Bayern-Star Thiago spielt um den Champions-League-Sieg Jetzt oder nix

Für den wechselwilligen Thiago besteht die wohl letzte Chance, mit dem FC Bayern die Champions League zu gewinnen – und damit auch endlich seine Kritiker zu überzeugen. Dafür wird der Spielgestalter auch zum Dieb.
Von Florian Kinast, München
Thiago: "Ein exzellenter Balldieb"

Thiago: "Ein exzellenter Balldieb" 

Foto: MICHAEL DALDER/ REUTERS

Für Sonntagmorgen gab Hansi Flick seiner Mannschaft kurzfristig frei. Bevor am Nachmittag der Flug Richtung Portugal anstand, sollten die Spieler ausschlafen, frühstücken und einige Stunden im Kreis ihrer Familien verbringen, die sie wunschgemäß dann mehr als zwei Wochen nicht mehr sehen sollen. Läuft nämlich alles nach Plan, kehrt der FC Bayern erst am Montag, 25. August, wieder nach München zurück. Dann mit dem Henkelpott.

Das 4:1 gegen den FC Chelsea war ein lockerer Auftakt für die Triple-Mission der Bayern. Ein Sieg, der die Mannschaft mit einiger Zuversicht ins Trainingslager an der Algarve aufbrechen ließ und der zugleich auch für neue Rekorde sorgte. Acht Siege in den ersten acht Spielen der Saison, dazu 31 Tore, so viele schoss zu diesem Zeitpunkt in der Champions League noch kein Team zuvor. Für Übermut freilich bestand kein Anlass, auch Thomas Müller warnte nach Abpfiff: "Du kannst die Rekorde alle in die Tonne treten, wenn du einmal einen schlechten Tag hast." Vor allem, wenn der schlechte Tag auf nächsten Freitag fällt, dann nämlich spielen die Bayern gegen den FC Barcelona.

Dass es in den nächsten drei Spielen natürlich auf jeden einzelnen Spieler ankomme, ergänzte Müller, auf jeder Position. Auf den am Samstag überragenden Robert Lewandowski vorne ebenso etwa wie auf den gewohnt umsichtigen Abwehrchef David Alaba. Eine in jeder Hinsicht zentrale Rolle wird aber auch einer spielen, der in München gerade vor dem Absprung steht - und der in diesen Tagen besonders motiviert wirkt, in zwei Wochen seine Karriere in München mit dem Gewinn der Champions League krönend zu vollenden: Thiago Alcántara.

Wie oft schon hatten ihm Mitspieler, Trainer und Experten ob seiner Fähigkeiten als einen der weltbesten Mittelfeldspieler gehuldigt. Und wie oft wurde er kritisiert, in den wirklich großen, wichtigen Spielen abzutauchen. Gegen Mainz oder Freiburg könne Thiago glänzen, gegen Real oder Liverpool eher nicht, so der Tenor.

Thiago glänzt offensiv und defensiv

Freilich, Chelsea mochte am Samstag gewiss noch nicht das übermächtige Kaliber gewesen sein - und doch war Thiagos Leistung bemerkenswert, offensiv wie defensiv. Ob immer wieder mit schnellen Pässen im Spielaufbau oder ob nach einem 40-Meter-Sprint über das halbe Feld zurück mit einer Lehrbuch-Grätsche gegen Ross Barkley am eigenen Strafraum (49.). Bezeichnend die beiden letzten Aktionen vor seiner Auswechslung nach 70 Minuten (in denen er übrigens mehr Ballkontakte (75) hatte als Leon Goretzka (71), sein Nebenmann auf der Doppelsechs während der gesamten Spielzeit): Ein Kopfball in Mittelstürmer-Position (67.), gefolgt von einem rustikalen Foul an Barkley vor dem eigenen Sechzehner (69.) - was zeigte: Der Schönspieler kann auch schmutzig.

Auch Thomas Müller zeigte sich nach Abpfiff wieder einmal angetan von Thiago, der ja nur wegen der Verletzung von Benjamin Pavard und der Versetzung von Joshua Kimmich auf die Rechtsverteidiger-Position wieder in die Startelf rücken durfte: "Er ist ja nicht nur einer, der mit dem Ball gut umgehen kann und die Zuschauer wie die eigene Mannschaft entzückt. Er ist ja auch ein exzellenter Balldieb." 

Es scheint, als sei der Balldieb Thiago in der Lage für den ganz großen Coup – bereit und endlich auch reif dafür, weil er vielleicht auch jetzt erst so wirklich den Zenit seiner Karriere erreicht.

Thiago im Zweikampf mit Chelseas Mason Mount: Bereit für den ganz großen Coup?

Thiago im Zweikampf mit Chelseas Mason Mount: Bereit für den ganz großen Coup?

Foto:

TOBIAS SCHWARZ/ AFP

Im Viertelfinale geht es nun erst einmal ausgerechnet gegen den FC Barcelona, mit dem er 2013 im Halbfinale noch ein fürchterliches Debakel erleiden musste, wenngleich er beim 0:4 und 0:3 gegen die angehenden Triple-Bayern insgesamt nur 25 Minuten mitspielte. Wenige Wochen später wechselte er nach München, doch für den Triumph in der Königsklasse reichte es für die Bayern danach nicht mehr – auch 2015 nicht, als Thiago beim erneuten Halbfinale zwischen Barcelona und Bayern (3:0, 2:3) wieder auf der falschen Seite stand.

Zwei Schmähungen, die Thiago nicht vergessen hat.

Trifft Thiago auf seinen Förderer?

Bei einem Erfolg am Freitag käme es dann, ein Sieg von Manchester City gegen Olympique Lyon vorausgesetzt, zum nächsten pikanten Duell: Dann träfe Thiago mit den Bayern auf seinen langjährigen Förderer Pep Guardiola, der ihn mit der schon legendären Transfer-Ansage ("Thiago oder nix") 2013 nach München geholt hatte. Nur dass es nun für Thiago heißt: Jetzt oder nix.

Denn die nächsten zwei Wochen werden für Thiago wohl die letzte Chance auf einen Gewinn der Champions League mit dem FC Bayern sein. Der 29-Jährige hat zwar Vertrag bis Sommer 2021, allerdings teilte er dem Klub zuletzt mehrfach seine Wechselabsichten mit – weil er noch einmal eine neue Herausforderung sucht und sich jetzt noch in einem Alter wähnt, in dem er noch bei einem absoluten Top-Team als Stammspieler unterkommt, am liebsten in der Premier League, etwa beim FC Liverpool von Jürgen Klopp.

Möglich aber auch, dass sich die Klub-Bosse von der Säbener Straße mit einem Kaufinteressenten im durch Corona verunsicherten Transfermarkt nicht über die Höhe der Ablösesumme handelseinig werden. Ein Thiago in dieser Form täte den Bayern in jedem Fall auch noch ein weiteres Jahr gut. Sie sollten ihn nicht ziehen lassen, getreu dem Motto: Haltet den Balldieb.

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