Fan-Szene im Fußball Ultras stellen sich der Debatte

Ultras sind gewaltbereit, aggressiv und treten martialisch auf - so lauten die gängigen Urteile und Vorurteile. Sie werden bestärkt, weil sich die Gruppen nach außen abschotten. Doch jetzt beginnt in der Szene ein Umdenken.
Kölner Fans: "Unsere Gruppe hat mit organisierten Straftaten nichts am Hut"

Kölner Fans: "Unsere Gruppe hat mit organisierten Straftaten nichts am Hut"

Foto: DPA

Die Reise ins Innenleben einer der verschlossensten Ultra-Gruppen Deutschlands beginnt direkt vor dem Kölner Dom. Die beiden Capos der Wilden Horde, einer der berüchtigsten Gruppierungen des Landes, erscheinen mit 15 Minuten Verspätung. Bevor das erste Gespräch mit einem Journalisten beginnt, geht es vorbei an der Kölner Philharmonie, dem Rheinufer bis zu einem Irish Pub am "Alter Markt".

Stephan Schell ist einer der Wortführer der Horde. Auf seinem rechten Bizeps hat er das Wort "Wilde" eintätowiert, auf seinem linken das Wort "Horde". Der 32-Jährige ist muskulös, sein graues T-Shirt spannt an den Schultern und Armen. Wochenlang hat er mit seiner Gruppe darüber debattiert, ob es sinnvoll ist, sich mit Journalisten zu unterhalten. Man sei zuvor zu oft von der Presse enttäuscht worden, vor allem bei Gewaltvorfällen im oder rund ums Stadion herrsche ein Generalverdacht, der die Wilde Horde durchweg einschließt. "Wir wollen nicht, dass man ganz viel Gutes über uns schreibt. Wir wollen einfach, dass die Kirche im Dorf bleibt", sagt der zweite Capo der Gruppe, der sich Tommy nennt.

Bei Mangosaft, Filterkaffee und Bier sprechen die beiden Führungsköpfe der Wilden Horde, einer etwa 800 Personen starken Vereinigung von Anhängern des 1.FC Köln, über ihre Ansichten zu Gewalt, der Vertragsauflösung von Kevin Pezzoni und über ihr Verhältnis zur Polizei. Auch der Angriff mit in Vereinsfarben bemalten Pflastersteinen auf einen Mönchengladbacher Fanbus, durchgeführt von Kölner Chaoten, darunter Ultras, wird thematisiert: "Unsere Gruppe hat mit organisierten Straftaten nichts am Hut", sagt Schell. Aber er gibt auch zu, dass einzelne Mitglieder der Gruppe zu Gewalt neigen und nur schwer zu kontrollieren sind. Es ist die Krux der Ultra-Kultur, dass sie zu indifferent ist, zu komplex. Während Hooligans nur auf Gewalt, auf Schlägerei aus sind und diese auch gezielt suchen, definieren Ultras sich über weitaus mehr, wie die Unterstützung ihrer Mannschaft im Stadion oder die Kritik einer fortschreitenden Kommerzialisierung im Fußball. Von Gewalt wollen sie sich trotzdem nicht vollständig distanzieren. Dafür, so sagen es Schell und Tommy, werde man zu häufig von anderen Ultra-Gruppen oder der Polizei angegriffen.

"Müssen etwas an unserem Image tun"

Capos, die über die Vorwürfe gegen ihre Gruppen sprechen, sind selten. Doch Schell und Tommy sind nicht die einzigen, die dies tun. Vielmehr verfolgt die neue Form der Offenheit gegenüber Medien einen gruppenübergreifenden Plan: Viele der einzelnen Formationen beginnen sich zu professionalisieren, in einigen gibt es mittlerweile sogar Pressesprecher. Der Fanzusammenschluss Unsere Kurve oder das Bündnis Pro Fans reagieren nunmehr deutlich schneller auf medial verbreitete Polizeiberichte als noch vor einigen Monaten. "Natürlich haben wir erkannt, dass wir etwas an unserem Image tun müssen. Sonst wird man nur noch über statt mit uns sprechen", sagt ein Dortmunder Ultra, der allerdings anonym bleiben möchte.

In zahlreichen Städten wie Köln, München oder Dresden werden derzeit Arbeitsgemeinschaften gegründet, die die jeweiligen Ultra-Gruppen zu Gesprächen mit den Vereinen und der Politik bewegen sollen. "Wir sind dafür sehr offen. Wir hoffen, dass dadurch auch die Kommunikation innerhalb der Gemeinschaft des 1. FC Köln verbessert wird. In diesem Bereich haben wir in der Vergangenheit viele Fehler gemacht", sagt Schell.

Einer, für den es keinen Platz an diesem Gesprächstisch gibt, ist Volker Lange. Der Leiter der Polizeiinspektion Köln-West sitzt in seinem Büro und sagt: "Ultras labern nicht mit Bullen." Er ist seit zwei Jahren für die Sicherheit im Kölner Stadion verantwortlich. Bei seinem Dienstantritt hat er alle Capos angeschrieben und wollte sich bei ihnen vorstellen. Die Ultras lehnten allesamt ab. Der Horde-Capo Tommy sagt, seine Gruppe werde "niemals" mit Polizisten sprechen. Dafür sei man in den Jahren zuvor zu häufig zu unfair behandelt worden. Es ist eine einseitige Sichtweise, die Lange nicht versteht. Der Polizei-Boykott der Ultras schaffe so nur weiteres Misstrauen, ihn ärgere es zudem, dass die Ultra-Gruppen Solidarität über Vernunft stellen. Dass Straftäter durch die Gruppen geschützt werden und Ultras sich nicht klar gegen Gewalt positionieren. Die Situation wirkt verfahren.

Viele Ultra-Gruppen fühlen sich von der Polizei gegängelt

Dabei gäbe es reichlich Gesprächsstoff, den nur Ultras und die Polizei miteinander klären können. Beispielsweise die Praxis der Vergabe von Stadion- und Stadtverboten. Beim Fußball reicht es zuweilen, am falschen Ort zu sein, um Eingang in die "Gewalttäter Sport"-Datei zu finden oder ein Stadionverbot zu bekommen. Bei den Coloniacs, einer weiteren Kölner Ultra-Gruppe, hat in den vergangenen Jahren nur ein Gruppenmitglied ein Stadionverbot erhalten. Und dies, obwohl ein Foto zweifelsfrei bewies, dass nicht er einen Bengalo gezündet hatte, sondern sein Nebenmann. Trotzdem dauerte es ein halbes Jahr, bis das Stadionverbot aufgehoben wurde.

Die Vergabe der Stadionverbote wird von vielen Ultras als intransparent bezeichnet, häufig fällt auch das Wort "Willkür". Allein in Köln sind mittlerweile über 100 Personen mit dieser Form der Repression belegt. Für die Polizei ist es hingegen nach wie vor, wie es der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut, formulierte, "eines der wichtigsten Werkzeuge für sichere Stadien."

Die Ultra-Bewegung steht derzeit in Deutschland, so sehen es viele Mitglieder, an einem Scheideweg. Entweder sie schafft es, wieder - wie bei den zahlreichen Gesprächen zur Legalisierung von Pyrotechnik - in einen Dialog mit den Verbänden und der Polizei zu kommen oder sie wird in Zukunft immer härtere Repressionen bis hin zu möglichen Stehplatzverboten oder Gruppenverboten erleben. Ein Gespräch über Stadionverbote wäre nun eine erste Möglichkeit, um wieder eine konstruktive Debatte zu führen, bei denen sich alle Seiten ernst genommen fühlen.

Dafür reicht es aber nicht, dass die Ultras nur mit Journalisten sprechen. Sie müssen auch mit der Polizei reden.

Eine ausführliche Reportage über die Kölner Ultra-Szene finden Sie in der aktuellen Ausgabe des SPIEGEL.

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