
Spaniens WM-Sturm: Lebensversicherung David Villa
Spaniens David Villa Der Geisterstürmer
Dionisio Cuetos lebt in einem kleinen Dorf im spanischen Malaga. Seine Haare sind ergraut, er ist Pensionär. Früher arbeitete Cuetos als Chirurg im Krankenhaus Valle del Nalón. "Ich dachte, die hektische Zeit meines Lebens sei vorbei", sagt er. Doch die Wochen während der Weltmeisterschaft sind turbulent. Denn nach jedem Tor, das dem spanischen Nationalspieler in Südafrika gelingt, "rufen mich Freunde an und brüllen in den Hörer: 'Dionisio, da war er wieder - dein kleiner Junge'".
David Villa Sánchez wurde im Dezember 1981 in Nordspanien geboren, er traf bereits fünfmal in diesem Turnier und gemeinsam mit Wesley Sneijder öfter als alle anderen Schützen. Auch im Halbfinale, in dem Spanien am Mittwoch in Durban auf Deutschland trifft (20.30 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE), vertraut die Mannschaft vor allem auf die Qualitäten des 1,75 Meter kleinen Stürmers. Ohne den Einsatz des pensionierten Chirurgs Dionisio Cuetos jedoch könnte David Villa heute vielleicht noch nicht einmal laufen.
Als Villa sich den Oberschenkel beim Fußballspielen brach, war er gerade zehn Jahre alt. "Ich war klein, schmächtig, ein hoch aufgeschossener Gegenspieler hat mich in die Mangel genommen", erinnert er sich. Im 20 Kilometer entfernten Krankenhaus erkannte Chirurg Cuetos sofort, dass es sich um eine komplizierte Fraktur handelte.
"Der gebrochene Knochen lag so übereinander, dass Davids rechtes Bein drei Zentimeter kürzer war als das linke. Mein erster Gedanke war: Ich muss wohl amputieren", sagt Cuetos. Er entschied sich dagegen, operierte drei Stunden lang und rettete das Bein. Sechs Wochen musste Villa im Krankenhaus Valle del Nalón still liegen bleiben und im Anschluss das Laufen neu lernen. Villa sagt, er sei zwar noch sehr jung gewesen damals, aber er habe in dieser schwierigen Zeit gelernt, "dass du leiden musst, bevor du etwas Großes erreichen kannst".
Im Viertelfinalspiel, das Spanien mit einem glanzlosen 1:0-Erfolg gegen Paraguay gewann, habe die Mannschaft sehr gelitten, sagt Villa. Er kneift die Augenlider zusammen und pustet die Luft in drei Zügen aus seinen Wangen. Ohnehin habe man es bei dieser WM noch nicht geschafft, das ganze Potential abzurufen.
Mittelfeldspieler Xavi, Andrés Iniesta und Xabi Alonso lassen den Ball zwar durch gewohnt schnelles Passspiel mit nur einer Berührung zirkulieren, meistens jedoch fehlt die Genauigkeit im Abschluss.
Vor allem Fernando Torres unterliefen Fehler. Er ist einer der drei Spieler in der Stammelf, die nicht entweder für Barcelona oder Madrid spielen. Torres stürmt für Liverpool. Bis kurz vor Beginn der WM musste er wegen einer Knie-OP pausieren. Ob er gegen Deutschland auflaufen wird, ist fraglich: "Mit seinem Einsatz und seiner Persönlichkeit ist Fernando sehr wichtig für unsere Mannschaft. Wir haben volles Vertrauen in ihn. Das heißt aber nicht, dass er gegen Deutschland sicher in der Startelf stehen wird", sagte Spaniens Nationaltrainer Vicente del Bosque.
"Wir haben noch nicht zu unserem Rhythmus gefunden"
"Würden die Tore auf den Außenlinien stehen, gewänne Spanien jedes Spiel 14:0", hatte Diego Maradona vor seiner Rückreise nach Argentinien gesagt. Erschreckend oft flatterten die Bälle bisher am Tor vorbei. Aber auch die Abwehrspieler der spanischen Nationalmannschaft konnten bisher die Erwartungen nicht erfüllen. Sergio Ramos, Rechtsverteidiger Real Madrids, vernachlässigte nicht nur bei der Niederlage gegen die Schweiz durch seinen Offensivdrang häufig die Defensivarbeit. Der katalanische Kollege Carles Puyol wirkt müde, ungewohnt oft verliert er bei Sprints auf den ersten Metern den Anschluss zu seinen Gegnern.
"Wir haben noch nicht zu unserem Rhythmus gefunden", sagt del Bosque, "so einfach ist das." Taktisch und technisch halte die Mannschaft das Niveau, das sie seit Jahren auszeichne. Del Bosque faltet die Hände auf seinem Rednerpult. Er ist bekannt für seine ruhige, ausgeglichene Art, mit der er als Trainer Real Madrids zwei Meister- und Champions-League-Titel gewann.
Er wolle sich der öffentlichen Meinung nicht anschließen, "Torres hat seine Aufgabe bisher einwandfrei erfüllt", verteidigt del Bosque noch einmal den Stürmer. Im Halbfinale gegen Deutschland am Mittwoch (20.30 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) wird der Mann mit den Sommersprossen auf den Wangen wahrscheinlich trotzdem auf die Ersatzbank weichen müssen. Cesc Fàbregas könnte für ihn in die Startelf rücken und das Mittelfeld unterstützen, während David Villa im Sturmzentrum die deutschen Innenverteidiger Per Mertesacker und Arne Friedrich herausfordern würde.
40 Millionen Euro für den "Unsichtbaren"
David Villa debütierte 2001 in der zweiten spanischen Liga, zwei Jahre später wechselte er in die erste und erzielte seitdem in keiner Saison weniger als 15 Tore. Bereits vor dem Halbfinale gegen Deutschland hat sich der Vater zweier Mädchen, Zaida und Olaya, seinen großen Traum erfüllt. In der nächsten Saison wird er für den FC Barcelona stürmen, Barça-Präsident Joan Laporta kaufte ihn für rund 40 Millionen Euro aus seinem Vertrag beim FC Valencia heraus. Sein zukünftiger Teamkollege Sergio Busquets beschreibt Villa als den "Unsichtbaren", der sich im Rücken des Gegners auf die richtige Position schleiche.
Mit dieser Gabe passt der schnelle, trickreiche, technisch versierte Villa perfekt in das System des Barcelona-Trainers Pep Guardiola, dessen Lehre auf der des holländischen Idols Johan Cruyff fußt. Der kombinierte vor knapp 20 Jahren das Talent seines Regisseurs Guardiola mit einer neuen Vorstellung von modernem Fußball. Cruyff ließ keine klassischen Flügelstürmer mehr Flanken schlagen, sondern stellte auf den Außenpositionen technisch hochbegabte Spieler, die mit dem Ball am Fuß Richtung Tor dribbelten - so, wie es heute der Argentinier Messi macht. Für die Abwehr kaufte Cruyff gelernte Mittelfeldspieler, die von hinten das Spiel eröffneten. So entstand das verwirrende Kurzpassspiel, das sie in Spanien "el cruyffismo" nennen. Zuerst war es der außergewöhnliche Stil einer Mannschaft, der zu einer Glaubensrichtung eines ganzen Vereins wurde und über den sich heute auch die spanische Nationalmannschaft definiert.
"Wenn man auf diese Art und Weise ein Spiel wie das Halbfinale der Weltmeisterschaft gewinnt", sagt Mittelfeldregisseur Xavi, der sich als Fußballromantiker versteht, "ist die Freude am Ende umso größer. Man sollte immer von der ersten Minute an auf Angriff spielen. So bin ich groß geworden. Das ist meine Philosophie." Er habe beobachtet, dass auch die Deutschen gerne schnell spielen und sehr gern im Ballbesitz sind. David Villa holt tief Luft und sagt: "Ein solches Halbfinale ist eines der Spiele, warum ich froh bin, Fußballer geworden zu sein."