
Fußball in den USA: Choreografien, Flaggen - und Pyro
Fußball Warum ein Rumäne die Ultras in den USA aufmischt
SPIEGEL ONLINE: Herr Margarit, Fußball in den USA verbinden viele Europäer mit Kommerz, Unterhaltung und Soccer Moms. Ist es nicht ein Widerspruch, dort Ultra zu sein?
Dan Margarit: Ich hasse Heuchelei. Daher werde ich keine großen Reden schwingen, wie sehr ich gegen den modernen Fußball bin. Ja, ich hasse ihn, die modernen Ultras, die Kommerzialisierung. Aber ich unterstütze die San José Earthquakes. Ein Team, gegründet im Jahr 1974, der romantischen Ära des Fußballs, das jetzt in der am meisten durchkommerzialisierten Liga der Welt spielt. Die meisten Fans hier kennen den Sport nicht in ihrer Ursprungsform, sie können gegen den modernen Fußball gar nicht ankämpfen. Ich bin einfach nur sehr glücklich, diese wunderbare Zeit als Kind erlebt haben zu dürfen.
SPIEGEL ONLINE: Wie würden Sie die Fankultur in den USA beschreiben?
Margarit: Die Fankultur im amerikanischen Fußball ist eine Mischform. Es geht den anderen um Selbstdarstellung. Wie in einem Rollenspiel. Die Gruppen suchen nach Aufmerksamkeit, wollen im Fernsehen auftauchen oder in den Augen der anderen Zuschauer als cool erscheinen.
SPIEGEL ONLINE: Existieren dann überhaupt richtige Ultras, die der allgemeinen Definition entsprechen?
Margarit: Es gibt vielleicht drei oder vier Gruppen, die mit dem vergleichbar sind, was man in Europa unter Ultras versteht. Alle anderen nennen sich selbst Supporter Groups. Die stehen eine Stufe über denen, die in Europa Scarfers, Kuttenträger, genannt werden.
SPIEGEL ONLINE: Die Duelle gegen LA Galaxy werden von der MLS als "Cali Clásico" vermarktet, als kalifornische Variante von "El Clásico", dem Klassiker zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona. Ist es das wichtigste Spiel des Jahres?
Margarit: Auf dem Platz ja, auf den Rängen nicht. Ich wünschte, die Fans wären auf der Tribüne stärker, denn sie haben ohne Grund viele Auswärtsspiele verpasst. Auch Anhänger aus Seattle und Portland sind ein Witz. Diese Leute können wir einfach nicht als Rivalen bezeichnen.
SPIEGEL ONLINE: Wie reagieren andere Stadionbesucher auf die Ultras?
Margarit: In so vielen Auswärtsspielen sind wir im Block ausgerastet, obwohl die Mannschaft zurücklag. Die heimischen Fans waren schockiert und haben uns gefragt: Warum macht ihr das eigentlich? Einige sehen uns vermutlich eher als eine vom Klub organisierte Unterhaltungstruppe, wie Marching Bands im American Football. Sie finden uns gut, reagieren aber vollkommen entsetzt, wenn wir die gegnerische Szene provozieren oder in unseren Songs vulgäre Ausdrücke benutzen.

Fußball in den USA: Choreografien, Flaggen - und Pyro
SPIEGEL ONLINE: Vermutlich, weil sie das vom Basketball oder Football nicht gewohnt sind?
Margarit: NFL und NBA sind einfach Millionen-Dollar-Unternehmen. Deren Zielgruppe soll im Stadion Tausende Dollar ausgeben. Sie tolerieren keine Atmosphäre wie sie die Ultras schaffen würden. Nichtsdestotrotz haben die Studenten beim College-Football oder -Basketball viel mehr Enthusiasmus, kreieren eine bessere Atmosphäre und tragen alle die gleichen Farben.
SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet den US-Amerikanern Fußball?
Margarit: Für viele Zuschauer sind Fußballspiele nur eine günstige Option, ihre Kinder am Wochenende zu unterhalten, und kein Lifestyle wie auf anderen Kontinenten. Man kann sich nicht vorstellen, wie viele ahnungslose Zuschauer sich in unseren Block verirren und sich beschweren, dass sie wegen unserer Fahnen nichts sehen. Dagegen anzukämpfen war eine Herausforderung seit dem ersten Tag.
SPIEGEL ONLINE: Mit welchen Herausforderungen haben Ultras zu kämpfen?
Margarit: Mit Anhängern anderer Gruppen, dem eigenen Klub-Management und immer wieder mit der Liga. Sie haben uns nie gemocht, weil wir nie dem Prototyp Fan entsprachen, den sie wollten. Klub und Liga haben oft versucht, uns loszuwerden. All diese Hindernisse haben uns nur stärker gemacht.
SPIEGEL ONLINE: Was werfen Sie der Liga vor?
Margarit: Sie nutzt die Leidenschaft der Fans, um für ihr Business zu werben, sie wollen uns kontrollieren. So ähnlich wie die Teams, die eher Franchises als Vereine sind. Für mich ist das ein Witz. Dagegen können wir uns nicht wehren: Sie haben das gute Recht, uns zu filmen, wenn wir im Stadion sind.
SPIEGEL ONLINE: In New York spielt auch ein Ableger der Marke Red Bull. Wie stehen Sie dazu?
Margarit: Über Red-Bull-Teams, sei es in Deutschland, Österreich oder hier, gibt es nichts Positives zu sagen. Das Team hieß ursprünglich Metrostars. Teile des harten Fankerns haben sich anschließend vom Klub abgewendet, die meisten sind aber geblieben. Den meisten amerikanischen Fans ist das ohnehin egal. Die anderen Sportarten sind seit Jahrzehnten durchkommerzialisiert.
SPIEGEL ONLINE: Sie sprechen offen mit Journalisten. Europäische Szenen sind da zurückhaltender. Warum?
Margarit: Die Jungs in Übersee haben gute Gründe dafür. Basierend auf unseren Erfahrungen schreiben die Journalisten ihre Geschichten sowieso - auch wenn wir nicht mit ihnen reden. Sie reißen Dinge aus dem Kontext und verdrehen unsere Worte. Mit solchen Leuten reden wir nicht. Solange es um Ultras aus einer unvoreingenommenen Perspektive geht, ist alles gut.
SPIEGEL ONLINE: Angenommen, irgendwann trifft ihr Heimat-Klub Steaua Bukarest bei der Fifa-Klub-WM auf die Earthquakes. Für wen sind Sie?
Margarit: Großartige Frage. Steaua spielt in der vierten rumänischen Liga*, die Earthquakes beginnen gerade, sich ein gutes Team aufzubauen. Wenn es soweit ist, singe und brenne ich im Himmel Pyrotechnik ab. Aber vielleicht bin ich dann auch schon so alt, dass ich auf Höhe der Mittellinie bei den normalen Leuten sitze.
*Anmerkung der Redaktion: Der rumänische Rekordmeister und Europapokalsieger von 1986, Steaua Bukarest, verlor nach einem Rechtsstreit mit der rumänischen Armee 2014 das Recht, den alten Namen und das Wappen des früheren Militärklubs zu benutzen. Seither spielt der Erstligist unter dem Namen "FCSB" weiter, während seit dieser Saison ein Verein mit der alten Bezeichnung "CSA Steaua Bukarest" in der vierten Liga spielt.