Tschechien-Pleite Stark gespielt und doch verloren
In der Theorie hatte der weitere Verlauf der Europameisterschaft aus deutscher Sicht nach dem ersten Spieltag des Turniers ungefähr so ausgesehen: Löws Mannschaft gewinnt ihre Gruppe und spielt dann gegen den Zweiten der Gruppe A, vermutlich Tschechien. Das schien der leichtere Weg ins Halbfinale, wenn man diese Aussichten mit all den Spaniern, Italienern, Franzosen und Niederländern verglich, die im anderen Zweig des Turniers gelauert hätten. Doch nach dem 3:1-Sieg Portugals über Tschechien hat diese sowieso schon wackelige Rechnung noch ein paar Variablen mehr bekommen.
Denn trotz der Niederlage waren die Tschechen im Vergleich zum Eröffnungsspiel nicht wiederzuerkennen. Hatten sie gegen die Schweiz noch statisch und ängstlich gespielt, agierten sie gegen Portugal deutlich klarer und engagierter. Ein Grund dafür war der Wechsel der einzigen Sturmspitze.
Tschechiens Trainer Karel Brückner verzichtete auf den Nürnberger Jan Koller und nahm seiner Mannschaft damit die Versuchung, den riesenhaften Mittelstürmer ständig mit hohen Bällen anzuspielen, wie sie das noch vier Tage zuvor immer wieder getan hatte. Ersetzt wurde Koller überraschenderweise aber nicht vom früheren Gladbacher Vaclav Sverkos, der gegen die Schweiz den Siegtreffer erzielt hatte, sondern von Milan Baros.
Hinter dem tschechischen Held vergangener Zeiten, der immerhin 31 Tore in 64 Länderspielen erzielt hat, liegen drei katastrophale Jahre in der Premier League. Beim FC Portsmouth saß er zuletzt nur noch auf der Bank. Doch bei seinem ersten Einsatz während der Europameisterschaft war er anfangs erstaunlich stark und trug viel dazu bei, dass die tschechische Mannschaft fast wie neugeboren wirkte. Konnten die Portugiesen in der ersten Viertelstunde noch hübsch kombinieren und bereits nach acht Minuten durch Deco in Führung gehen, bereiteten ihnen die Tschechen anschließend einen unangenehmen Sommerabend. Nach dem Ausgleich durch den erneut starken Rechtsaußen Libor Sionko, der einen Eckball einköpfte, plagten die Tschechen ihren Gegner vor allem durch sehr aggressives und körperliches Spiel.
Daran änderte sich das ganze Spiel über nichts. Immer wieder zeigten die Tschechen die Schwächen der Portugiesen auf, die bei Eckbällen genauso wankten wie bei Flanken generell. "Gegen die Schweiz haben wir schlecht gespielt und gewonnen, gegen Portugal gut und verloren", sagte David Jarolim. Allerdings bestand kein Zweifel daran, dass die Portugiesen die bessere Mannschaft waren und verdient gewannen. Während die Tschechen als möglicher deutscher Gegner im Viertelfinal stärker wirkten als zunächst geglaubt, sah man bei den Portugiesen, dem möglichen deutschen Gegner im Halbfinale, erstaunliche Mängel in der Abwehr.
Ob Pepe, Ricardo Carvalho oder Rechtsverteidiger Bosingwa, der zum FC Chelsea wechselt. Portugiesische Verteidiger gehören zu den teuersten im Weltfußball, aber in Genf passten sie nicht richtig zusammen. "Wir haben nicht gut verteidigt", sagte Carvalho, der Verteidiger von Chelsea, "aber wir haben so viel Qualität vorne." Sollten es die Deutschen bis ins Halbfinale schaffen, könnten diese unausgewuchteten Portugiesen durchaus der Gegner sein. Denn so wackelig sie hinten wirkten, so überzeugend spielten sie nach vorne.
"Mein Anteil an diesem Sieg ist eher gering", sagte Cristiano Ronaldo, was völlig falsche (und wahrscheinlich auch nicht ernst gemeinte) Bescheidenheit war. Denn der Sieg gründete vor allem auf seiner Zusammenarbeit mit dem von seiner langen Formkrise genesenen Deco. Sie waren an allen drei Toren beteiligt und erzielten je einen Treffer.
Als "Hirn der Portugiesen" bezeichnete ihn Tschechiens Trainer Karel Brückner. Und für den Bremer Hugo Almeida ist sein Mannschaftskamerad Deco "der beste Mittelfeldspieler Europas." Das ist vielleicht übertrieben, aber langsam ist der gebürtige Brasilianer wieder auf dem Weg dahin, ein ernsthafter Kandidat dafür zu sein. Aber noch ist es hoffentlich einige Tage hin, bis sich Löw und sein Team darüber Gedanken machen müssen.