Auswärtsspiel in Leipzig St. Paulis Fans nehmen Rote Bullen auf die Hörner

RB-Leipzig-Fans: "Wir sind rote Bullenschweine"
Foto: Peter Endig/ dpaKein leerer Gästeblock. Keine aggressiven Parolen, und auch keine verbitterte Choreografie. Als Zweitligist FC St. Pauli am Sonntagnachmittag 1:4 bei RB Leipzig verlor, machten die mitgereisten Fans das, was sie am meisten auszeichnet: 90 Minuten lang singen, aus Liebe zum eigenen Verein. Ganz egal, wie es steht. Stimmung als Protest. Es ist ein neuer Weg, um den Unmut gegen RB zu äußern.
Noch immer stellt der Klub aus Leipzig für viele Fanszenen ein Feindbild dar. Großsponsor Red Bull investiert seit 2009 viel Geld in den Verein. Gerade entsteht für 35 Millionen Euro ein neues Trainings- und Leistungszentrum. Zum Vergleich: Gegner St. Pauli hat einen Saisonetat von rund 18 Millionen Euro. Heute zweite Liga, morgen Bundesliga, bald schon Champions League - viele Anhänger wollen die projektförmige Ausrichtung von RB nicht tolerieren.
Die St.-Pauli-Fans drückten ihren Unmut auf ihre Art und Weise aus. Schon vor Anpfiff übertönten sie per Gesang die Stadionmusik. Als das Maskottchen der Leipziger - natürlich ein roter Bulle - den Heimfans einheizen wollte, gab es höhnischen Applaus aus der Gästekurve. Die Leipziger staunten, für sie war das ein ganz neues Gefühl.
Leipzigs Trainer begeistert von St. Paulis Fans
Tatsächlich blieben sie zuvor meist unter sich: VfL Bochum, 1. FC Kaiserslautern, 1. FC Heidenheim und Eintracht Braunschweig - deren Anhänger boykottierten das Spiel bei RB. Teils aus Hass, teils aus Protest. St. Pauli kam dagegen mit 5.000 Fans. Sie trugen alte Trikots, um ihre Tradition zu betonen. Ihre Botschaft: Erfolg lässt sich kaufen, Stimmung dagegen nicht - und so versuchten sie, ihr Team nach vorne zu singen. Das beeindruckte sogar den Trainer von RB Leipzig.
"Wenn man sieht, wie viele Leute mitgekommen sind, dann ist das wahnsinnig imposant", sagte Alexander Zorniger nach Abpfiff: "Offensichtlich geht der Support der eigenen Mannschaft doch über alle anderen Befindlichkeiten hinaus. Das ist ein sehr positiver Aspekt." Sprechchöre auf den Rängen, Wechselgesänge in den Kurven - Leipzig erlebte mit den fast 40.000 Zuschauern eine tolle Kulisse.
Auf dem Rasen entwickelte sich ein temporeiches Spiel - was vor allem an RB lag. Bereits zur Pause führten die Gastgeber 2:0. Sie stürmten mit drei Angreifern, setzten auf totale Offensive. St. Pauli wirkte im Abwehrbereich wie so oft in dieser Saison überfordert. "Wir haben verdient verloren", sagte FC-Trainer Thomas Meggle: "Wir haben die zweiten Bälle vor der Viererkette nicht gekriegt. Yussuf Poulsen (Stürmer von Leipzig - d. Red.) hat teilweise zwei Spieler huckepack genommen und ist damit noch zum Tor gesprintet."
Der Leipziger Offensivspieler stürmt bereits für Dänemarks Nationalmannschaft. Er ist gefährlichster RB-Angreifer (sieben Treffer) und eigentlich zu stark für die zweite Liga. "Wir hatten Chancen für sechs, sieben Tore", sagte Poulsen. Aber eins war ihm noch wichtiger: "Heute hat das Fußballspielen richtig Spaß gemacht. Es war extrem laut im Stadion. Vielleicht so laut wie selten zuvor. Das ist das, was man sich als Fußballer wünscht."
"Wir trinken Champagner"
Erst kurz vor Abpfiff kippte die Stimmung. RB Leipzig führte zu diesem Zeitpunkt 3:1 und dominierte die Partie. St. Pauli? War mit dem schnellen Umschaltspiel zunehmend überfordert. Auch die mitgereisten Anhänger glaubten nicht mehr an die Wende. Plötzlich entrollten sie im Oberrang ein Spruchband.
"Alle Bullen sind Schweine!", stand auf dem Banner. Dazu die üblichen Sprechchöre: "Bullenschweine" und "Scheiß RB". Es schien, als müssten ein paar Anhänger doch noch mal verbal nachtreten, weil es auf dem Platz nicht klappte.
Es dauerte nur eine Minute, bis Leipzig antwortete. "Wir sind Schweine, rote Bullenschweine", sangen die Heimfans und: "Wir trinken Champagner und Bier." Auch auf dem Spielfeld folgte die Reaktion prompt: Tim Sebastian traf zum 4:1. Projekt schlägt Stimmung. RB ist nun Tabellenfünfter und bleibt damit in direkter Nähe zu den Aufstiegsplätzen.
Es wirkt, als schweiße der bundesweite Protest die Mannschaft nur noch enger zusammen. Im eigenen Stadion sind sie nun seit 302 Tagen unbesiegt.