
Hannover und Freiburg: Die Überraschungsteams
Überraschungsteams 96 und Freiburg Kellerkinder im Dachgeschoss der Liga
Jörg Schmadtke hatte immer schon einen leichten Hang zum Extravaganten. Als Torwart bevorzugte er Sportkleidung, die so bunt war, dass beim Zuschauen die Augen schmerzten. Als Manager pflegt er eine Vorliebe für modische Brillen. Die Wahl seiner Vereine mag dazu allerdings nicht wirklich passen. Der SC Freiburg, wo er als Spieler aktiv war, und Hannover 96, wo er jetzt Sportdirektor ist, sind so ungefähr das komplette Gegenteil von Extravaganz. Freiburg und Hannover: Das riecht nach Mittelmaß, wäre aber im Moment eine Spitzenpartie. Die beiden Mannschaften sind nach Mainz die Überraschungsteams der Liga.
Hannover liegt nach dem Sieg über Köln zumindest bis zum Sonntagnachmittag mit 16 Punkten auf Platz drei, Freiburg hat einen Zähler weniger auf Rang sechs. Man muss nur wenige Monate zurückgehen bis an den Beginn der Saison, da waren sich selten Experten so einig über die Abstiegskandidaten Nummer eins und zwei: Die hießen Hannover und Freiburg.
Vor allem den Niedersachen, die erst am letzten Spieltag der Vorsaison die Klasse gesichert hatten, traute keiner so recht etwas zu. Hannover, daran wird in den kommenden Wochen noch oft genug erinnert werden, hat in der vergangenen Saison Extremerfahrungen machen müssen, die im deutschen Profifußball bisher unbekannt waren. Nach der Selbsttötung des Torwarts und Mannschaftskapitäns Robert Enke, die sich am 10. November jährt, sei die Mannschaft von einem "Sog" erfasst worden, hat Schmadtke in einem Interview mit dem Magazin "11 Freunde" gesagt: "Es herrschte eine bedrückte Stimmung, die sich nicht nacherzählen lässt." Die Spieler hätten nicht mehr gewusst, "darf ich im Training lachen, darf ich nach einem Tor jubeln?", wie Trainer Mirko Slomka in demselben Interview berichtet.
Drei eigenbezogene Persönlichkeiten
Es hat Monate gedauert, bis das Team sich daraus befreien konnte. Es brauchte augenscheinlich eine neue Spielzeit, um sich wieder ganz aufs Sportliche konzentrieren zu können. Dazu kommt die sehr spezielle Gemengelage zwischen Slomka, Schmadtke und Präsident Martin Kind - drei eigenwillige und durchaus eigenbezogene Persönlichkeiten, für die ein Raum eigentlich zu klein ist. In der Sommerpause sind Trainer und Sportdirektor denn auch mehrfach aneinandergeraten. Schmadtke sagt: "Ich habe kein Problem damit, wenn man sich auch kontrovers austauscht."
Das beste Mittel gegen Disharmonien ist im Fußball immer noch Erfolg. Und weil der momentan da ist, tun Slomka und Schmadtke ihre Differenzen des Sommers nun als Medienthema ab. Tatsächlich spricht derzeit relativ wenig dagegen, dass sich beide zusammenraufen. Slomka hat es hingebracht, Spieler wie Torwart Florian Fromlowitz oder Verteidiger Christian Schulz wieder mit Selbstbewusstsein vollzupumpen. Schmadtke hat mit den von ihm in Norwegen akquirierten Zugängen in der Offensive, Didier Ya Konan und Mohammed Abdellaoue, zwei Volltreffer gelandet. Im Moment ist selbst der allmächtige Präsident Kind mal zufrieden und relativ ruhig.
Freiburg ohne Strahlkraft zum Erfolg
Mit egozentrischen Managern und Präsidenten hat Robin Dutt in Freiburg das geringste Problem. Die Führungsriege in dem Club funktioniert traditionell geräuscharm. Dutt weiß zudem, was er Sportdirektor Dirk Dufner und Präsident Fritz Keller zu verdanken hat, als sie ihm in einer schwierigen Phase der Vorsaison die Treue hielten. Dutt ist eigentlich mit einem Jahr Bundesliga-Erfahrung noch ein Novize in der Branche. Vor Freiburg hat er lediglich den Drittligisten Stuttgarter Kickers trainiert. Trotzdem strahlt der 45-Jährige eine Selbstsicherheit aus, die den Eindruck erweckt, als sei der Mann schon mindestens zehn Jahre im Erstligafußball zu Hause.
Dutt hat eine Mannschaft zur Verfügung, die nur auf den ersten Blick vorrangig von den Toren ihres Top-Stürmers Papiss Demba Cissé profitiert. Hinter Cissé hat er mit Julian Schuster, Cédric Makiadi oder Yassine Abdessadki ein spielstarkes Mittelfeld aufgebaut. In der Defensive stehen Oliver Barth und Ömer Toprak für Ordnung und Sicherheit. Das sind alles Namen, die in der Liga noch keine große Strahlkraft haben. Aber das passt zu Dutt, das passt zu Freiburg.
Die derzeitigen Tabellenränge sind Momentaufnahmen. Dutt und Slomka werden klug genug sein, das zu wissen. Wenn die grauen kalten Dezember-Spieltage kommen, wenn der FC Bayern, der VfB Stuttgart oder Schalke 04 die Form finden, die ihnen gebührt, dann werden 96 und der SC auch wieder in die Regionen zurückbeordert, die den Clubs nach ihrem prinzipiellen Leistungsvermögen auch zustehen. Aber Abstieg - das ist im Moment ein Thema, mit dem sollen sie sich in Köln, Kaiserslautern oder Mönchengladbach befassen.
Jedenfalls nicht in Hannover, nicht in Freiburg.