
WM-Zuschauer Ballack: "Capitano" vor schwerem Comeback
Verletzter DFB-Regisseur Ballack Capitano ade
Michael Ballack saß beim 4:0-Sieg der deutschen Nationalelf neben Oliver Bierhoff auf der Tribüne. Er trug ein dunkles Sakko, unter dem Sweatshirt schaute der helle Hemdkragen hervor. Um den Hals baumelte an einem langen roten Band sein Ticket. Er sprach auch mit Angela Merkel, er sah ein bisschen aus wie ein Funktionär.
Nach dem Schlusspfiff eilte Ballack hinunter zur Seitenlinie, er gratulierte den deutschen Spielern, die vor wenigen Wochen noch seine Teamkollegen waren. Eine Szene, die vor allem eines deutlich machen sollte: Ich! Gehöre! Noch! Dazu!
Es müssen harte Tage sein für , den Kapitän außer Dienst. Verdammt schwer ist es, verletzt zuschauen zu müssen. Noch schwerer ist es, wochenlang verletzt zuschauen zu müssen. Doch mitanzusehen, wie die Mannschaft ohne einen selbst besser spielt - das ist beinahe unerträglich.
Abgeklärt verteidigten die Deutschen gegen Argentinien ihre frühe Führung, mit großem Selbstbewusstsein jagten Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira Superstar Messi immer wieder den Ball ab. Auch in den Drangphasen der "Gauchos" wirkten Löws Spieler nie verunsichert - und die eigenen Konter trugen sie mit großer Präzision vor. So stark hatte Deutschland in den vergangenen Jahren nie gespielt. "Das ist ein wenig unheimlich", sagte Ballack, "für mich tut es schon weh, ich hätte gerne auf dem Platz gestanden."

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Deutschland 2010 spielt unbekümmert und abgeklärt zugleich. Schweinsteiger hat Ballacks Position übernommen - und auch dessen Rolle. Er gibt den Takt des Teams vor, er dirigiert, er ist ein echter Anführer. Die Mannschaft der kommenden Jahre wird um Schweinsteiger herum gebaut werden.
Der personelle Kern steht schon jetzt fest. Manuel Neuer, Jérôme Boateng, Sami Khedira, Mesut Özil - sie alle haben bereits im vergangenen Jahr gemeinsam die U21-Europameisterschaft gewonnen. Auch Marko Marin und Dennis Aogo waren damals in Schweden dabei. "Der Geist von Malmö", beschrieb die "Süddeutsche Zeitung" diesen Block innerhalb der A-Nationalmannschaft. Der Erfolg bei der WM in Südafrika hat das Team nun weiter zusammengeschweißt, Schweinsteiger und Lahm, beide erst Mitte zwanzig, haben die Rolle der Routiniers übernommen. Es scheint, als wachse in Südafrika eine Mannschaft heran, die in den kommenden Jahren nur schwer zu schlagen sein wird.
Natürlich hat Michael Ballack bei jedem Tor gejubelt, mit der Mannschaft gefiebert, sich an dem berauschenden Fußball erfreut. Doch Ballack ist ein intelligenter Mann, der seine Karriere immer weitsichtig geplant hat. Er weiß: Jedes weitere Tor macht seine Rückkehr in die Nationalelf schwieriger.

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"Wir sollten uns von dem Gedanken verabschieden, dass es Spieler gibt, die unersetzlich sind", sagte Oliver Kahn im ZDF. Und im Fall Ballack sind die Alarmsignale nicht mehr zu übersehen. Wenn sich Trainer und Mannschaftskollegen öffentlich für ihn stark machen müssen, dann bedeutet das nichts anderes als: Seine Position ist deutlich schwächer geworden.
Natürlich solle Ballack wiederkommen, sagte Schweinsteiger mit der Höflichkeit eines Nachfolgers dem "Focus". "Es kann ja durchaus sein, dass wir mit ihm noch viel besser spielen. Man merkt eben hier und da, dass uns die Erfahrung ein bisschen fehlt."
Gegen Argentinien war nichts davon zu spüren, dass Erfahrung fehlt. Nicht einmal ein bisschen hier und da.

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Welche Rolle bleibt für Michael Ballack? Er war vor seiner Verletzung der Platzhirsch, seine Spielweise und Ausstrahlung machten ihn automatisch zum Anführer. Unvergessen die Szene aus dem vergangenen Jahr, als er Lukas Podolski im WM-Qualifikationsspiel gegen Wales (2:0) wegen taktischer Fehler zusammenstauchte. Podolski wusste sich nur mit einer Backpfeife zu verteidigen.
Nun hat sich die Mannschaft ohne Ballack verändert. Lahm und Schweinsteiger und auch Klose führen auf ruhigere Art, die Hierarchien sind flacher geworden. "Jeder läuft für den anderen", das ist einer der liebsten Sätze dieses Teams geworden. Die Spieler sagen ihn oft. Es ist fraglich, ob einer wie Ballack sich in solch ein Gefüge einordnen kann.

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Unbestritten ist, dass er mit seinen fußballerischen Fähigkeiten noch immer jeder Mannschaft auf der Welt helfen kann - auch Bayer Leverkusen, sein neuer Verein, wird von Ballack profitieren. In Löws favorisiertem 4-2-3-1-System kommt für den Mann, den Jürgen Klinsmann "Capitano" nannte, allerdings nur die zentrale Position im defensiven Mittelfeld in Frage. Dort ist Schweinsteiger aber nicht mehr zu verdrängen, und Khedira wird seinen Platz kaum freiwillig hergeben.
"Eine Erkenntnis dieser WM ist: Der Altersschnitt einer Mannschaft muss sehr niedrig sein", sagte Löw im Interview mit SPIEGEL ONLINE. Qualität, hohe Belastbarkeit und Siegeswille seien das Wichtigste. "Das alles geht eindeutig vor Erfahrung", sagte der Bundestrainer.
Ballack ist immer noch ein Spitzenfußballer, sein Ziel ist die EM 2012. Doch irgendwann muss der Umbruch in einer Mannschaft vollzogen werden. Vielleicht ist die Chance nie wieder so groß wie jetzt.