Titelfavorit Italien Mauern, lauern, siegen
Hamburg - Marcello Lippi biss sich auf die Lippen. Sein Blick war grimmig, der italienische Nationaltrainer ahnte Schlimmes. Es war die 17. Minute im entscheidenden Spiel gegen Tschechien, Lippi musste Alessandro Nesta, Weltklasseverteidiger vom AC Mailand, vom Platz nehmen: Leistenverletzung. Tschechien war bis hierher die klar bessere Mannschaft, und als Ghana gegen die USA auch noch die Führung erzielte, war Italien plötzlich auf Rang zwei der Tabelle abgerutscht. Das Duell mit dem Sieger der Gruppe F drohte - und der lautet aller Voraussicht nach Brasilien.
Doch dann zeigte Lippis Mannschaft ihr wahres Gesicht. Nun war sie gefordert, und die Elf bewies, dass sie dem Druck bei dieser WM gewachsen ist. Ausgerechnet der für Nesta eingewechselte Marco Materazzi verlieh der italienischen Hintermannschaft Sicherheit und köpfte ganz nebenbei das 1:0 für sein Team. Am Ende gingen die Italiener als 2:0 (1:0)-Sieger vom Platz und haben mit sieben Punkten souverän die Gruppe E gewonnen.
"Wir haben uns die Qualifikation für das Achtelfinale verdient. Die Mannschaft hat bewiesen, dass sie großen Teamgeist hat", sagte Trainer Lippi. Erst ein Gegentreffer musste die "Squadra Azzurra" im Turnierverlauf hinnehmen - gegen die USA (1:1) traf Cristian Zaccardo ins eigene Netz. Ohnehin ist die Mannschaft seit Oktober 2004 ohne Niederlage. Die Abwehr steht, und das, obwohl Lippi die Formation der Viererkette erneut, wie schon nach dem ersten WM-Spiel, veränderte.
Und selbst wenn Kapitän Fabio Cannavaro, Gianluca Zambrotta oder Fabio Grosso einmal nicht eng genug beim Mann sind, steht im Tor immer noch der überragende Gianluigi Buffon. Mit seinen Paraden trieb der Keeper von Juventus Turin seinen tschechischen Clubkollegen Pavel Nedved heute zur Verzweiflung.
Nedveds Teamkollege Tomas Rosicky ging völlig unter. Was auch damit zusammenhing, dass Lippi sein defensives Mittelfeld verstärkte. Stürmer Luca Toni, mit 31 Treffern Torschützenkönig der Serie A, musste draußen bleiben, Alberto Gilardino war einziger Angreifer der Italiener. Lippis Konzept ging auf, immer wieder rannte sich Rosicky in der Mittelfeldmauer um Gennaro Gattuso und Andrea Pirlo fest.
Lippis Spieler verstehen es, geschickt auf die Fehler des Gegners zu warten, um dann blitzschnell nach vorne zu spielen. Doch der Mann für den entscheidenden letzten Pass ist noch immer nicht hundertprozentig fit. Regisseur Francesco Totti, der vor vier Monaten einen Wadenbeinbruch erlitten hatte, läuft seiner Form noch hinterher. Doch gerade deshalb ließ ihn sein Trainer gegen Tschechien durchspielen, und das, obwohl Totti gelbvorbelastet in die Partie ging. Lippi will seinem "wichtigsten Spieler" die nötige Spielpraxis geben, denn der Fußball-Lehrer und ganz Italien wissen: Nur mit einem starken Totti kann das Land den Titel holen. Eine starke Abwehr genügt nicht.
Doch rechtzeitig zur K.o.-Runde scheint eine weitere Offensivkraft in Form zu kommen. Filippo Inzaghi, in den ersten beiden Partien noch auf der Bank, wurde gegen Tschechien nach einer Stunde eingewechselt. Drei Minuten vor Schluss traf er zum Endstand. Vorausgegangen war ein Fehlpass der Tschechen im Mittelfeld - genau das, worauf Lippi und seine Spieler gewartet hatten.
Tschechien - Italien 0:2 (0:1)
0:1 Materazzi (26.)
0:2 Inzaghi (87.)
Tschechien: Cech - Grygera, Rozehnal, Kovac ab 78. Heinz, Jankulovski - Polak - Poborsky ab 46. Stajner, Rosicky, Nedved, Plasil - Baros ab 64. Jarolim. - Trainer: Brückner Italien: Buffon - Zambrotta, Nesta ab 17. Materazzi, Cannavaro, Grosso - Camoranesi ab 74. Barone, Pirlo, Gattuso, Perrotta - Totti - Gilardino ab 60. Inzaghi. - Trainer: Lippi Schiedsrichter: Archundia (Mexiko)
Zuschauer: 50.000 (ausverkauft)
Gelb-Rote Karte: Polak wegen wiederholten Foulspiels (45.+2)
Gelbe Karten: - / Gattuso