Jan Göbel

Tuchels Reaktion auf Fragen zum Krieg in der Ukraine Man kann nicht nicht darüber reden

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Ein Kommentar von Jan Göbel
Thomas Tuchel trainiert Chelsea, den Klub des Oligarchen Abramowitsch. Dass er sich deswegen zum russischen Angriff auf die Ukraine äußern soll, nervt den Deutschen zunehmend. Doch Tuchel muss solche Fragen aushalten.
Thomas Tuchel ist seit Anfang 2021 Trainer des FC Chelsea

Thomas Tuchel ist seit Anfang 2021 Trainer des FC Chelsea

Foto: DAVID KLEIN / REUTERS

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Der Reporter hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da fiel ihm Thomas Tuchel ins Wort. »Nein, jetzt hört mal zu«, sagte der Trainer des FC Chelsea auf einer Pressekonferenz am Dienstag. »Ihr müsst aufhören«, sagte Tuchel: »Ich habe keine Antworten für euch.«

Tuchel war in Rage geraten wegen mehrerer Nachfragen zur russischen Invasion in die Ukraine und dazu, wie der deutsche Trainer die Rolle von Chelsea-Eigentümer Roman Abramowitsch beurteile. Tuchel wirkte in die Ecke gedrängt, seine Reaktion war sichtlich genervt.

Dass Tuchel sich mit solchen Fragen in einer Weltlage wie jetzt nicht gerade wohlfühlt, kann man verstehen. Wie er aber versuchte dieser Situation zu entgehen, war enttäuschend: sein Tonfall barsch, seine Haltung abweisend.

Das ist nicht in Ordnung, wenn man bedenkt, dass der Sport Teil eines Konflikts ist. Die Verstrickungen von Sportwelt und Politik werden in diesen Tagen offensichtlicher denn je.

Über Jahre baute sich Russland ein Netzwerk im internationalen Sport auf: Wladimir Putin war Ehrenpräsident manch einer Sportart, Sotschi richtete milliardenschwere Winterspiele aus, Unternehmen wie Gazprom waren auf dem Trikot eines Traditionsvereins zu sehen, Oligarchen kauften Fußballklubs.

Ja, Sport ist politisch und bleibt es.

Umso mehr würde man sich nun wünschen, dass der Sport seine Rolle in diesen Verflechtungen anerkennt, dass er jahrelang Russland eine Bühne für seine Propaganda gegeben hat. Er hat Russland hofiert und stärker gemacht.

Wenn Tuchel heute zum russischen Krieg in der Ukraine gefragt wird, riskiert er nicht viel. Aber die Fragen ergeben in seinem Fall Sinn. Sein Klub ist der FC Chelsea, der seit fast zwei Jahrzehnten von den Millionengeldern des russischen Oligarchen Abramowitsch finanziert wird. Abramowitsch wiederum wurde zu einem der reichsten Menschen der Welt dank russischer Staatsaufträge im Energiesektor.

Plötzlich wird er pampig

Tuchel bekommt sein Geld aus Russland; er hat damit zumindest über Umwege eine Verbindung zu jenem Land, das einen Krieg in der Ukraine führt. Auch das ist ein Konflikt.

Doch als er am Dienstag zu Abramowitschs Beziehung zu Putin gefragt worden ist, wich Tuchel aus und wollte wenig preisgeben. »Über die Rolle von Herrn Abramowitsch kann ich nichts sagen, weil ich schlicht zu wenig darüber weiß.«

Er wurde mehrfach zum Krieg gefragt, den Tuchel als »schrecklich« bezeichnete. Aber je mehr Fragen kamen, desto genervter wurde Tuchel. »Ich bin kein Politiker. Sie sollten mir diese Fragen nicht mehr stellen«, sagte er und beendete damit weitere Diskussionen. Sein Ton war pampig und er ungeduldig. Lasst uns zur Tagesordnung übergehen und über Fußball reden, schien das Motto.

Tuchel ist damit kein Einzelfall. Er steht mit seinem Verhalten für viele Verantwortliche im Sport, die darauf beharren, Politik habe in ihrer Branche nichts verloren. Aber längst sind Sport, Wirtschaft und Weltpolitik für diese Haltung viel zu eng miteinander verflochten. In Tuchels und Chelseas Fall in besonderem Maße.

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Niemand erwartet allerdings, dass Tuchel seinen Posten beim FC Chelsea aufgibt, um seine Solidarität mit der Ukraine zu zeigen – auch wenn dies ein mächtiges Signal wäre.

Der 48-Jährige ist einer der erfolgreichsten Fußballtrainer der Welt, er gewann im Vorjahr die Champions League. Ihm hört man gern zu, wenn er über den Fußball spricht. Tuchel ist allerdings auch jemand, der sich stets mit Themen abseits des Fußballs beschäftigt hat. Er besuchte Podiumsdiskussionen, sprach über Kultur.

Tuchel könnte seinen inneren Konflikt zwischen dem Dasein als Fußballtrainer und als Angestellter eines russischen Oligarchen zum Ausdruck zu bringen, das traut man ihm zu. Doch stattdessen ist er garstig.

Thomas Tuchel

Thomas Tuchel

Foto: Mark Pain / imago images/PA Images

Vielleicht zeigt seine Reaktion auch nur die Überforderung mit der Situation. Das ist menschlich. Tuchel selbst sagte einmal, dass er am FC Chelsea vor allem schätzt, dass es einzig und allein um Fußball geht. Hier könne er als Trainer sich voll auf diese eine Aufgabe konzentrieren.

Doch nun ist die Situation eine andere, und dass die Fragen zu Russland und der Ukraine kommen würden, hätte er wissen müssen. In England ist ein Trainer viel mehr Kommunikator eines Klubs als in Deutschland, wo diese Rolle auf mehrere Schultern verteilt ist. Doch das Gesicht des FC Chelsea: Das ist Tuchel.

Die Fragen haben ihn nicht kalt erwischt.

Chelseas Besitzer Abramowitsch versucht in diesen Tagen, den Klub an einen neuen Investor zu verkaufen. Wegen seiner möglichen Nähe zu Putin könnte auch er von Sanktionen betroffen sein. Womöglich hat Tuchel schon bald einen neuen Chef, der Schweizer Milliardär Hansjörg Wyss hat nach eigenen Angaben den Klub zum Kauf angeboten bekommen.

Dann wäre der Klub nicht mehr in russischer Hand. Tuchel wäre dann in diesem Konflikt weniger gefragt und das Thema ausgesessen.

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