St.-Pauli-Fans in New York Schräge Schädel

Der FC St. Pauli hat Anhänger, die für den Verein fast alles gäben - sogar in New York. Die East River Pirates huldigen dem Zweitligisten vom Millerntor mit selbst gebackenen Keksen und Hardcore-Punk. Obwohl viele noch nie in Hamburg waren. Besuch bei einem der schrägsten Fanclubs des deutschen Fußballs.
Von Sven Sakowitz
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St.-Pauli-Fanclub in New York: Wenn die Statue mit dem Schädel...

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Aggressive Rap-Musik ballert aus den Boxen. Ein verliebtes Pärchen spielt an einem schiefen Tisch Billard. Tätowierte Fahrradkuriere genießen ihren Feierabend an der Theke. Es ist ein typischer Sonntagabend in der East River Bar in Brooklyn - wären da nicht zehn Männer und Frauen vor einem alten Röhrenfernseher in der Ecke, die mit braun-weißen Schals wedeln und rufen: "Saint Pauli! Saint Pauli!"

Die Schreihälse sind Mitglieder des New Yorker FC-St.-Pauli-Fanclubs, der East River Pirates. Seit zwei Jahren ist die Spelunke unterhalb der Williamsburg Bridge ihre Zentrale. Der große Laden liegt im Erdgeschoss einer ehemaligen Fabrik in einer Gegend, die von der Wucht der Gentrifizierung des Viertels noch nicht vollständig erfasst wurde. Die Backsteinwände sind weiß und bordeauxrot gestrichen, der Holzboden knarrt bei jedem Schritt. Ein Wandbild erinnert an die große Zeit des Swing, ein anderes an den guten alten Reggae. Im Außenbereich steht ein Grill, auf den hungrige Gäste mitgebrachte Würstchen und Steaks legen.

"Wir haben ewig nach einem Laden gesucht", sagt David Barkhymer, 37. "Auf keinen Fall wollten wir uns in einer dieser angesagten sterilen Sports Bars treffen. Hier sind wir happy - allerdings haben uns die Stammgäste anfangs für schräge Vögel gehalten."

Wer will es ihnen verdenken? Fußball ist in den USA eine Randsportart. Die Partien der Major League Soccer verfolgen durchschnittlich 16.000 Zuschauer. Und dann kommen da plötzlich jede Woche diese Leute vorbei und sehen sich Spiele eines deutschen Zweitligisten an.

Vor dem Anpfiff dröhnt "Das Herz von St. Pauli" aus den Boxen

Die skeptischen Blicke sind Vergangenheit, ein anderes Problem ist geblieben: Das Fernsehbild in der East River Bar ist mies. Die Farben sind mal zu schwach, mal zu kräftig, das Bild ist verschwommen und verruckelt. Ein Alptraum, gerade jetzt, wo der FC Woche für Woche mit tempo- und torreichen Spielen begeistert! Und ausgerechnet in der Welthauptstadt New York. An dem Ort, an dem alles jederzeit zu haben ist - nur ein vernünftiges Fernsehbild in einer Kneipe anscheinend nicht.

Schuld an der miesen Qualität ist eine Verkettung von technischen Problemen. Die East River Pirates laden sich das Match am Spieltag von der Website fcstpauli.tv auf ein Notebook und verbinden dieses am Abend mit dem Fernseher. Diverse Anschlüsse sind dabei ganz offensichtlich nicht miteinander kompatibel.

Während des Spiels bleibt die Musik in der Kneipe an. Wenn die Barfrau einen guten Tag hat, dürfen die Pirates ihre iPhones an die Anlage anschließen. Dann laufen Stücke von deutschen Bands wie Tocotronic, Fettes Brot und den Goldenen Zitronen, vor dem Anpfiff gibt es den Stadionsong "Das Herz von St. Pauli".

Den hat David auch schon am Millerntor gehört. "Als ein Freund aus Hamburg vor ein paar Jahren vom FC St. Pauli schwärmte, musste ich mir selbst ein Bild machen", sagt er. "Ich war unglaublich beeindruckt von der Leidenschaft der Fans." Etwas später gründete er die East River Pirates, seine Mitstreiter kannte er aus einem Internetforum.

Partys für Wasser und Zahnersatz

Einer von ihnen ist Michael Keaveney. Ein 21-jähriger Student aus der Bronx, der noch nie in Hamburg war. Seine Vorfahren flüchteten um 1900 vor dem Hunger in Irland nach New York, in guter Familientradition schloss sich Michael der Fangemeinde von Celtic Glasgow an. Da die Celtic-Fans mit den St. Paulianern befreundet sind, hörte Michael viele Geschichten über den Verein aus Hamburg und begann zu recherchieren. "Ich bin mir sicher, dass ich den Club manchmal verherrliche", sagt er. "Aber der Kampf gegen die Kommerzialisierung des Fußballs und die klaren Statements gegen Rassismus und andere Formen der Ausgrenzung imponieren mir."

Klar ist: Die Mitglieder der East River Pirates sind keine Modefans, die sich nur mit dem stets clever vermarkteten Image des rebellischen FC St. Pauli schmücken wollen. Sie leben diesen Verein und investieren Zeit, Energie und Herz.

Bei den Treffen in der East River Bar entwerfen sie bei Pabst-Blue-Ribbon-Bier und St.-Pauli-Kekskreationen ihre Fanclub-Logos und basteln Buttons. Hier haben sie auch die Idee zu ihrem St. Pauli-Blog entwickelt und Geld gesammelt, als nach einem Polizeieinsatz in der Hamburger-Fankneipe "Jolly Roger" ein Spendenkonto eingerichtet wurde. Und hier haben sie für die Trinkwasserinitiative " Viva con Agua " eine Charity-Party veranstaltet.

Auch Sören Thode ist dabei. Der 33-jährige frühere Dithmarscher Dorfpunk lebt seit fünf Jahren in New York. Mit seiner Hardcore-Band All Torn Up und dem HipHopper Rabbi Darkside war er gerade im Studio, um einen Song für eine "100 Jahre St. Pauli"-CD aufzunehmen. "Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wir mit unserer Mischung aus Spaß am Fußball und politischem Denken ein paar Menschen inspirieren können", sagt Sören bescheiden. Die Wahrheit ist: Die New Yorker St. Pauli-Pioniere werden erst Ruhe geben, wenn neben der Freiheitsstatue ein Denkmal für St. Paulis Coach Holger Stanislawski errichtet wird.

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