Streit mit Joachim Löw Ballacks Zukunft steht auf der Kippe
Michael Ballack fühlt sich bedroht. Nicht anders ist es zu erklären, dass er die Personalpolitik von Bundestrainer Joachim Löw so vehement kritisiert hat, dass der nun von einem Vieraugengespräch abhängig machen will, ob Ballack in der Nationalelf überhaupt noch eine Zukunft hat: "Ich bin von dem Weg, den er gewählt hat, maßlos enttäuscht", sagte Löw, "alles weitere wird man sehen, meine Entscheidung hängt auch vom Verlauf dieses Gesprächs ab."
Ballack hatte in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" scharfe Kritik an der Personalpolitik des DFB-Trainerteams geübt. Im Kampf um die Position im defensiven Mittelfeld seien die Rivalen von Torsten Frings (Werder Bremen), der zuletzt nur noch Reservist war, nicht besser als sein treuer Adjutant, legt er mit seinen Aussagen nahe.
Das ist schon reichlich unkollegial gegenüber den Kollegen Simon Rolfes (Bayer Leverkusen) und Thomas Hitzlsperger (VfB Stuttgart, beide 26 Jahre). Es sei dabei dahingestellt, ob die beiden derzeit eben nicht doch in besserer Form als ihr Bremer Konkurrent sind. Andere Spielertypen sind sie allemal. Und deutlich jünger als Frings, der bei der WM fast 34 Jahre alt wäre. Das Trainerteam würde fahrlässig handeln, wenn es gerade in Hinblick auf die WM 2010 in Südafrika nicht mehrere Optionen durchspielen würde.
Doch damit nicht genug: Ballack findet offenbar, dass Kevin Kuranyi (Schalke 04) unter Löw zu Unrecht keinen Stammplatz innehatte. Und überhaupt rücke man als junger Spieler viel zu schnell ins Nationalteam. Angesichts der Tatsache, dass Ballack sich im gleichen Atemzug für Miroslav Klose einsetzt (dem Löw bedingungslos den Rücken stärkte), stellt sich die Frage: Was hätte er an Löws Stelle getan? Glaubt er wirklich, dass der Schalker derzeit stärker ist als Mario Gomez (Stuttgart) oder Patrick Helmes (Leverkusen)? Stärker als die Bayern-Stürmer Miroslav Klose und Lukas Podolski? Oder will Ballack am Ende gar mit fünf Stürmern auflaufen?
Ziemlich weit geht Ballack auch mit der Behauptung, die Ausbootung von Abwehrspieler Christian Wörns und die Entscheidung, die WM 2006 mit Jens Lehmann an Stelle von Oliver Kahn im Tor zu bestreiten, sei nicht das Ergebnis eines echten Konkurrenzkampfes gewesen. Nicht nur, dass beide Maßnahmen von Löw-Vorgänger Klinsmann getroffen wurden. Es ist schon mutig, sich für einen Spieler wie Christian Wörns einzusetzen (und ganz en passant dabei mit Christoph Metzelder einem weiteren Kollegen an den Karren zu fahren), der als klassischer Manndecker des vergangenen Jahrtausends in jeder besseren europäischen Nationalmannschaft schon Jahre vorher aussortiert worden wäre.
Nun ist es natürlich nicht so, dass Löw und sein Assistent Hans-Dieter Flick alles richtig gemacht hätten. Lange, vielleicht zu lange, gab es beim DFB eine faktische Stammplatzgarantie auf acht bis neun Positionen. Das lag zum Teil aber auch daran, dass Nachwuchsspieler wie Piotr Trochowski (HSV), Samy Khedira (VfB Stuttgart), Patrick Helmes oder René Adler (beide Leverkusen) erst noch zu vollwertigen Alternativen reifen mussten. Das ist mittlerweile geschehen - damit, dass heute allenfalls noch vier, fünf Spieler sakrosankt sind, müssen sich einige Platzhirsche offenbar erst noch gewöhnen.
Ohnehin gab es in den vergangenen Monaten auffallend viele Kommunikationsprobleme. Angefangen bei Timo Hildebrand, dem man seine Nichtberücksichtigung für die EM angeblich nicht persönlich übermitteln konnte. Und dann brauchte man Wochen, bis man es ihm wenigstens im Nachhinein erklärte. Vor diesem Hintergrund auch noch vergrätzt zu reagieren, wie Löw es tat, wenn der Spieler in sachlicher Form seinen Unmut äußert, ist schon ein starkes Stück.
Vielleicht wird bei der Nationalmannschaft sogar mehr über Kommunikation gesprochen, als dass tatsächlich kommuniziert wird. Zumindest die mehr (Kuranyi) oder weniger (Frings, Ballack) hysterischen Reaktionen deuten darauf hin, dass die Neustrukturierung teamintern nicht ausreichend vorbereitet wurde. Stattdessen lobt Löw - wie sein Vorgänger Jürgen Klinsmann - Spieler, die er zurückstuft, häufig umso überschwänglicher.
So wie Oliver Kahn, der laut Ballack "nie eine reelle Chance hatte", wurde auch Frings verbal umschmeichelt ("schätze ihn über alle Maßen"). Das alles darf man kritisieren, als Kapitän muss man es sogar kritisieren - aber intern, wenn man etwas bewirken will. Oder wie Franz Beckenbauer sagt: "In solchen Situationen muss man das Gespräch mit dem Trainer und nicht mit dem Journalisten suchen."
Stellt sich also die Frage, warum Ballack, der sich gegen Wales trotz Verletzungs-Handicap in den Dienst der Mannschaft stellte, offenbar so angefressen ist, dass er sich zu solch einer Wutrede in Interviewform hinreißen lässt? Ballack selbst jedenfalls wurde von Löw noch nie öffentlich zur Disposition gestellt - die Frage, ob der 32-jährige Kapitän in das Team gehöre, war stets ein reines Medienthema.
Offenbar hat die Kritik manches Mannschaftskollegen an seinem Führungsstil ebenso an ihm genagt, wie die Tatsache, dass Löw im Streit zwischen ihm und Oliver Bierhoff so einseitig Partei für den Teammanager ergriffen hat.
Und es ist sicher kein Zufall, dass hinter all den Anwürfen mehr oder weniger unausgesprochen ein Hauptvorwurf steht: Der, dass das Trainerteam nicht mit offenen Karten spiele. Dass es nur nach außen einen Konkurrenzkampf auslobe, sich intern aber lange auf den Favoriten festgelegt habe. Dass es einzelne Spieler öffentlich anzähle, um den geringsten Fehltritt zum Anlass zu nehmen, sich endgültig von ihnen zu trennen.
Wenn dem so ist, ist Ballack in genau diese Falle getappt. Denn Löw hat nun, wenn er sein Gesicht nicht verlieren will, keine andere Möglichkeit, als seinen Kapitän schleunigst zum Rapport zu bitten. Dass der DFB unisono von ihm abrücken würde und seine Worte wie Präsident Theo Zwanziger ("absolut unangebracht") scharf verurteilen würden - all das muss Ballack gewusst haben, als er sich so äußerte.
Er weiß aber auch, dass er zu gut ist, als dass irgendein Bundestrainer ganz auf ihn verzichten könnte. Kaum denkbar, dass er sich sonst so geäußert hätte.