Ungarn im EM-Achtelfinale Puskás' Erben

Ungarn-Trainer Bernd Storck
Foto: ATTILA KISBENEDEK/ AFPWann hat es bei dieser EM schon einmal so viele Übersetzungen gegeben wie am Samstagabend bei der Pressekonferenz mit Bernd Storck? Wahrscheinlich noch gar nicht. Als der ungarische Nationaltrainer mit strammen Schritten auf das Podium im Zeltanbau neben dem Stade Municipal von Toulouse Platz stieg, um sich zum Achtelfinale gegen Belgien (Sonntag 21 Uhr, High-Liveticker SPIEGEL ONLINE) zu äußern, war kurz darauf fast ein halbes Dutzend Dolmetscher beschäftigt.
Denn der aus Herne stammende 53-Jährige beantwortete alle Fragen beharrlich in deutscher Sprache, garniert mit einem unverwechselbaren westfälischen Akzent. Alle Ausführungen sind anschließend in Englisch, Französisch, Ungarisch und Flämisch übersetzt worden.
Natürlich auch die Kernbotschaften, die der Fußballlehrer im weißen Poloshirt und dem streng zurückgekämmten grauen Haupthaar an die internationale Runde übermittelte: "Wir sind froh, in diesem Achtelfinale zu sein. Wir haben verdient, hier zu spielen, weil wir guten Fußball gezeigt haben", sagte Storck: "Belgien hat eine Top-Mannschaft, da muss man nicht von Ballbesitz reden. Wir müssen diszipliniert sein."

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Kein Referat über die abkippende Doppel-Sechs
Storck bedient sich eher einer Rhetorik alter Schule - da spricht keiner dieser modernen Konzepttrainer, die über die abkippende Doppel-Sechs referieren. Trotzdem hat ihn die französische Fachzeitung "L'Équipe" gerade zum zweitbesten Trainer der Vorrunde gewählt, was er selbst eher beiläufig quittierte: "Es geht nicht um mich, es geht um meine Spieler, die den ungarischen Fußball nach vorne bringen sollen."
Storck kann am Sonntag nur noch gewinnen - ganz im Gegensatz zu seinem Gegenüber Marc Wilmots, den ein Aus gegen den Weltranglisten-20. vermutlich den Job kosten würde. Der Vorwurf: Wilmots hole nicht das Maximale aus seinem Luxuskader mit Premier-League-Stars wie Eden Hazard und Kevin De Bruyne heraus. Kollege Storck dagegen hat mit den minimalen Möglichkeiten seines Aufgebots mit etlichen Bundesliga-Reservisten wie Ádám Szalai (Hannover 96) und László Kleinheisler (Werder Bremen) jetzt schon Großes erreicht.
Allein daher wäre es fatal, den ehemaligen Bundesligaprofi vom VfL Bochum und Borussia Dortmund jetzt noch zu unterschätzen. Als einziger EM-Coach hat er bereits alle 20 Feldspieler eingesetzt, "weil aus unserer Mannschaft jeder das Niveau hat, hier mitzuspielen". Einfache Regeln, einfache Ansagen: "So gentlemen, let the ball run", ruft Storck seinen Akteuren schon mal vor dem Kreisspiel zu.
Seine Wertschätzung innerhalb Ungarns lässt sich darauf zurückführen, dass Storck zuvor als Sportdirektor im Verband tätig war und begonnen hatte, die Strukturen zu verbessern. Der Tipp, den Sportdirektor dann auch gleich zum Cheftrainer zu ernennen, kam im vergangenen Jahr von Vorgänger Pál Dárdai, als dieser seinen Job nicht mehr mit der Aufgabe als Bundesligatrainer bei Hertha BSC vereinbaren konnte.
Staatliche Unterstützung für "spektakuläre Spielsportarten"
"In der Qualifikation konnte und wollte ich nicht viel verändern", sagte Storck kürzlich, "danach wurden die Veränderungen im Trainerstab und in der Mannschaft belohnt." Oft ist ist jetzt die Rede vom Gütesiegel "Made in Germany", schließlich arbeiten ihm noch zwei deutsche Helfer zu: Assistenztrainer Andreas Möller und Torwarttrainer Holger Gehrke. Den einen schätzt Storck als "Fachmann mit Riesen-Aura" (Möller), den anderen als "Top-Torwarttrainer, der Gábor Király schon lange kennt" (Gehrke).
Zudem profitiert das Trio von den verbesserten Strukturen in der Heimat. Dass Staatspräsident Viktor Orbán ein ausgewiesener Fußballfan ist und dafür sorgte, dass staatliche Unterstützung für "spektakuläre Spielsportarten", wie es offiziell heißt, steuerlich begünstigt wird, hat zumindest nicht geschadet. Storck, über ein Jahrzehnt nur als Co-Trainer von Jürgen Röber unterwegs, sorgt dafür, dass die Magyaren ein neues Kapitel ihrer stolzen Fußballgeschichte schreiben.
Auch die unvermeidlichen Vergleiche mit den alten Helden um Ferenc Puskás hält Storck aus. "Wir haben sowieso einen großen Schatten mit der Puskás-Generation. Aber die heutige Generation hat es verdient, dass man über sie spricht und nicht über die Vergangenheit." Zumal sie die Gegenwart ganz gut einschätzen kann.
Der 37 Jahre alte Taktgeber Zoltán Gera sagte vor dem ungleichen Achtelfinale gegen den Weltranglistenzweiten Belgien so treffend: "Wir wollen jeden Moment genießen. Vielleicht wird es das letzte Spiel dieser EM sein."