Fifa-Streit um Korruption Im System von Geben und Nehmen

Fifa-Transparenzbeauftragter Pieth: "Fürchterlicher Ruf" des Weltverbands
Foto: Walter Bieri/ APEs sind zwei hoch vertrauliche Dokumente, die dem Fußball-Weltverband Fifa ein neues Fundament geben sollen. Das erste Schriftstück wiegt mehr als ein Pfund. Es enthält insgesamt 250, teils grundlegende Änderungen in den Fifa-Statuten, die eine Arbeitsgruppe unter Leitung des ehemaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger vorgelegt hat. Viel dünner ist das Papier, das mit großer Spannung erwartet wird und den Mitgliedern des Fifa-Exekutivkomitees erst am Mittwoch übergeben wurde: Es sind die Empfehlungen des Basler Strafrechts-Professors und Fifa-Transparenz-Beauftragten Mark Pieth. Auf 21 Seiten hat Pieth notiert, wie der Korruption im Weltverband beizukommen ist.
Mit der Vertraulichkeit ist es am Freitagnachmittag vorbei. Dann wird Pieths Dokument ins Internet gestellt, dann können alle sehen, ob die Fifa-Exekutive die Mindestforderungen von Pieth und Zwanziger erfüllt und wirklich Reformen einleitet.
Pieth und Zwanziger stellen einige gemeinsame Kernforderungen: Etwa die sofortige Einsetzung einer unabhängigen Ethikkommission, die auch rückwirkend tätig werden soll. Und damit die Fälle der unter Korruptionsverdacht stehenden früheren Mitglieder des Exekutiv-Komitees Jack Warner (Trinidad), Mohammed Bin Hammam (Katar) oder Ricardo Teixeira (Brasilien) aufarbeiten müsste. Vor allem aber stünden dann die WM-Vergaben an Russland 2018 und Katar 2022 zur Überprüfung an.
Blatter kündigte Transparenz an und ruderte wieder zurück
Dazu kommt die Forderung, Bezüge und Boni aller Fifa-Manager und Mandatsträger offenzulegen. Eine Bedingung, der bislang nicht einmal Präsident Joseph Blatter nachkommt, der immer nur von einem Gehalt von etwa einer Million Franken redet. Pieth und Zwanziger verlangen zudem die Einsetzung einer Nominierungskommission, die ab sofort alle Fifa-Amtsträger durchleuchtet und eine Art polizeiliches Führungszeugnis ausstellen soll.
Reformen im Formel-1-Tempo hatte Blatter im vergangenen Oktober versprochen. Er wollte damit beginnen und ein brisantes Dokument veröffentlichen, das die Fifa seit Jahren unter Verschluss hält und das sowohl die millionenschwere Korruption im Exekutivkomitee als auch die Mitwisserschaft und Duldung seitens der Fifa-Administration beweist: Es geht um die Akten im Bestechungsskandal um den Fernsehrechtevermarkter ISL. Im Dezember ruderte Blatter zurück. Juristische Gründe machten eine Veröffentlichung unmöglich, begründete er.
Pieth sagte in der Vorwoche, er habe das Dokument mehrfach erfolglos bei Blatter eingefordert. Ob er mit dieser resignativen Äußerung bereits seinen Rückzug einläuten will, will der renommierte Strafrechtler nicht sagen. Er hatte zuletzt nur noch wenige Statements abgegeben und dabei etwa über den "fürchterlichen Ruf" der Fifa gesprochen.
Ruf von Pieth ist bereits beschädigt
Pieths eigener Ruf als weltweit anerkannter Korruptionsbekämpfer ist in der Fifa-Affäre bereits ramponiert. Weniger deshalb, weil die Fifa ihm für seine Arbeit Geld an sein Institut überweist und er die Rechnungen nicht offenlegt. Vielmehr wegen mehrerer unglücklicher Äußerungen. Er wolle sich auf Strukturreformen beschränken und nicht die Korruptionsaffären der Vergangenheit und Gegenwart aufarbeiten, hieß es zunächst. Als diese Ankündigung in der Öffentlichkeit anschließend kritisch kommentiert wurde, korrigierte Pieth sich selbst: Jetzt, so heißt es, seien Ermittlungen zu den umstrittenen Vergaben der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 möglich.
Doch die Konstellation bleibt absurd, wenn die Reformen von Funktionären abgesegnet werden sollen, die selbst unter Korruptionsverdacht stehen. Da sollen ausgerechnet hoch umstrittene Fifa-Mitglieder wie Vizepräsident Julio Grondona aus Argentinien mit der Vetternwirtschaft brechen. Grondona steht im Verdacht, Schwarzkonten im Ausland zu unterhalten - ein Vorwurf, den er selbst bestreitet.
Zwanziger und Pieth müssen ihre Hoffnungen daher vor allem auf Blatter setzen. Ausgerechnet auf jenen Mann also, unter dem als Fifa-Direktor (1975 bis 1981), als Generalsekretär (1981 bis 1998) und als Präsident (seit 1998) das System des Gebens und Nehmens perfektioniert wurde. Und der nun von seinen PR-Mitarbeitern als Reformator verkauft wird. Ausgerechnet Blatter.
Zwanziger erhält wenig Unterstützung von der Uefa
Seit Donnerstagnachmittag tagt der Fifa-Vorstand im abgeschotteten Hauptquartier auf dem Zürichberg. Die Reform ist in Gefahr. In der vergangenen Woche bekam Zwanziger beim Uefa-Gipfel in Istanbul keine Unterstützung für sein Vorgehen gegen Korruption. "Es ist ein Skandal, was da abläuft", sagt ein langjähriger Fifa-Manager. "Die Konföderationen wollen ihre Macht erhalten. Zwanziger wird von seinem eigenen Kontinentalverband, der Uefa, hängengelassen."
Der französische Uefa-Boss Michel Platini lobte die Arbeit des Deutschen zwar öffentlich, intern aber scheint ein Gefolgsmann Platinis das Sagen zu haben: Marios Lefkaritis, ein vermögender Zypriote, ist nicht nur der Königsmacher in der Uefa. Er stemmt sich auch energisch gegen jegliche Fifa-Reformen. Wobei Lefkaritis sich selbst im Zusammenhang mit der Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 gegen Korruptionsvorwürfe wehren musste.
Als Blockierer gegen die Vorstöße von Zwanziger und Pieth gelten zudem Südamerikas Fußballboss Nicolás Leoz aus Paraguay und Afrikas Verbandschef Issa Hayatou aus Kamerun.
Zwanziger, erst seit Juni 2011 im Exekutivkomitee und auch deshalb unabhängig, hat wie Pieth damit kokettiert, er sehe für sich keine Zukunft in der Fifa, sollten die Reformen scheitern. Ab Freitag wird man ihn beim Wort nehmen können.