Sieg im Elfmeterschießen Kahn machte Lehmann stark

Es war ein dramatisches Spiel zweier gleichwertiger Mannschaften. Am Ende setzte sich Deutschland im Elfmeterschießen gegen Argentinien durch. Die überragende Moral des Teams zeigte sich auch in der Versöhnung zweier erbitterter Rivalen: der Torhüter Lehmann und Kahn.
Von Jens Todt

Berlin – Große Entwicklungen zeigen sich manchmal in kleinen Gesten. Keine Szene könnte den Zustand der deutschen Nationalmannschaft besser beschreiben als der Augenblick vor dem Elfmeterschießen, als Oliver Kahn zu seinem ewigen Kontrahenten Jens Lehmann ging, um ihm Glück zu wünschen.

Lehmann zeigte sich nervenstark und brachte das deutsche Team ins Halbfinale, indem er die die Schüsse von Ayala und Cambiasso parierte. Zuvor hatten Oliver Neuville, Michael Ballack, Lukas Podolski und Tim Borowski für die deutsche Mannschaft getroffen. "Ich denke, das wird von mir erwartet", sagte Lehmann nach der Partie, "als deutscher Torwart sollte man ein Elfmeterschießen gewinnen."

Kapitän Michael Ballack zeigte sich nach dem Spiel begeistert von seiner Mannschaft: "Das war sensationell, die Mannschaft hat es sich verdient. Das ist ein großer Lauf, den wir im Moment haben", so Ballack, "wir spielen seit WM-Beginn sehr, sehr gut und sind auf hohem Niveau konstant. Da sieht man, was in der Mannschaft steckt."

Das dramatische Elfmeterschießen setzte den Schlusspunkt unter eine hochspannende Partie, in der sich beide Mannschaften kaum Fehler leisteten. Der Respekt, den beide Teams voreinander hatten, war förmlich greifbar. Vor allem, wenn Roman Riquelme am Ball war, stürzten sich zwei deutsche Spieler blitzschnell auf den Mittelfeldstrategen, um dessen gefürchtete Pässe in die Spitze zu verhindern.

Ein Spiel, in dem sich beide Mannschaften auf Augenhöhe begegnen und kaum Fehler begehen, muss nicht immer besonders ansehnlich sein. Der Reiz der Partie lag demnach eher in der Spannung und dem hervorragenden taktischen Verhalten beider Teams, Strafraumszenen waren jedoch Mangelware. Dem deutschen Spiel fehlte die Unbefangenheit der letzten Partien, als das Klinsmann-Team frei nach vorne spielte.

Der stärkste Mann auf dem Platz trug demnach kein weißes oder blaues Trikot, sondern ein gelbes Hemd. Der slowakische Schiedsrichter Lubos Michel bewies eindrucksvoll, wie man eine emotionsgeladene Partie mit Fingerspitzengefühl leiten und souverän im Griff behalten kann.

"Wir müssen immer daran denken, flach zu spielen", hatte Argentiniens Youngster Lionel Messi vor der Partie gesagt, "dann kommen wir auch weiter." Doch ausgerechnet dort, wo sich das deutsche Team klar im Vorteil wähnte, bei hohen Bällen, unterlief der Mannschaft ein kleiner Fehler. In der 49. Minute setzte sich Innenverteidiger Ayala nach einer scharf geschlagenen Ecke von Riquelme gegen Miroslav Klose durch und köpfte den Ball unhaltbar für Lehmann ins rechte Toreck.

Nach dem Rückstand rannte die deutsche Mannschaft zwar an, kam jedoch kaum zu nennenswerten Chancen. Erst die Hereinnahme von David Odonkor für Bernd Schneider belebte das Spiel spürbar. In der 80. Minute konnte sich Klose, dem zuvor nur wenig gelungen war, erstmals im gesamten Spiel von dem ansonsten starken Sorin lösen und per Kopf den verdienten Ausgleich erzielen. "Wir wollten unbedingt selbst agieren, selbst das Spiel machen", sagte Klose nach der Partie, "das ist uns später auch gelungen."

Für Argentiniens Trainer José Pekerman rächte sich nun, dass er kurz nach der Führung seines Teams seinen wichtigsten Spieler Riquelme durch den defensiv stärkeren Cambiasso ersetzt hatte. In der ersten Hälfte der Verlängerung erspielte sich die deutsche Mannschaft ein Übergewicht, ohne jedoch zu klaren Torchancen zu kommen.

Vor allem der angeschlagene Kapitän Michael Ballack zeigte eine großartige kämpferische Leistung. Kaum noch fähig, einem Ball hinterherzulaufen, gewann er dennoch fast jedes Kopfballduell. Nach dem Wechsel fanden die Argentinier zwar zu ihrer Linie zurück, zu einem Tor reichte es jedoch nicht mehr.

Beim anschließenden Elfmeterschießen zeigte die Klinsmann-Truppe bessere Nerven. Zwei Argentinier patzten, alle vier deutschen Schützen brachten den Ball unter ohrenbetäubendem Jubel des Fans in der Berliner WM-Arena souverän im Tor von Leo Franco unter, der in der 71. Minute für den verletzten Schlussmann Roberto Abondanzieri eingewechselt wurde.

Trainer Pekerman erklärte unmittelbar nach dem Ausscheiden seiner Mannschaft seinen Rücktritt: "Es ist aus. Das Kapitel ist geschlossen. Ich werde bestimmt nicht weitermachen", sagte der Coach des zweimaligen Weltmeisters. Pekerman war jahrelang Nachwuchstrainer im argentinischen Verband. Die Gauchos waren mit dem Anspruch nach Deutschland gereist, ins Finale zu kommen.

"Es ist ein großer Schmerz für Argentinien", so Pekerman, "es war ein Viertelfinale auf hohem Niveau. Ich gratuliere den Deutschen zu einem großen Spiel und hoffe, dass die Mannschaft sehr weit kommt." Deutschland trifft nun am kommenden Dienstag (21 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) im Halbfinale auf Italien.

Nachdem Jens Lehmann den Einzug in die nächste Runde mit seiner Parade gegen Cambiassos Schuss gesichert hatte, gab es bei der deutschen Mannschaft kein Halten mehr. Geschlossen stürmten Spieler, Trainer und Betreuerstab den Platz. Lehmann aber ließ sich zunächst nicht von seinen Kollegen feiern. Entschlossen lief er in Richtung Trainerbank, hin zu dem Mann, mit dem ihm privat so wenig verbindet. Wer jetzt noch Zweifel daran hatte, dass sich im deutschen Lager eine verschworene Gemeinschaft gebildet hat, wurde nun eines Besseren belehrt. Lehmann lief zu Kahn und umarmte ihn.

Deutschland - Argentinien 5:3 (1:1) n. E.
0:1 Ayala (49.)
1:1 Klose (80.)
Elfmeterschießen:
2 :1 Neuville
2:2 Cruz
3:2 Ballack
Lehmann hält gegen Ayala
4:2 Podolski
4:3 Maxi Rodriguez
5:3 Borowski
Lehmann hält gegen Cambiasso
Deutschland: 1 Jens Lehmann; 3 Arne Friedrich, 21 Christoph Metzelder, 17 Per Mertesacker, 16 Philipp Lahm; 19 Bernd Schneider (62. Odonkor), 8 Torsten Frings, 13 Michael Ballack, 7 Bastian Schweinsteiger (74. Borowski); 20 Lukas Podolski, 11 Miroslav Klose (86. Neuville) Trainer: Klinsmann
Argentinien: 1 Roberto Abbondanzieri (71. Franco); 4 Fabricio Coloccini, 2 Roberto Ayala, 6 Gabriel Heinze, 3 Juan Pablo Sorin; 22 Luis Gonzalez, 8 Javier Mascherano, 10 Juan Roman Riquelme (72. Cambiasso), 18 Maxi Rodriguez; 11 Carlos Tevez, 9 Hernan Crespo (78. Cruz) Trainer: Pekerman Schiedsrichter: Michel (Slowakei)
Zuschauer: 66.000 (ausverkauft)
Gelbe Karten: Podolski, Odonkor, Friedrich / Sorin, Mascherano, Cruz
Rote Karte: - / Reservespieler Cufre (nach Spielende/Tätlichkeit)

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