Unentschieden gegen Polen Löw zieht die Spaßbremse
Kurz nach dem 2:1-Elfmetertor durch Jakub Blaszczykowski drehte sich Joachim Löw mit dem Rücken zum Spielfeld und lächelte. Der Nationaltrainer schien trotz der drohenden Niederlage zufrieden zu sein. Was paradox klingt, hat eigentlich eine relativ einfache Logik: Das 2:2-Unentschieden von Danzig war Löws geplante Euphoriebremse.
"Es ist gut, wenn wir nicht jedes Spiel gewinnen", sagte Löw denn auch anschließend in der Pressekonferenz. Als das Ausgleichstor von Cacau in der vierten Minute der Nachspielzeit fiel, schüttelte der Nationaltrainer belustigt den Kopf. In diesem Moment hatte man den Eindruck, ihm wäre sogar eine Niederlage gegen Polen lieber gewesen. "Für mich ist es eigentlich egal, wie das Spiel ausgeht. Mir war es viel wichtiger, dass wir heute erkennen, dass vor der Europameisterschaft noch sehr viel Arbeit auf uns wartet", sagte Löw.
Der Nationaltrainer gab zu, sich in den vergangenen Tagen seine Gedanken darüber gemacht zu haben, wie er wieder sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei seinen eigenen Spielern ein angemessenes Realitätsbewusstsein erzeugen kann. Denn nach dem fulminanten 6:2-Sieg in der EM-Qualifikation über Österreich wurde seine Mannschaft nur so mit Lob überschüttet. Zuletzt kreiste die Diskussion eher darum, ob das deutsche Nationalteam Spanien im EM-Finale 2012 hoch oder doch eher knapp schlagen wird.

"Wir haben uns zuletzt eine Basis aufgebaut. Mehr nicht. Jetzt geht es um das Feintuning", sagte Per Mertesacker nach dem Spiel gegen Polen. Der Neu-Londoner war einer der Garanten für die löwsche Euphoriebremse. Mertesacker sowie sechs weitere Spieler, die gegen Österreich nicht zum Stamm zählten, ließ Löw gegen den Mit-Gastgeber der kommenden Europameisterschaft antreten. Vielleicht war dies auch als ein Geschenk an die Polen gedacht. Quasi ein vorgezogener Dank für die Möglichkeit, während der EM im Danziger Edelhotel Dwor Oliwski logieren zu dürfen.
Aber möglicherweise war es einfach Löws Art, seine Mannschaft wieder wachzurütteln. Denn dem Nationalcoach muss bereits bei der Aufstellung klar gewesen sein, dass sein Team in dieser Konstellation weder neue Jubelstürme noch faszinierende Ballstafetten fabrizieren würde. Und, dass insbesondere die Abwehr, die Löw im Vergleich zum Österreich-Spiel auf drei Positionen umgestellt hatte, gehörig wackeln könnte. "Wir haben viele Fehler einkalkuliert", sagte Löw.
Wenn es so war, ging die Rechnung vollends auf. Mertesacker, Jérôme Boateng und Christian Träsch waren wiederholt überfordert mit den schnellen Kontern der überraschend torgefährlichen Polen. Die Abstände zwischen der deutschen Abwehr und dem defensiven Mittelfeld waren riesig. Zudem erwischte Simon Rolfes, der Vertreter von Bastian Schweinsteiger, im neugebauten Danziger Stadion einen schwarzen Tag. Der eigentlich als Taktgeber der Mannschaft aufgestellte Akteur von Bayer Leverkusen kam weder mit dem Tempo der Polen noch mit der für einen schnellen Spielaufbau nötigen Passpräzision zurecht.
"Wir wissen, wie wichtig es ist, in der Turniervorbereitung Fehler zu machen"
"Ich mache die heutigen Fehler nicht an einzelnen Personen fest. Wir müssen diese Testspiele nutzen, um uns weiter einzuspielen und Dinge ausprobieren zu können", sagte Löw. Für eine solche Phase benötigt der Nationaltrainer von seinen Spielern eine bestimmte Form der Demut. Jeder Akteur muss sich voller Hingabe der Umsetzung der von Löw geforderten Konzepte hingeben. Spielern, die zufrieden sind, fällt so etwas wesentlich schwerer.
"Wir haben heute viele Fehler gemacht. Aber wir wissen, wie wichtig es ist, diese Fehler in einer Phase der Turniervorbereitung zu machen", sagte Mertesacker. Bereits vor der EM 2008, als Deutschland sogar schon drei Spieltage vor Ende der Qualifikationsrunde die Europameisterschaftsteilnahme gebucht hatte, begann Löw, seinen Kader bunt durchzumischen und die Erwartungshaltung vor dem Turnier erheblich zu senken. Damals verlor Deutschland sogar noch den ersten Platz in der Qualifikationstabelle an Tschechien. Auch vor der Heim-WM 2006 gab es wenige Monate vor dem Turnierstart eine äußerst empfindliche 1:4-Niederlage gegen Italien.
Lahm und Müller granteln
"Solche Problemsituationen sind mit die wichtigsten Momente für eine Mannschaft. Erst dadurch entwickelt sie ein Bewusstsein dafür, was noch zu verbessern, zu verändern ist", sagte Teammanager Oliver Bierhoff.
Solche Momente geben einem Team neue Reize und erzeugen auch die ein oder andere interne Spannung. Denn Löws Euphoriebremse-Experiment wurde zumindest von zwei Spielern nicht ansatzweise befürwortet: "Euphorie hin, Euphorie her. Das ist alles egal. Mir sind Siege tausendmal lieber als Niederlagen. Egal zu welcher Vorbereitungszeit", sagte der stärkste Spieler auf dem Feld, der eingewechselte Thomas Müller. Neben dem Münchner, der beide Tore vorbereitete, grantelte auch sein Teamkollege, Kapitän Philipp Lahm: "Wir haben heute die nötige Leidenschaft und Laufbereitschaft vermissen lassen. Vielleicht ist das menschlich nach all den tollen Erfolgen der letzten Monate. Aber gut ist es trotzdem nicht."
Man kann davon ausgehen, dass Löw die Worte seiner beiden Leistungsträger auf seine Art aufnehmen wird: mit einem Lächeln. Denn genau so eine Reaktion hat sich der Bundestrainer wohl gewünscht.
Polen - Deutschland 2:2 (0:0)
1:0 Lewandowski (55.)
1:1 Kroos (68., Foulelfmeter)
2:1 Blaszczykowski (90.+1, Foulelfmeter)
2:2 Cacau (90.+4)
Polen: Szczesny - Wasilewski, Perquis (ab 72. Glik), Glowacki, Wawrzyniak - Murawski, Dudka - Blaszczykowski (ab 90.+4 Pawlowski), Mierzejewski (ab 84. Rybus), Peszko (ab 65. Matuschyk) - Lewandowski (ab 80. Brozek)
Deutschland: Wiese - Träsch, Mertesacker, Boateng, Lahm (ab 46. Schmelzer) - Rolfes (ab 77. Lars Bender) - Schürrle, Götze, Kroos, Podolski (ab 61. Müller) - Klose (ab 46. Cacau)
Schiedsrichter: Orsato (Italien)
Zuschauer: 40.000
Gelb-Rote Karte: Glowacki (Polen, 81.) wegen wiederholten Foulspiels
Gelbe Karten: - / Kroos, Wiese