Urteil zu Stadionverboten Im Zweifel gegen den Fußballfan

Fußballfans, Polizei: Nur noch alleine nach Hause gehen?
Foto: ddpEs gibt vermutlich wenig Schlimmeres im Leben eines Jugendlichen, der mit Leib und Seele Bayern-Mitglied ist und schon in jungen Jahren eine Auswärts-Dauerkarte besitzt: Nach dem Gastspiel der Bayern beim MSV Duisburg im März 2006 bekommt ein damals 16-Jähriger vom NRW-Club ein Stadionverbot für 24 Monate. Das gilt gemäß den DFB-Regularien bundesweit, also auch bei Heimspielen der Münchner.
Der FC Bayern kündigt dem Fan aufgrund dieses Verbots, streng nach den Buchstaben der Vereinssatzung, die Dauerkarte und die Vereinsmitgliedschaft. Besonders hart erscheint ein solches Verbot, wenn es - gegen den Jugendlichen wie gegen 58 weitere Bayern-Fans - auf bloßen Verdacht hin ausgesprochen wird und es keinen Beweis für ein persönliches Fehlverhalten des Betroffenen gibt.
"Für mich ist das Ganze Sippenhaft", hatte sein Anwalt in der Verhandlung beim Bundesgerichtshof (BGH) am 9. Oktober gesagt. Die Mitglieder des 5. Zivilsenats zeigten sich allerdings an diesem Fan-Schicksal wenig interessiert. Sie bestätigten am Freitag in ihrem Urteil das Stadionverbot.
Ihre Begründung: Gestützt auf das Hausrecht könne ein Bundesligaverein gegen einen Fan ein bundesweites Stadionverbot verhängen, erklärte der Senatsvorsitzende Wolfgang Krüger, "wenn aufgrund objektiver Tatsachen die Gefahr besteht", dass von dem Fan in Zukunft Störungen ausgehen könnten. Schließlich gehe es darum, "im Interesse der Sicherheit solcher Großveranstaltungen" Gefahren auszuschließen, da die Fußballvereine als Veranstalter aufgrund ihrer "Schutzpflichten" die übrigen Zuschauer vor den Übergriffen "sogenannter Fans" bewahren müssten.
Auch dass es "keine Feststellung gab", dass sich der Jugendliche 2006 beim Spiel in Duisburg "strafbar gemacht" hatte, änderte aus Sicht des BGH daran nichts. Es gehe "um die Vermeidung von Störungen durch den Ausschluss potentieller Störer". Immerhin sei bewiesen, dass "der Kläger sich in jener Gruppe befand, aus der heraus es zu Gewalttaten kam". In diese Gruppe, so die BGH-Richter, sei er auch "nicht zufällig hineingeraten". Zudem hätte der Fan "auch nicht etwa Umstände vorgetragen, die die Besorgnis zukünftiger Störungen ausgeräumt hätten".
Absichtlicher Umweg oder nicht?
So überzeugend sich das abstrakt vielleicht noch anhört, bleiben - bei Kenntnis des zugrundeliegenden Sachverhalts - dennoch Zweifel, ob die Entscheidung, das vom MSV verhängte Stadionverbot zu billigen, richtig war. So überraschte der Vorsitzende bereits in der Verhandlung, aber auch in der Urteilsverkündung mit dem Hinweis, die Bayern-Fangruppe, von der damals Attacken ausgingen, habe "nicht den direkten Weg zum Bahnhof gewählt, sondern einen Schlenker zu den Fans des MSV Duisburg gemacht".
Dieses Detail findet sich zwar in den vorher ergangenen Urteilen, allerdings nur bei den Behauptungen des MSV Duisburg. Die Gerichte haben dazu nichts festgestellt - im Gegenteil: Ausdrücklich heißt es im Urteil des Amtsgerichts Duisburg, die Fangruppe, in der sich auch der Jugendliche befand, ging "in Richtung S-Bahnhof" und kam dabei "hinter der Duisburger Kurve" vorbei; ein gezielter Umweg zur Duisburger Nordkurve wurde von den Bayern-Fans vehement bestritten. Die "Anknüpfungspunkte", die der BGH dem MSV Duisburg zubilligte, sind also wesentlich dürftiger. Mit schlecht wiedergegebenen Sachverhalten lassen sich aber auch vom BGH keine guten Urteile fällen.
Und auch die zentrale Frage bleibt weiter unbeantwortet: Reicht der im konkreten Fall bestehende Verdacht aus? Der Jugendliche war nach dem Spiel mit Fans der Münchner Ultra-Gruppe "Schickeria" unterwegs. Als diese beim Gang zur S-Bahn auf Duisburger Fans trafen, kam es aus der Gruppe heraus, so das Landgericht Duisburg, "zu Provokationen und Körperverletzungsdelikten". Konkret wurde bei den "verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen der beiden Fußballvereine", so das Amtsgericht, "mindestens eine Person verletzt und ein Auto beschädigt".
Im Rahmen des folgenden Polizeieinsatzes wurden nur die Bayern-Fans, darunter auch der Kläger, festgenommen. Sicher besteht damit ein - allerdings nur vager - Verdacht, dass der Jugendliche sich an den Auseinandersetzungen beteiligt, sie vielleicht sogar mit provoziert hat. Aber reicht es für ein Stadionverbot aus, in einer falschen Gruppe oder auch nur in deren Nähe zu stehen?
Fragwürdige Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte
Der Fan bestreitet, irgendetwas mit den Krawallen zu tun gehabt zu haben; er haben diese nur "aus der Distanz" verfolgt. Was hätte er machen sollen? Von vornherein einen anderen Weg nehmen als die Hauptgruppe der Fans? Das würde bedeuten, dass man letztlich von jedem Fan verlangen müsste, immer nur schön einzeln nach Hause zu gehen. Absurd. Korrekt wäre es gewesen, der BGH hätte genauere Feststellungen verlangt; vielleicht hätte sich dann der Hergang konkretisieren lassen - und damit auch der Vorwurf gegen die Bayern-Fans. In den bisherigen Verfahren hatten die Gerichte eine Beweisaufnahme mit dem lapidaren Verweis abgelehnt, dass allein das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren ausreiche, das allerdings gegen sämtliche Bayern-Fans wieder eingestellt worden war.
Umso fragwürdiger erscheinen solche Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht auf einen vagen Verdacht hin. Auch Fußballvereine oder der DFB dürfen Grundrechte nicht außer acht lassen, erst recht nicht, wenn ein solches Verdikt flächendeckend für alle Fußballspiele der drei höchsten deutschen Spielklassen gilt. Der Münchner Anwalt Marco Noli, der den Kläger von Anfang an vertrat, hält das BGH-Urteil denn auch für "verfassungsrechtlich bedenklich", eine Verfassungsbeschwerde werde "geprüft", sobald das schriftliche Urteil vorliegt. Denn letztlich laufe der BGH-Spruch darauf hinaus, so Noli, dass der Fan "selbst beweisen muss, dass er nicht als Störer aufgetreten ist ".
Falls der Kläger zum Bundesverfassungsgericht geht, könnte dessen Urteil durchaus anders ausfallen. Beim Verfassungsgericht ist derzeit - in anderem Zusammenhang - viel vom "soziokulturellen Existenzminimum" die Rede, welches sogar von der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes umfasst sei. Zumindest Brot und Spiele, wussten schon die Römer, braucht das Volk. Wenn man einem Fußballfan letzteres nimmt, muss man dafür schon belastbarere Gründe haben, als den Vorwurf, zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen zu sein.