Union Berlins Stürmer Max Kruse Der letzte Typ

Seit Max Kruse nach Berlin gewechselt ist, dominiert er die Schlagzeilen der Boulevardblätter. Wenn er so spielt wie zuletzt, kann er sich das erlauben.
Von Tobias Escher
Max Kruse ist ein Spieler, der polarisiert

Max Kruse ist ein Spieler, der polarisiert

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O.Behrendt / imago images/Contrast

Eigentlich hätte es eine ruhige Woche werden sollen für Union Berlin. Erstmals sorgte der im Sommer verpflichtete Max Kruse nicht neben, sondern auf dem Platz für Schlagzeilen: Beim 3:1-Sieg in Hoffenheim bereitete er zwei Tore vor und erzielte eins selbst. Dafür hatten sie ihn geholt.

Nur zwei Tage später steht Kruse wieder in den Schlagzeilen, diesmal aus ganz anderen Gründen. Nachdem die Polizei ihn geblitzt hatte, wandte er sich an seine Instagram-Gefolgschaft: Er postete ein Bild des Blitzers mit der Unterschrift „Schweine“. Fünf Meter hinter einem Schild einen Blitzer hinzustellen, sei „schon stark asozial“, so Kruse. Die „Bild“ berichtete groß, worauf Kruse reagierte, indem er die „Bild“ als „Blöd“ betitelte.

Mit solchen Eskapaden war zu rechnen. Kruse darf sie sich erlauben, da er selbst im Alter von 32 Jahren einer der spielstärksten Akteure der Bundesliga ist. So langsam kann er das auch in Berlin zeigen – auch wenn er noch mehr Zeit benötigt, um sich im System von Trainer Urs Fischer zurechtzufinden.

Schlagzeilen neben dem Platz

Wer Kruse verpflichtet, weiß, wen er bekommt. In Mönchengladbach hat er sich als Jungprofi einen Maserati gekauft – in Tarnfarben. Der VfL Wolfsburg brummte ihm eine fünfstellige Geldstrafe auf, nachdem er nachts in Berlin gepokert hat – und angeblich 75.000 Euro in einem Taxi vergaß. In Hamburg schrottete Kruse mal um vier Uhr nachts sein Auto. Fünf Stunden später stand er in Bremen auf dem Trainingsplatz.

Die letzte Anekdote charakterisiert den Profi Kruse vielleicht am besten. Außerhalb des Platzes mag er über die Stränge schlagen: Wenn es um seinen Job geht, ist er hochprofessionell. Kruse verpasst kein Training, anders als in jungen Tagen ernährt er sich gesund. Alkohol, so beteuern Bekannte aus seinem Umfeld, habe er in seinem Leben noch nicht einmal probiert.

Auch in Berlin haben sie die zwei Gesichter des Max Kruse bereits kennengelernt. Einem durchschnittlichen Kicker würde kaum ein Verein durchgehen lassen, während einer Pandemie wildfremde Fans auf Instagram zum Treffen in eine Shisha-Bar einzuladen. Trainer Fischer stellte ihn wenige Tage später trotzdem auf. Der Schweizer Coach hat längst Kruses sportlichen Wert erkannt.

Die „schwimmende Neuneinhalb“

Kruse ist auf dem Platz genauso unberechenbar wie neben dem Platz. Als Jugendlicher hat er lange Zeit bei Amateurvereinen gekickt, ein Nachwuchsleistungszentrum hat er nicht besucht. Kruse agiert nicht wie aus dem Lehrbuch: Immer wieder bricht er aus dem klassischen Schema aus, bewegt sich viel über den Platz und nimmt sich Freiheiten. Er lässt sich daher nicht als „klassischer Stürmer“ bezeichnen, ein echter Spielmacher ist er jedoch auch nicht. Er selbst taufte sich einst „schwimmende Neuneinhalb“. Soll wohl heißen: Er ist mal hier, mal dort zu finden, immer und überall präsent.

Ganz so viele Freiheiten gönnt sich Kruse bei Union Berlin noch nicht, zumindest nicht auf dem Platz. Noch sucht er nach seiner Rolle im System von Trainer Fischer. Bisher kommt er meist als zweiter Stürmer zum Einsatz. Während sein Sturmkollege in die Spitze stößt, lässt sich Kruse fallen.

Max Kruse trug vergangene Saison noch das Trikot von Fenerbahçe Istanbul. In 20 Ligaspielen erzielte er sieben Treffer und bereite sieben weitere vor

Max Kruse trug vergangene Saison noch das Trikot von Fenerbahçe Istanbul. In 20 Ligaspielen erzielte er sieben Treffer und bereite sieben weitere vor

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Seskimphoto/ imago images/Seskim Photo

Bei seinen ersten Einsätzen für Union hielt sich Kruse noch zurück. Nun sieht man auch an der Alten Försterei immer öfter die typischen Kruse-Aktionen: Wie er dem Mitspieler am Ball entgegenkommt, um einen gegnerischen Verteidiger aus der Abwehr zu ziehen. Wie er auf die linke Seite ausweicht und einen halbhohen Lupfer hinter die Abwehr spielt. Wie er zum Ball schaut und plötzlich abdreht, um hinter die Abwehr zu sprinten.

Auf der Suche nach der richtigen Rolle

In Bremen drehte sich alles um diese Kruse-Momente. Werders Trainer Florian Kohfeldt hatte seine gesamte Mannschaft so gebastelt, dass die Mitspieler Kruse optimal unterstützen. In Berlin braucht es naturgemäß noch Zeit, ehe diese Zusammenarbeit fruchtet. So ist Kruse noch nicht so präsent. In Bremen war er häufig der Spieler mit den meisten Ballkontakten; in Berlin liegt er noch bei unter 50 Ballberührungen pro Spiel, die Verteidiger sowie Sechser Robert Andrich sind deutlich häufiger am Ball. Kruse überlässt den Spielaufbau seinen Kollegen.

Am meisten profitiert Union derzeit von Kruses Präsenz bei schnellen Spielzügen; etwa wenn Sechser Andrich einen Angriff einleitet und Tempo aufnimmt, während Kruse mit seinen ausweichenden Bewegungen Gegner auf sich zieht. Je mehr Tempo das eigene Spiel hat, umso wohler fühlen sich die Berliner.

Kruse ist in diesen Momenten der Spieler, der den entscheidenden Pass spielt. Der Pass in die Schnittstelle der Abwehr ist seine wohl größte Stärke. Nicht zufällig setzt Trainer Fischer ihn meist an der Seite von Joel Pohjanpalo ein. Der schnelle Finne lauert am liebsten an der Grenze zum Abseits, er sprintet jedem Ball in die Tiefe hinterher. Kruse spielt ihm diese Bälle zu.

Die Erwartungen sind hoch

Hundert Prozent glücklich ist Fischer noch nicht mit seinem neuen Stürmer. Gegen Hoffenheim verbesserte er seinen Star immer wieder: „Schieb raus, Max!“, „weiter rechts!“ – Fischer erwartet von Kruse auch gegen den Ball optimales Stellungsspiel.

Es dürfte aber vor allem das Verhalten neben dem Platz sein, dass die Berliner stört. So unangepasst sich der Klub aus der ehemaligen DDR gibt: Eigentlich ist man es im beschaulichen Berlin-Köpenick gewohnt, dass andere die Schlagzeilen bestimmen. Kruses Extravaganz dürften sie nur akzeptieren, wenn er weiter so viele Tore vorbereitet wie zuletzt.

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