine Polizeikontrolle ernsthaft verlangt, einen anderen Weg zu nehmen als die Busse und Fußgänger. Es half, sich dumm zu stellen. Und einfach auf der anderen Straßenseite zum Stadion zu radeln.

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