
Torloses Remis England blamiert sich gegen Algerien
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Es hätte ein so schöner Tag für England werden können: Erzrivale Deutschland hatte verloren, Pannen-Torwart Robert Green spielte nicht und die Prinzen William und Harry saßen beim Spiel gegen Algerien erwartungsfroh auf der Tribüne des Green-Point-Stadions in Kapstadt.
Das Einzige, was für einen rundum gelungenen Abend fehlte, war eine überzeugende Leistung der Mannschaft. Und darauf sollten William, Harry und der Rest der 64.100 Zuschauer vergeblich warten. Englands Nationalmannschaft, die sich selbst zur Fußball-Aristokratie zählt, zeigte gegen Algerien ein Spiel, das an dieser Einschätzung erhebliche Zweifel weckt. Denn für den Gegner aus Nordafrika war das 0:0 keinesfalls glücklich.
"Ein Punkt gegen England ist nicht schlecht, aber ich bin damit nicht zufrieden. Wir hätten gewinnen können", sagte Algeriens Anthar Yahia, der beim VfL Bochum spielt. Englands Kapitän Steven Gerrard zeigte sich frustriert. "Wir stehen jetzt natürlich mächtig unter Druck. Auch gegen Algerien waren wir nicht gut genug. Wenn wir das Achtelfinale noch erreichen wollen, müssen wir uns endlich steigern."
England begann die Partie engagiert. Aber schon in der Anfangsphase zeigte sich, was der Rest der Partie bestätigen sollte: Von einem effektiven und durchdachten Aufbau- und Angriffsspiel waren die Briten weit entfernt. Und es lag nicht nur am oft bemühten letzten, entscheidenden Pass, der nicht ankam. Schon vorher verlor die Startruppe um Stürmer Wayne Rooney sehr viele Bälle.
Dabei wäre Algerien nach dem dürftigen Auftakt gegen die USA (1:1) ein guter Aufbaugegner gewesen, denn die Afrikaner hatten in ihrem ersten Gruppenspiel (0:1 gegen Slowenien) ebenso wenig überzeugt. So stand bei den Algeriern mit Rais M'bolhi der ursprüngliche Ersatzkeeper zwischen den Pfosten, nachdem Fawzi Chaouchi bei der Niederlage gegen Slowenien beim Gegentor ein ähnlich schwerer Patzer wie Englands Green gegen die USA unterlaufen war. Allerdings spielte auch Englands David James, der nach dem Aussetzer von Green von Trainer Fabio Capello den Vorzug erhielt, keineswegs immer souverän.
Englands Offensivspiel: Fehlpässe, Fouls und harmlose Schüsse
So entwickelte sich ein Spiel, in dem die hochgelobten Engländer lange ohne nennenswerte Offensivaktionen blieben. Rooneys Sturmpartner Emile Heskey spielte wie in fast allen seinen Länderspielen: einsatzfreudig, aber völlig harmlos. Rooney war aber nicht viel besser. Und das Mittelfeld um Frank Lampard und Steven Gerrard war meist damit beschäftigt, den Algeriern hinterherzulaufen. Denn die Afrikaner spielten nach den ersten 15 Minuten zielstrebiger nach vorn und kamen durch Ryad Boudebouz zu einer guten Schusschance (22.). Eine Minute später klärte Gareth Barry vor dem einschussbereiten Karim Ziani vom VfL Wolfsburg.
Englands kümmerliche Angriffsbemühungen bestanden dagegen im Wesentlichen aus Flanken ins Nirgendwo, Fehlpässen, harmlosen Distanzschüssen und Offensivfouls. Bezeichnend war eine Szene in der 35. Minute: Barry vertändelte in der algerischen Hälfte den Ball, die Afrikaner spielten über wenige Stationen nach vorne und Ziani schloss zügig mit einem Schuss ab, der knapp daneben ging. Capello war nach dem Spiel ratlos: "Das ist nicht das Team, das ich kenne."
Es dauerte eine halbe Stunde, ehe Englands Gerrard zum ersten Mal einen brauchbaren Schuss abgab, den M'bolhi allerdings problemlos festhalten konnte. Die beste Chance für England hatte Lampard, der nach einer Vorlage von Heskey zehn Meter vor dem algerischen Tor frei zum Schuss kam - auch hier parierte der Torwart ohne Mühe (33.). Barry, der für James Milner im Mittelfeld spielte, probierte es aus der Distanz (39.). Stürmerstar Rooney kam in der 43. Minute zu seiner ersten nennenswerten Chance - ebenfalls aus der Distanz, und ebenfalls ohne den algerischen Torhüter in Verlegenheit zu bringen.
Wer nach dem Seitenwechsel einen englischen Sturmlauf erwartet hatte, sah sich getäuscht. Es dauerte nach Wiederanpfiff fast 20 Minuten, ehe Capellos Team einen gefährlichen Angriff zustande brachte. Gerrard leitete in der 69. Minute einen Ball direkt auf Heskey weiter, der - anstatt selbst zu schießen - auf Rooney querlegte. Doch auch dieser Pass kam nicht an, weil ein algerischer Abwehrspieler dazwischengrätschte. Kurz darauf wechselte Capello den bemühten, aber spielerisch limitierten Heskey gegen Jermain Defoe aus.
Rooney wie ein Fremdkörper
England verstärkte eine Viertelstunde vor Schluss seine Offensivbemühungen. Die waren zwar weiterhin wenig durchdacht, aber immerhin ein wenig druckvoller. Rooney schien sich zu diesem Zeitpunkt schon mit dem torlosen Remis abgefunden zu haben - er, der einer der Stars des Turniers werden sollte, lief teilweise über den Platz, als habe er mit dem Spiel seiner Mannschaft nichts zu tun. Falls er sich von der Leistung seines Teams hätte distanzieren wollen - man hätte es ihm kaum verübeln können.
Denn die kurze englische Druckphase hielt kaum zehn Minuten. Dann bestimmten bis zum Abpfiff von Schiedsrichter Rawschan Irmatow wieder Fehlpässe, Hilf- und Ideenlosigkeit das englische Spiel, und das, obwohl auch Algerien lange nicht mehr so mutig und organisiert spielte wie noch in der ersten Halbzeit.
"Für diese Leistung gibt es keine Entschuldigung. Das war nicht unser Niveau. Wir haben jetzt mehr Druck, aber damit müssen wir umgehen", sagte Gerrard. "In der Schlussphase waren wir nicht gut genug, um das Spiel noch zu drehen." Rooney ließ derweil seinen Frust an den Fans aus. "Es ist richtig schön, wenn die eigenen Fans einen nach dem Spiel auspfeifen", sagte er ironisch.
Das hörte sich vor dem Spiel noch ganz anders an. Da hatte Rooney noch getönt, man wolle Deutschland aus dem Turnier werfen. Das ist frühestens im Achtelfinale möglich. Dazu sollte England am Mittwoch im letzten Gruppenspiel gegen Tabellenführer Slowenien möglichst gewinnen. Algerien tritt zeitgleich gegen die USA an (beide 16 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE).
Achtelfinale - nach dieser Leistung ist fraglich, ob es England überhaupt dorthin schafft.
England - Algerien 0:0
England: James - Johnson, Carragher, Terry, Ashley Cole - Lampard, Barry (84. Crouch) - Lennon (63. Wright-Phillips), Gerrard - Rooney, Heskey (74. Defoe)
Algerien: M'bolhi - Bougherra, Belhadj, Yahia - Kadir, Yebda (89. Mesbah), Lacen, Halliche - Boudebouz (74. Abdoun), Ziani (81. Guedioura) - Matmour
Schiedsrichter: Irmatow (Usbekistan)
Zuschauer: 64.100
Gelbe Karten: Carragher (2) - Lacen
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