St.-Pauli-Boss Littmann "Schwulsein ist nicht abendfüllend"
Frage: Herr Littmann, ist Fußball aus der Sicht eines Theatermannes Theater mit anderen Mitteln?
Littmann: Fußball und Theater haben viel gemein, etwa das unmittelbare Erlebnis. Trotz immer mehr und besserer Fernsehübertragungen werden Stadien wie auch Theater immer voller. Das ist ein merkwürdiges Phänomen, aber die Menschen suchen das Gemeinschaftserlebnis, an diesem Ort, in diesem Moment. In einer Zeit, wo die Welt den Leuten immer rätselhafter erscheint, sind solche Erlebnisse wichtiger denn je.

Präsident Littmann: "Der FC St. Pauli muss immer die Rolle des 'guten' Vereins spielen
Foto: DPAFrage: Sie sind geboren in der katholischen Hochburg Münster ...
Littmann: ... mit der ich nichts zu tun habe.
Frage: Könnten Sie sich vorstellen, Präsident eines anderen Clubs zu sein, zum Beispiel von Preußen Münster?
Littmann: Nein. Ich bin St.-Paulianer. Ich bin auch kein Hamburger. Ich gehe seit vielen Jahren ans Millerntor, schon zu einer Zeit, als St. Pauli ein ganz normaler proletarischer Stadtteilverein war. Da gab es noch keinen Totenkopf. Ich bin ein Fan, der Präsident seines Lieblingsvereins geworden ist.
Frage: Wie konnte das passieren?
Littmann: Ich habe mir an meinem 50. Geburtstag so meine Gedanken gemacht, was ich in der mir verbleibenden Zeit gerne noch mal in Angriff nehmen würde. Dann habe ich fahrlässigerweise gesagt, dass ich gerne eine Oper inszenieren würde, und Präsident eines Fußballclubs wäre ja auch nicht schlecht. Damals ist Reenald Koch (Littmanns Vorgänger; die Red.) überraschend zurückgetreten, und drei oder vier Tage nach meinem Geburtstag bekam ich irgendwo auf den Kanaren einen Anruf, ob ich nicht Präsident des FC St. Pauli werden will.
Frage: Ernten Sie am Theater manchmal Kopfschütteln für Ihre Passion?
Littmann: Wenn von meinen gut 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern überhaupt jemand mit dem Kopf schüttelt, dann heimlich. Es gibt hier eine Minderheit von HSV-Fans, die sich aber als solche nicht zu erkennen gibt, und das nicht ohne Grund. Die Mehrheit hat große Sympathien für den FC St. Pauli.
Frage: Und ist auch danach ausgesucht worden?
Littmann: Es ist kein Einstellungskriterium, nein. Schauspieler reizen Bösewichter. Der FC St. Pauli aber muss immer die Rolle des "guten" Vereins spielen. Das ist eine Frage der Perspektive. Wenn es um die Fernsehrechte geht, sind wir bei der DFL eher der Bad Boy, weil wir konsequent die Faninteressen vertreten. Und manche blicken vielleicht neidisch auf uns, was die Kreativität unserer Anhänger und die Stimmung im Stadion betrifft. Man kann nicht sagen, dass wir die Gutmenschen des deutschen Fußballs sind.
Frage: Wie wichtig ist Ihnen die so genannte "political correctness", kann man es damit auch übertreiben?
Littmann: Es ist mir wichtig, dass es im Verein einen breiten Konsens gegen Faschismus, Rassismus und die Diskriminierung von Minderheiten gibt. Das ist das inhaltliche Fundament des FC St. Pauli, was mit "political correctness" erst mal wenig zu tun hat. Ohne das könnte ich auch gar nicht Präsident sein. Es ist sehr identitätsstiftend für den Club, und damit machen wir uns nicht nur Freunde in Deutschland.
Frage: Haben Sie Ihre Theater oder der Verein mehr Nerven gekostet?
Littmann: Der Verein.
Frage: Weil das Fußballgeschäft für Sie ein Auswärtsspiel war?
Littmann: In gewisser Weise schon. Solch ein Club mit mehreren tausend Mitgliedern und noch mehr erwartungsvollen Fans ist zugleich ein mittelständisches Unternehmen. Sich in diesem Zwiespalt unfallfrei zu bewegen, ist zunächst einmal ausgesprochen kompliziert.
Frage: Welche Erfahrungen haben Ihnen mehr genutzt, die als Schauspieler oder die als Unternehmer?
Littmann: Die als Unternehmer, wobei ich mitunter auch Schauspieltechniken angewandt habe.
Frage: Inwiefern?
Littmann: Nein, das kann ich nicht sagen. Um Gottes Willen.
Frage: Empfinden Sie sich im Kreis der Fußballfunktionäre als Sonderling?
Littmann: Es war ein erstaunliches Phänomen, dass der Vorsitzende eines zwischenzeitlichen Drittligisten plötzlich bundesweite Popularität genoss. Was natürlich daran lag, dass der FC St. Pauli einen Tabubruch beging, indem er einen offen Schwulen zum Präsidenten machte. Aber was hätte ich tun sollen? Nur, weil ich dieses Amt antrete, kann ich nicht plötzlich sagen, dass meine sexuelle Neigung eine andere ist. Das wäre ja ein Treppenwitz. Frage: Man hat den Eindruck, dass es Ihnen durchaus Spaß macht, sich darüber auseinanderzusetzen.
Littmann: Auf einem gewissen Niveau ja. Aber was viel wichtiger ist, vor allem für den FC St. Pauli: Schwulsein ist nicht abendfüllend. Man macht als Schwuler auch noch andere Sachen, außer mit Kerlen ins Bett zu gehen. Wenn jemand hinter die Kulissen blickt und meine Arbeit sieht, wird es immer unwichtiger. Im Verein selbst spielt es absolut keine Rolle.
Frage: Der FC St. Pauli liegt nach der Hinserie sorgenfrei auf Platz sieben. Haben Sie mit einer so guten Saison gerechnet?
Littmann: Das ist in erster Linie der Heimstärke geschuldet, die viel mit den Fans und der Stimmung am Millerntor zu tun hat, die aber in ihrer Konstanz überraschend ist. Auf der anderen Seite gibt es fatale Auswärtsspiele wie in Augsburg oder Frankfurt, wo ich mir die nicht vorhandenen Haare raufe und sage, das kann eigentlich nicht angehen.
"Uli Hoeneß ist eine der erfrischenden Figuren im deutschen Fußball"
Frage: Träumen Sie von der Bundesliga?
Littmann: Die Träumereien haben sich in meiner Funktion auf das Machbare reduziert.
Frage: Das klingt sehr realistisch und sehr wenig nach Theater.
Littmann: Ja, ist aber so. Ich habe vorher viel mehr geträumt und mir ausgemalt, was möglich sein könnte. Ich sehe mir auch heute ein Spiel viel nüchterner an als früher.
Frage: Bedauern Sie das?
Littmann: Ich empfinde das als Verlust. Die Naivität ist abhanden gekommen.
Frage: Und wird selbst nach der Amtszeit nicht wiederkommen?
Littmann: Wahrscheinlich nicht. Ich sehe da erschreckende Parallelen zu meinen Liebesbeziehungen. Man wird im Laufe der Jahre immer skeptischer in Bezug auf das, was Neues auf einen zukommt. Und sei es, dass man den Geliebten, ob Mensch oder Verein, auch von seiner hässlichen Seite kennen lernt.
Frage: Was ist denn in den kommenden Jahren für den FC St. Pauli möglich? Nüchtern betrachtet.
Littmann: Wir wollen mittelfristig ein fester Bestandteil der Ersten Liga werden, nicht nur was die Beliebtheit betrifft, auch sportlich.
Frage: Ihr ehrgeizigstes Projekt ist der Stadionausbau. Kann der planmäßig vorangehen oder ist er durch die aktuelle Wirtschaftskrise gefährdet?
Littmann: Es ist eine Ironie des Schicksals, dass es dem FC St. Pauli so gut geht wie seit Jahrzehnten nicht mehr, und plötzlich geht es den Banken schlecht. Das ist eine skurrile Situation. Aber wir haben den Ausbau bis spätestens zum Jahr 2014 geplant, und ich bin nach wie vor optimistisch, dass uns das früher gelingt.
Frage: Wird die Finanzkrise für einen Erdrutsch im Profifußball sorgen?
Littmann: Ich glaube, dass es eine Selektion unter den Vereinen geben wird, wobei manche wahrscheinlich noch nicht ahnen, dass es sie trifft. Es werden nur die Clubs mit einer gesunden wirtschaftlichen Basis überleben, und das wird den deutschen Fußball verändern, davon bin ich fest überzeugt. Aber ich bin sicher, dass gerade wir, mit der Strahlkraft des FC St. Pauli, darunter nicht leiden werden.
Frage: In der Hinrunde hat die Öffentlichkeit fasziniert den Zweikampf zwischen dem großen FC Bayern und dem neureichen Emporkömmling Hoffenheim verfolgt. Wem halten Sie die Daumen?
Littmann: Wieso?
Frage: Einerseits pflegen Sie eine traditionelle Hassliebe zum FC Bayern und insbesondere zu Manager Uli Hoeneß ...
Littmann: ... Hassliebe ist der völlig falsche Ausdruck. Was uns verbindet, ist ein großer gegenseitiger Respekt, und ich finde, dass Uli Hoeneß eine der erfrischenden Figuren im deutschen Fußball ist. Ohne ihn und seine bayerischen Kommentare würde mir sehr viel fehlen.
Frage: Und was können Sie mit Dietmar Hopp anfangen, Selfmade-Unternehmer wie Sie?
Littmann: Kommerziell wesentlich erfolgreicher als ich ... (lacht) ich bin ihm noch nicht begegnet, deshalb kann ich nur sagen, dass mir die Spielweise der Hoffenheimer ausgesprochen gut gefällt. Andererseits kann ich verstehen, dass ein gewissermaßen künstlicher Verein wie die TSG Hoffenheim bei vielen Fans auf Bedenken und Antipathien stößt. Ich glaube auch, dass das kein Modell für den deutschen Fußball sein kann. Die Abhängigkeit von einem Mäzen hat in der Vergangenheit nie zum dauerhaften Erfolg geführt.
Frage: Werden Sie es noch erleben, dass sich ein aktiver Profifußballer als Schwuler outet?
Littmann: Ich glaube schon, weil ich ja über 80 Jahre alt werde, und bis dahin ist es noch ein ganzes Stück hin. Aber ich kann nicht sagen, dass das mein größter Wunsch für den Fußball wäre. Im Sinne der betroffenen Spieler und der Vereine wäre mir das sehr lieb, doch mein persönliches Problem ist es nicht.
Frage: Finden Sie es bizarr, dass alle Welt zu raten versucht, wer die schwulen Spieler sind, die es irgendwo da draußen geben muss?
Littmann: Dieses Quiz findet schon sehr lange statt, spätestens seit Beginn meiner Präsidentschaft. Ich werde das ja andauernd gefragt. Doch das einzige, was mich daran interessiert, ist das Leben dieser Spieler, die 24 Stunden am Tag eine ungeheure Energie aufwenden müssen, um ein Doppelleben zu führen. Was das für einen Menschen bedeutet, ist schwer zu ermessen.
Frage: Sie haben einmal gesagt: "Wenn ihr nach einem sucht, dann guckt doch nach dem, der die meisten Gelben Karten gesehen hat."
Littmann: Ein schwuler Spieler wird versuchen, auch nur den Anschein eines Verdachtes zu vermeiden. Und weil den Schwulen oft Weichheit oder Unmännlichkeit unterstellt wird, wird er sich genau gegenteilig verhalten.
Frage: Angenommen, es käme heute ein Spieler zu Ihnen und würde Sie fragen, ob er ein Outing riskieren soll: Würden Sie ihm zu- oder abraten?
Littmann: Ich würde versuchen, die möglichen Konsequenzen zu verdeutlichen. Ein einzelner Spieler müsste auf eine öffentliche Aufmerksamkeit im positiven wie negativen Sinne gefasst sein, die sich einzig und allein auf seine Sexualität fokussiert. Dabei ist die ja nur ein kleiner Teil seiner Persönlichkeit und hat mit seiner Fähigkeit, Fußball zu spielen, überhaupt nichts zu tun. Wenn einer glaubt, das aushalten zu können, dann würde ich sagen: Mach es.