Torwart Müller Neue Macht aus Mainz

Mainzer Torwart Müller: "Was ich im Ausland gemacht habe, hat ja keinen interessiert"
Foto: Uwe Anspach/ picture-alliance/ dpaHeinz Müller wohnt jetzt in Mainz. Dort ist auch sein Arbeitgeber. Er hätte sich vieles vorstellen können, aber nicht das.
Als Müller, das Torwarttalent, vor zehn Jahren seine Heimatstadt verließ, hätte er kaum eine Karriereoption ausgeschlossen. Den FSV Mainz 05 allerdings schon.
Als Frankfurter zieht man nicht einfach so nach Mainz - und für einen aufstrebenden Fußballspieler war der örtliche Club damals in etwa so attraktiv wie der FC Gütersloh oder der FSV Zwickau, die damals mit den 05ern in der Zweiten Liga vor sich hinkickten: "Ganz ehrlich", sagt Müller, "als ich vor zehn Jahren weg bin aus Frankfurt, hat Mainz fußballerisch gesehen keine so große Rolle gespielt."
Heute ist das Stadion am Bruchweg bei jedem Spiel ausverkauft. Und Müller hat den einzigen Spieler verdrängt, der schon damals im Kader der 05er stand: Dimo Wache, seit 1995 im Club, ist seit dieser Saison nur noch die Nummer zwei in der internen Rangfolge. Dass es so kommen würde, stand im Grunde genommen in dem Moment fest, als Müller verpflichtet wurde. Schließlich hält 05-Manager Christian Heidel genau so viel von dem 31-Jährigen wie Felix Magath, der ihn zum VfL Wolfsburg holen wollte - was eine Verletzung verhinderte. Überregional fand die Personalie zunächst dennoch kaum Beachtung.
Dass sich im Tor der 05er etwas Bemerkenswertes ereignet hatte, wurde der Fußballnation so richtig erst am 23. August bewusst. Am dritten Spieltag besiegte eine völlig entfesselte Mainzer Mannschaft den FC Bayern 2:1, Müller hielt auch, was nicht zu halten war. Vom "kicker" wurde er daraufhin mit einer glatten "1" und vom Aktuellen Sportstudio mit einer Einladung belohnt. Eigentlich war Trainer Thomas Tuchel vorgesehen. Doch der beschied die ZDF-Leute vor laufender Kamera freundlich, er wolle nicht kommen. Die Mannschaft habe sich die Lorbeeren verdient, nicht er.
Explosiv auf dem Platz, zurückhaltend im TV-Studio
"Das war schon eine ungewöhnliche Aktion", sagt Müller, "er fand, dass die Mannschaft belohnt werden sollte. So etwas habe ich noch nie erlebt." An Tuchels Stelle ging Müller ins Sportstudio, wo er Moderator Michael Steinbrecher erkennbar zu wenig euphorisch über das Erlebte plauderte.
Müller ist keiner, der druckwürdige Zitate am Stück heraushaut. Wer sich mit ihm unterhält, trifft auf einen freundlichen, aber recht zurückhaltenden Mann, der in Zivilkleidung so rein gar nicht zu seinem Ego im Torwartdress passen will. Zu diesem Derwisch, der nach jedem geblockten Flankenball jedes Mitglied der Defensivformation neu motiviert, der aus 94 Kilo Körperspannung zu bestehen scheint, die sich nach einem Tor oder einer gelungenen Parade explosionsartig entladen. Doch mit diesem verbalen Understatement passt er vielleicht ganz gut nach Mainz, wo Anspruch und Wirklichkeit seit Jahren in einem ziemlich realistischen Verhältnis zueinander stehen.
Genau das hält Müller auch für den eigentlichen Grund, warum am Bruchweg nach Meinung vieler das lauteste Publikum der Liga sein Unwesen treibt. Und gleichzeitig eines der wenigen, das nach dem "Hosiannah" nicht "Kreuzigt ihn" ruft, weil es auch nach Niederlagen nicht jedes Maß verliert: "Jedem ist klar, dass wir nicht unter den ersten fünf landen werden." Der Mannschaft tue dieser Realismus gut, sagt Müller: "Es hilft, wenn man weiß, dass man auch zwei schlechte Spiele machen kann, ohne dass die Fans einen fertigmachen."
Zahlreiche Stationen, später Durchbruch
So ausgeglichen Müller die Fragen abarbeitet, bei einem Wort wird er dann doch etwas energischer. Dass er ein "Spätstarter" sei, hat er mittlerweile ein bisschen zu oft gehört. Ihn ärgert das. Wer wie er mit 31 Jahren sein erstes Bundesligaspiel gemacht hat, müsse deswegen in den Jahren zuvor ja keine andere Sportart betrieben haben, sagt er - und lässt seine Karriere Revue passieren. Bis er 23 war, kam er in Hannover nicht an Ikone Jörg Sievers vorbei, auch in Bielefeld konnte er sich nicht durchsetzen. Doch schon beim FC St. Pauli, wohin er mitten in der Saison gewechselt war, überzeugte der damals 24-Jährige und war vom ersten Tag an die Nummer eins. Auch in Regensburg war er der Stammkeeper, ehe ihn eine Verletzung außer Gefecht setzte.
Müller wechselte zu Odd Grenland nach Norwegen, später nach Lillestrøm, dann zum FC Barnsley nach England. Drei Vereine, zwei Parallelen. Die erste: Müller war überall Stammkeeper und Volksheld. Die zweite: "Was ich im Ausland gemacht habe, hat ja keinen in Deutschland interessiert." Ein bisschen angefressen klingt er schon, als er diesen Satz sagt und vielleicht schiebt er auch ein bisschen zu schnell nach, dass er noch mal alles genau so machen würde. Nach Norwegen gehen, wo es ihm Land und Leute angetan haben. Oder nach England, wo man als Profi einfach mal gespielt haben müsse.
Müller hat beim FC Barnsley gespielt - wie Lars Leese. Von dem hat man hierzulande erst durch das Buch "Der Traumhüter" erfahren, in dem Ronald Reng dessen außergewöhnlichen Karriere nachzeichnet. Wer nun meint, dass ein deutscher Fußballspieler, der zwei Jahre lang beim gleichen Club als deutscher Keeper gearbeitet hat, solch ein Buch bereits vor Jahren verschlungen hat, sieht sich getäuscht. "Angelesen", habe er es schon, sagt Müller. Aber dann wieder weggelegt, obwohl ihm das Gelesene "gut gefallen" hat. "Der Traumhüter" liegt noch auf seinem Schreibtisch. "Keine Sorge, ich werde es schon noch lesen." Auch da will er sich Zeit lassen. Er hat gelernt, dass er sich das leisten kann.