Überraschungsteam VfB Stuttgart
Schön nur auf dem Platz
Im sportlichen Bereich ist es dem Aufsteiger VfB Stuttgart gelungen, alte Verkrustungen aufzubrechen und zu begeistern. Doch hinter den Kulissen sieht es ganz anders aus.
Saša Kalajdzič plagten nach dem Spiel gegen Union Berlin ernsthafte Probleme. Das war insofern verwunderlich, als er in der 80. Minute eingewechselt worden war und prompt die beiden Treffer zum 2:2 nach 0:2-Rückstand beigesteuert hatte. Doch der Österreicher konnte sich vor den Mikrofonen nur halbherzig freuen. »Ich Trottel habe mich nicht aufgestellt«, sagte er und sprach über ein Onlinemanagerspiel.
Ansonsten aber läuft es gerade beim Aufsteiger – zumindest auf dem Platz.
Dabei hatte kaum einer, der den VfB in der zweiten Liga aus dem Blick verloren hatte, damit gerechnet, dass die Schwaben so auftrumpfen würden. Denn die vergangene Saison verlief zäh – ergebnistechnisch und ästhetisch. Hätte die Konkurrenz etwas konzentrierter agiert – der VfB wäre womöglich noch Zweitligist.
Weitgehend identisch mit dem Zweitligateam
Umso überraschender ist es, dass nun in der ersten Liga eine Mannschaft, die weitgehend identisch mit der aus der vergangenen Saison ist, so viel besser gegen Dortmund oder Frankfurt spielt, als sie es letzte Saison gegen Osnabrück oder Karlsruhe tat. Gestandene Spieler wie Abwehrchef Marc-Oliver Kempf oder Gonzalo Castro sind klar verbessert, manch junger Profi wie Tanguy Coulibaly (19) oder Mateo Klimowicz (20), die in der zweiten Liga (fast) keine Rolle spielten, ist auf dem Sprung zum Stammspieler.
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Überhaupt ist es bemerkenswert, wie erfolgreich die gezielte Verjüngung war, die Vorstand Thomas Hitzlsperger und Sportdirektor Sven Mislintat eingeleitet haben. Der komplette Sturm um Nicolas Gonzalez, Kalajdzič und Silas Wamangituka bringt es zusammen auf 66 Jahre – und hat 16 der insgesamt 26 Stuttgarter Saisontreffer erzielt. An guten Tagen – wie beim 5:1 in Dortmund – spielen die Youngster im Kollektiv so gut zusammen, dass selbst ein notorisch kontrollierter Mensch wie Hitzlsperger twittert, er »könnte Konfetti kotzen, so happy bin ich über das, was ich gerade sehen durfte«.
Eine Erklärung für die Leistungsexplosion ist bei Trainer Pellegrino Matarazzo zu suchen, der im Januar eine taktisch nicht ausbalancierte Mannschaft übernahm. Dass es nun viel besser läuft als noch in Liga zwei, wird intern auch darauf zurückgeführt, dass Matarazzo, den sie in Stuttgart »Rino« nennen, im Sommer eine komplette Vorbereitung zur Verfügung hatte. Statt nur Ausbesserungen vorzunehmen, war nun Formen und Gestalten möglich. Auch wenn man beim VfB selten recht bekommt, wenn man Prognosen abgibt, die über den kommenden Tag hinausreichen: Matarazzo hat eine reelle Chance, eine komplette Saison lang Trainer zu bleiben – das hatte zuletzt Bruno Labbadia 2012/2013 geschafft.
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Datenschutzaffäre belastet den Klub
Nicht ganz so harmonisch läuft es derzeit hinter den Kulissen. Am Montag hatte Hitzlsperger Umstrukturierungen verkündet. Aus 20 Bereichsleitern werden zehn Direktoren. Zwar betonte Hitzlsperger, dass die Straffung nichts mit der Datenschutzaffäre zu tun habe, die vor einigen Wochen publik wurde. Der »Kicker« hatte aufgedeckt, dass der damalige Medien- und der damalige Marketingchef einer vermeintlich unabhängigen Facebook-Fanseite die Datensätze von 35.000 der insgesamt über 70.000 Mitglieder zur Verfügung gestellt hatten, um im Sinne der damaligen Vereinsführung um den 2019 zurückgetretenen Wolfgang Dietrich die Stimmung zugunsten der geplanten Ausgliederung zu beeinflussen.
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Dass der Medienchef seinen Direktorenposten verlor, dürfte kein Zufall sein. Dass er und der Ex-Marketingleiter eigenmächtig gehandelt haben, ist allerdings nicht sehr wahrscheinlich.
In den maßgeblichen Gremien, dem Beirat des e.V. und dem Aufsichtsrat der ausgegliederten AG, hat das Dietrich-Lager immer noch viele Fürsprecher. Hinter den Kulissen des sportlich so erfolgreichen Aufsteigers wird um die Macht im Verein gekämpft. Claus Vogt, der 2019 zum Präsidenten gewählt wurde, scheint in die Schusslinie geraten zu sein, seitdem er eine lückenlose Aufklärung der Vorgänge um die Datenweitergabe angekündigt hat. Im März will er sich der Wiederwahl stellen. Selbst als amtierender Präsident muss er dafür vom achtköpfigen Beirat vorgeschlagen werden.
»Es gibt bei uns sowohl im e.V. als auch in der AG noch viele Funktionäre, die seit langer Zeit amtieren und sich mit Veränderungen anscheinend schwertun«
Andreas Zweigle und Sebastian Rose vom VfB-Blog »Vertikalpass«
Doch ob das geschieht, scheint fraglich. Zumindest behauptet das der stets gut informierte Blog »Vertikalpass« der beiden Buchautoren Andreas Zweigle und Sebastian Rose (»die VfB Fußballfibel«). Am Montag berichteten die beiden über den Kampf hinter den Kulissen und warfen die Frage auf, ob die Modernisierung auf dem Platz beim VfB nicht auch mit einer auf der Geschäftsstelle einhergehen müsse. »Es gibt bei uns sowohl im e.V. als auch in der AG noch viele Funktionäre, die seit langer Zeit amtieren und sich mit Veränderungen anscheinend schwertun«, sagen die beiden im Gespräch mit dem SPIEGEL. Es gebe offenbar »Kräfte, die damit ein Problem haben, wenn nun der Präsident die Mitglieder wirklich mitnehmen will.«
Im sportlichen Bereich ist es dem VfB offenbar bestens gelungen, alte Verkrustungen aufzubrechen. Nicht auszudenken, wie gut die Stimmung im Verein sein könnte, wenn nun noch endgültig aufgeklärt würde, wer den gigantischen Datenklau bei einem der größten Sportvereine der Republik organisiert hat.