
Trainertaktik Löws Scheu vor dem Schnitt
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Bundestrainer Joachim Löw hat eine besondere Beziehung zu Wasser. Das Maß seiner Anspannung erkennt man oft an seinem Umgang mit umherstehenden Flaschen. Ist er verärgert, wirft er sie auf den Boden, bei Nervosität kratzt er am Etikett. Will er die Emotionen kontrollieren, nimmt Löw einen Schluck aus einer der Flaschen, hält ihn wie einen edlen Tropfen im Mund, um ihn Sekunden später genussvoll hinunter zu schlucken.
In diesen Tagen ist die Anspannung des Bundestrainers besonders groß. Am Sonntag spielt die deutsche Nationalmannschaft im Achtelfinale der Weltmeisterschaft gegen England (16 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE). Drei Tage blieben Löw, um seine Spieler darauf vorzubereiten und wenn man dem Trainer und seinem Team zuhört, fragt man sich, ob die Deutschen überhaupt gegen England antreten sollten, so labil scheint ihr mentales Gerüst zu sein.
Die Mannschaft sei jung, der Druck deshalb besonders schwer zu verarbeiten, sagt Co-Trainer Hans Flick. Sie beobachte die Erwartungshaltung in Deutschland, deren Umsetzung für ein so junges Team kein leichter Auftrag sei. Beim 1:0-Sieg gegen Ghana habe die Angst vor der historischen Katastrophe, dem Aus in der Vorrunde, mitgespielt. Das könne einer Mannschaft wie dieser, die noch am Wachsen sei, schon mal passieren. Ganz schnell raube das die Leichtigkeit. Ob die Gedanken beim nächsten Spiel wieder frei sein werden? Das könne man nicht so einfach sagen. Gerade die mit international erfahrenen Spielern wie Frank Lampard oder besetzten Engländer, hätten natürlich eine gewisse Klasse voraus, die den Druck auf das DFB-Team nicht gerade nehme.
Innerhalb von einer Turnierwoche scheint sich die Unbekümmertheit der Hoffnungsträger des deutschen Fußballs in eine Mischung aus Angst und Respekt verwandelt zu haben. Was ist passiert? Ist die deutsche Leichtigkeit, mit der oder das Auftaktspiel der Deutschen gegen Australien bestimmt hatten, bereits verflogen?
Löws geschickter Schachzug
Die Defizite seiner Mannschaft öffentlich mit der Drucksituation zu erklären, ist sehr geschickt von Taktiker Löw. Diese Art von Rechtfertigung des Trainers verletzt keinen einzelnen Spieler, die Kritik umfasst die ganze Mannschaft und geht nicht ins Detail. Gerade im Bezug auf das aktuelle Team, das sich in einem Generationswechsel befindet, könnte man die Schwäche nachvollziehen. Doch die Anspannung Löws könnte auch mit einer weiteren Erkenntnis verbunden sein, die nicht innerhalb von drei Tagen zu lösen ist.
Analysiert man die bisherige Leistung der einzelnen Spieler in diesem Turnier näher, erkennt man, dass nicht nur bereits gegen Serbien an die Grenze seiner momentanen Leistungsfähigkeit stieß. Sein Kollege in der Innenverteidigung, , forderte bereits alle Mannschaftsteile auf, besser zu spielen. Kapitän kritisierte wiederholt das eigene Stellungsspiel und das seiner Kollegen. Auch , der bisher jedes Spiel absolvierte und dafür öffentlich gelobt wird, könnte hinterfragen, ob er wirklich jeden Ball, teilweise ohne jegliche Aussicht auf Erfolg, aufs Tor schießen sollte.
Ist es also wirklich die Nervosität der unerfahrenen Spieler, die die deutsche Mannschaft daran hindert, ihren Rhythmus zu finden, die den von Löw geforderten Kombinationsfußball verschwinden und das Deckungssystem wackeln lässt? Auch der gegen Ghana gesperrte hat bisher mehr falsche als richtige Entscheidungen auf dem Spielfeld getroffen. Es ist wahrscheinlich, dass er trotzdem gegen England in der Startelf stehen wird, denn "bei ihm weiß man, dass er in solchen Spielen wichtig ist", sagt der Bundestrainer, "Miro hat in großen Spielen immer getroffen".
Väterliche Fürsorge vs. schmerzhafte Personalentscheidungen
Joachim Löw hat mithilfe einer akribischen Vorbereitung eine Mannschaft für dieses Turnier zusammengestellt, die nicht nur Lahm als eines der Teams mit dem größten Potential beschreibt. Auch wenn das Team noch einen Entwicklungsprozess durchlaufen muss, wie Lahm sagt, verdient Löw Respekt für diese Arbeit und seinen Mut, trotz Rückschlägen seiner Philosophie treu geblieben zu sein. Auch die Art, in der er sich öffentlich vor seine Spieler stellt, sie fast wie ein Vater beschützt, ist nicht selbstverständlich. Manchmal scheint diese Fürsorge den Bundestrainer jedoch darin zu hemmen, auch während des Turniers schmerzhafte Personalentscheidungen zu treffen.
Löw betont wiederholt, dass man Spieler, die in der Vergangenheit Großes geleistet haben, nicht zu hart kritisieren solle. Er sehe zum Beispiel keinen Grund, an Mertesackers Bedeutung für diese Mannschaft zu zweifeln. Denn gerade, wenn es gegen Gegner wie England gehe, die viel Druck machten und mit hohen Flanken operierten, sei Mertesacker immer stark hinten. Auch Mertesacker wird voraussichtlich gegen England wieder das Vertrauen des Trainers genießen dürfen.
Wäre es wirklich ein Verrat gegen die eigene Philosophie, wenn Löw im nächsten Spiel das Risiko eingehen würde, den ein oder anderen erfahrenen Spieler, der momentan nach seiner Hochform sucht, nicht aufzustellen, um sein Vertrauen dafür motivierten jungen Ersatzkräften wie zum Beispiel zu schenken?
Löw will sein System nur in dem Fall ändern, sollte aufgrund seiner Muskelverhärtung im linken Oberschenkel nicht spielen können. "Ich könnte mir Toni Kroos gut als Ersatz für Schweini vorstellen", sagt Löw. Der 20-Jährige ersetzte Schweinsteiger bereits während der Partie gegen Ghana. "Er wirkte frisch und gar nicht nervös, obwohl es sein erstes Turnier ist", sagt Löw, ehe er einen tiefen Schluck aus seiner Wasserflasche nimmt.
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