Tuchel-Vorstellung beim BVB Tag eins der neuen Mission
Es ist manchmal erstaunlich, wie verändert Menschen erscheinen, die längere Zeit aus dem öffentlichen Betrieb verschwunden waren. Extrem schlank, geradezu mager, wirkte Thomas Tuchel, als er am Mittwoch nach einem Jahr Pause auf die Bühne der Bundesliga zurückkehrte. Der neue Trainer von Borussia Dortmund isst kein Getreide mehr, auch das Haar wächst etwas dünner - noch bevor Tuchel ein Wort gesagt hatte, war ein Bild von der Tiefe der Veränderung entstanden, die mit dem Wechsel von Jürgen Klopp zu Tuchel in Dortmund ansteht.
Auf Klopp, dessen Körpergröße und Selbstvertrauen mitunter einschüchternd wirken, folgt Tuchel, ein Asket, ein Denker. Ein Mann, der an diesem ersten Arbeitstag erstaunlich demütig auftrat. Anfangs blickte Tuchel immer wieder nervös auf seinen Stichwortzettel, den er sich bereitgelegt hatte, er bedankte sich bei seinem Vorgänger, lobte "viel Qualität" im Kader und sagte: "Als ich vom Interesse erfuhr, war für mich sonnenklar, dass es das ist."
Wobei es dem Mann, der als gegenwärtig größtes deutsches Trainertalent gilt, ein wenig unangenehm zu sein schien, über eine Mannschaft zu sprechen, die er noch gar nicht richtig kennengelernt hat.
"Die Mannschaft ist ausgewogen zusammengestellt"
Doch der Termin war lange angekündigt, und am Stolz in den Gesichtern von Klubchef Hans-Joachim Watzke und Sportdirektor Michael Zorc war zu sehen, dass es der Klubführung wichtig gewesen ist, Tuchel vor der Sommerpause vorzustellen. Nicht zuletzt, um gute Nachrichten zu verbreiten und die bösen Geister der abgelaufenen Saison endgültig zu verjagen.
Die leise Unsicherheit, die zunächst in Tuchels Antworten mitschwang, sich dann aber legte, war ungewohnt in diesem Pressesaal, der alten Bühne des großen Entertainers Klopp. Höflich bedankte Tuchel sich für die Frage nach seinem Einfluss auf die Kaderplanung fürs kommende Jahr und stellte klar, dass er "natürlich keine personellen Forderungen" stelle. "Die Mannschaft ist ausgewogen zusammengestellt, und hat ein tolles Durchschnittsalter", sagte er.
Eine echte Spitzenmannschaft ist dieser BVB in Tuchels Augen derzeit nicht, vielmehr betrachtet der neue Trainer den Deutschen Meister von 2011 und 2012 als "Herausforderer", der "einen Rückstand aufzuholen" habe. Dann beschrieb er die Wesensmerkmale, mit der seine neue Mannschaft in die Phalanx der Top-Teams zurückkehren möchte.
Tuchel sprach von "Fleiß, Bescheidenheit, Offenheit, Beharrlichkeit und Mut", er möchte eine "Atmosphäre schaffen, die durchdrungen ist von Leistungsbereitschaft und völlig frei von Egoismen". All das sind zwar Attribute, die an vielen Standorten gepflegt werden, in Dortmund wirkten Tuchels Sätze aber irgendwie neu. Seine Sprache ist feinsinniger, weniger proletarisch, vielleicht auch weniger humorvoll. Die Leidenschaft, die er seinen Worten mit auf den Weg gibt, ist allerdings durchaus vergleichbar mit der emotionalen Art seines Vorgängers. Und in der Fußballarbeit wird Tuchel ohnehin wesentliche Merkmale der vergangenen Jahre bewahren.
Tuchel will den Ballbesitz verfeinern
"Das große Glück ist, dass Borussia Dortmund einen Stil geprägt hat", sagte er und verwendete mehrfach den Begriff "Dominanz", um seine Vorstellung vom BVB der Zukunft zu illustrieren. Dominant war der BVB auch unter Klopp, nun will Tuchel seiner neuen Mannschaft vermitteln, "flexibler mit Systemen" umzugehen und die Qualität des Spiels bei eigenem Ballbesitz zu verbessern. In einem Nebensatz erzählte er von seinen Entwicklungen bei Mainz 05, wo seine Mannschaft im Laufe der Jahre, gelernt habe "Ballbesitzfußball" zu spielen, "und sei es nur als Erholungsphasen für eine wilde Balljagd danach".
Der Versuch, variabler zu spielen und einen planvolleren Ballbesitz hinzubekommen, war im letzten Jahr unter Klopp missglückt, erst als der BVB in der Rückrunde zum "Immer-Vollgas"-Credo und zum bewährten 4-2-3-1-System der Erfolgsjahre zurückkehrte, war die Mannschaft wieder konkurrenzfähig. Nun soll Tuchel an dieser Weiterentwicklung arbeiten, an der Klopp gescheitert war.