
Halbfinal-Aus bei U21-EM Im falschen Film
Wolfgang Niersbach rang um Fassung, als er das hübsche Fußballstadion von Olmütz verließ, wo Deutschlands U21-Nationalmannschaft gerade eine entsetzliche Demütigung erlebt hatte. 0:5 (0:3) war die Mannschaft von Trainer Horst Hrubesch im EM-Halbfinale gegen Portugal untergegangen, und der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) musste plötzlich Worte bemühen, die in seiner gut dreijährigen Amtszeit zu verstauben drohten.
Portugal habe den stolzen Deutschen eine "Lehrstunde" erteilt, erklärte Niersbach mit dünnen Lippen. Der Funktionär sprach von einer "Vorführung" und überließ die tiefere Interpretation den gedemütigten Spielern und ihrem Trainer, der aber nicht wirklich weiterwusste.
"Manchmal habe ich gedacht, ich bin im falschen Film", sagte Horst Hrubesch, der zwar verschiedene Wechsel und Umstellungen vorgenommen hatte, doch die hatten keine Wirkung gezeigt. Seine Ursachenforschung beschränkte sich auf den Hinweis, dass junge Spieler nun mal "Schwankungen unterliegen".
Hat Hrubesch etwas übersehen?
Und weil das nicht wirklich überzeugend war, geriet ein Satz von Matthias Ginter in den Mittelpunkt der Analyse dieses erstaunlichen Untergangs: "Nicht alle, aber ich glaube einige müssen sich da schon hinterfragen, ob sie eben alles für dieses Halbfinale gemacht haben in den letzten Tagen", sagte der Innenverteidiger. Inhaltlich lässt diese Aussage kaum Interpretationsspielräume.
Offenbar ist Ginter der Meinung, dass sich einige Spieler in den Tagen vor diesem Halbfinale nicht professionell verhalten haben, und wenn ausgerechnet der Dortmunder zu diesem Urteil kommt, ist das hoch interessant. Ginter ist der einzige Spieler im U21-Kader, der im vorigen Jahr bei der WM in Brasilien dabei gewesen ist.
Er hat erlebt, wie Bundestrainer Joachim Löw, Kapitän Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und all die anderen sich während des Erfolgsturniers verhalten haben. Wie sie sich auf die großen Schlachten vorbereiteten, wie sie ihren Willen schärften, wie eine Atmosphäre geschaffen wurde, in der wirklich Großes möglich wurde.
Ginters Satz klang nun wie der Vorwurf an die Mitspieler, einer solchen Dynamik im Weg gestanden zu haben. Emre Can gab sogar zu: "Vielleicht habe ich vor dem Spiel gedacht, ich bin der Größte. Ich glaube, ich muss wieder auf den Boden kommen. Ich bin in den letzten zwei Wochen viel gelobt worden. Vielleicht haben wir es zu locker genommen."
Hat Horst Hrubesch also möglicherweise Strömungen im Team übersehen, die zu diesem Desaster beigetragen haben? Der 64-Jährige gilt als Trainer, der seine Spieler liebt. Seine große Stärke ist es, enge persönliche Beziehungen zu seinen Spielern aufzubauen.
Positives Gesamtfazit
Ist darüber möglicherweise die Spannung, die in so einem Turnier entwickelt und gepflegt werden muss, verloren gegangen? "Ich muss es mir selbst noch erklären und mit den Spielern noch mal reden darüber", erwiderte Hrubesch auf die Frage nach dem Warum.
Bei genauer Analyse wird er kaum umhinkommen, zu erkennen, dass diese Mannschaft nie richtig in dieses Turnier hineingefunden hat. Hrubesch wollte davon zwar erst mal nichts wissen. Den Gesamtverlauf des Turniers fand Hrubesch "absolut positiv", den Weg zu einem Lebenstraum hat er sich ja geebnet: Im kommenden Jahr darf er mit einer Olympiamannschaft an den Spielen von Rio teilnehmen.
Beim Deutschen Fußball-Bund wird niemand auf die Idee kommen, Hrubesch vor dem olympischen Turnier durch einen anderen Trainer zu ersetzen. Doch die Analysten des DFB werden die Arbeit des ehemaligen Weltklassestürmers durchaus kritisch hinterfragen.
"Wir hatten auch in der Vorrunde schon Probleme"
Zu anderen Mannschaften passte Hrubeschs spezielle Herangehensweise ganz wunderbar, in Tschechien ist irgendetwas aus dem Ruder gelaufen. Und zwar nicht erst in diesem Halbfinale. "Wir hatten auch in der Vorrunde schon Probleme", sagte Marc-André ter Stegen.
Eigentlich gab es nur ein gutes Spiel: das 3:0 gegen Dänemark. Die anderen beiden Vorrundenpartien waren über weite Strecken enttäuschend. Und das Halbfinale gegen die zweifellos starken Portugiesen "hätte auch noch schlimmer ausgehen können", gab Hrubesch zu.
Die unbestritten hoch veranlagten Einzelspieler sind in diesem Turnier nie zu einer großen Mannschaft verschmolzen. Sie hatten gute Momente, aber nicht den Esprit von Champions.
Immer wieder hatte Hrubesch in Prag gesagt, dass diese Mannschaft "noch weiter ist als die 2009er" um Manuel Neuer, Sami Khedira, Mesut Özil und Mats Hummels, mit denen er vor sechs Jahren in Schweden U21-Europameister geworden war. Auch die damalige Mannschaft spielte keineswegs glänzend, aber sie steigerte sich und entwickelte eine besondere Gewinnerkraft. Das fehlte dieser Mannschaft, und Matthias Ginter hat das mit seiner WM-Erfahrung offenbar stärker gespürt als der Rest des Teams.