Weißrussischer Fußball in der Coronakrise "Wodka wird nicht verhindern, dass wir krank werden"

Fans vom FC Sluzk im Stadion der Stadt: Die weißrussische Liga ist die letzte, die vor Zuschauern spielt
Foto: Natalia Fedosenko/ imago images/ITAR-TASSElf ausländische Sender haben sich bereits die TV-Rechte gesichert - sie übertragen jedes Wochenende die Spiele der Wyschajschaja Liha, der Obersten Fußballliga Weißrusslands. Die spielt weiter, so als gäbe es Corona nicht. Fußball ist Chefsache - Präsident Alexander Lukaschenko fing an, in der Kindheit zu spielen, und versucht, die Gefahr weiter zu verharmlosen. Auch wenn in seinem Land immer mehr Menschen erkranken.
Das Unbehagen wächst. Kaum ein Fußballfunktionär, Trainer oder Spieler mag sich öffentlich äußern, selbst ausländische Sportler nicht mehr. Der FC Sluzk hat dennoch ein Gespräch ermöglicht, dort glaubt man, in der Krise stecke auch irgendwie eine Chance. Der weißrussische Mittelfeldspieler Jegor Semjonow über die Angst sich anzustecken, seine Familie und Fans im Stadion.
SPIEGEL: Herr Semjonow, trotz Corona spielt Ihr Fußballklub an diesem Samstag in der weißrussischen ersten Liga weiter. Aber zuerst die wichtigste Frage: Wie geht es Ihnen?
Jegor Semjonow (ist über WhatsApp-Video zugeschaltet): Bis jetzt sind wir alle gesund - danke! Wir hatten gerade Training, danach waren wir in der Banja.
SPIEGEL: Sie gehen noch in die Sauna - in diesen Zeiten?
Semjonow: Ich weiß nicht ... (lacht), wie ich das kommentieren kann. Wir in der Mannschaft haben keine Angst.
SPIEGEL: Warum? Können Sie das erklären?
Semjonow: Unser Team ist mehr oder weniger isoliert. Wir sind 22 Personen, unser Stützpunkt liegt am Stadtrand von Sluzk. Wir sprechen nur untereinander, haben mit der Außenwelt fast keinen Kontakt. Wir versuchen, unseren Gesundheitszustand zu überwachen, Vorsorgemaßnahmen so weit wie möglich richtig einzuhalten. Ich wasche mir ständig die Hände. Die Lage auf der Welt ist schwierig, ich weiß, aber uns hat sie zum Glück bisher noch nicht betroffen. Sogar auf unseren Zimmern sind wir völlig isoliert (er nimmt sein Handy, dreht die Kamera, es ist ein Tisch, ein zweites Bett zu sehen). Hier ist mein Bett, da das Bett meines Nachbarn, mit dem ich das Zimmer teile. Zwischen uns sind eineinhalb Meter Abstand.

Jegor Semjonow, geboren am 6. Januar 1988 in Minsk. Begann mit fünf Jahren, Fußball zu spielen. Mittelfeldspieler beim weißrussischen Klub FC Sluzk seit 2019. Die Stadt liegt rund 100 Kilometer südlich von der weißrussischen Hauptstadt. Der FC Sluzk ist einer von 16 Klubs der Wyschejschaja Liha, der "Obersten Liga" Weißrusslands.
SPIEGEL: Wurden Sie und das Team auf Corona getestet?
Semjonow: Nein. Bisher hatte keiner Symptome.
SPIEGEL: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie aufs Spielfeld gehen - Sie wissen ja, dass nirgendwo sonst in Europa Fußball gespielt wird, schon gar nicht mit Zuschauern auf den Tribünen?
Semjonow: Klar, die Gefahr nimmt an den Spieltagen zu. Doch es steht mir nicht zu, ein Urteil darüber zu fällen, ob es richtig oder falsch ist, die Liga spielen zu lassen. Das ist die Aufgabe der Funktionäre, die die Situation im Land beurteilen. Wir arbeiten, wir spielen. Selbstverständlich müssen wir nach Kontakten mit anderen Desinfektionsmittel benutzen, nach den Spielen duschen. Aber ich habe keine Panik oder Angst, dass ich infiziert sein könnte. Heute habe ich über einen Arzt in New York gelesen. Er sagt, dass 99 Prozent der Corona-Infektionen durch die Hände, das Gesicht erfolgen sollen. Ich versuche, mir anzugewöhnen, mich möglichst nicht im Gesicht zu berühren.

Jegor Semjonow vom FC Sluzk auf dem Feld: Wie lange wird noch Fußball gespielt in Weißrussland?
Foto: FK SluzkSPIEGEL: Viele weißrussische Fanklubs haben bereits reagiert, haben einen Boykott verkündet: Sie rufen dazu auf, nicht mehr die Stadien zu besuchen - aus Rücksicht auf ältere Verwandte, chronisch Kranke und Ärzte. Ist das die richtige Entscheidung?
Semjonow: Jeder entscheidet für sich. Wenn sich die Fans in ihren Blöcken versammeln und uns anfeuern, ist das Infektionsrisiko ziemlich hoch. Mein Rat ist, jetzt nicht mehr zu den Spielen zu gehen. Es ist besser, zu Hause zu bleiben und Fußball im Fernsehen zu schauen.
SPIEGEL: Wie viele Fans waren beim letzten Spiel noch da?
Semjonow: Im Fanblock 30 bis 35 Personen, vorher waren es immer um die 100.
SPIEGEL: Und Zuschauer insgesamt?
Semjonow: Früher kamen zu den Heimspielen durchschnittlich etwa 1500 Besucher, unser Stadion hat Platz für rund 1900 Menschen. Jetzt sind es weniger: 800 bis 1000. Natürlich macht uns das etwas traurig. Aber dafür schauen sie uns nun in anderen Ländern zu, wenn wir spielen.
SPIEGEL: Sie meinen die Fans in Australien und England.
Semjonow: Genau.

Fans beim Spiel in Minsk Ende März
Foto: Natalia Fedosenko/ imago images/ITAR-TASSSPIEGEL: Anfangs haben die vor allem über den Namen Ihres Klubs gelacht. Wenn man bei Slutsk, der englischen Bezeichnung Ihres Namens, das k am Ende verschluckt, klingt das recht obszön. Sie wissen, was ich meine?
Semjonow: Natürlich, ich spreche ein wenig Englisch (lacht). Wir hatten Glück, dass unser Name für Aufsehen gesorgt hat. Die Leute haben plötzlich angefangen, unsere Spiele zu schauen. Das gibt ihnen ein Gefühl der Normalität und uns die Hoffnung, wenn sich alles wieder normalisiert hat, später nach Ende der Pandemie, dass einige von ihnen zu unseren Spielen nach Weißrussland kommen und wir dann noch mehr Fans haben werden.
SPIEGEL: Helfen Ihnen die neuen Fans finanziell? Es war zu lesen, dass die Zuckerraffinerie von Sluzk als Sponsor Ihres Klubs aussteigen könnte.
Semjonow: Noch warten wir auf eine Entscheidung: Die Raffinerie - unser Hauptsponsor - hat einen neuen Generaldirektor. Unsere ausländischen Fans haben eine Facebook-Gruppe eröffnet, sammeln Spenden. Bisher ist die Summe gering, die zusammengekommen ist, sie wird unseren Klub nicht retten. Aber die Hauptsache ist doch, dass diese Menschen uns unterstützen und anfeuern.
Drehen Sie sich am besten weg, wenn Sie husten oder niesen müssen! Mindestens ein Meter Abstand sollte zwischen Ihnen und anderen Personen sein.
Ein Papiertaschentuch bitte nur einmal benutzen! Entsorgen Sie es anschließend in einem Mülleimer mit Deckel.
Halten Sie sich beim Husten und Niesen die Armbeuge vor Mund und Nase, wenn gerade kein Taschentuch zur Hand ist.
Wichtig: Waschen Sie sich nach dem Naseputzen, Niesen oder Husten gründlich die Hände, entweder mit einem Desinfektionsmittel auf Alkoholbasis oder mit Wasser und Seife.
Quelle: WHO, Gesundheitsministerium
SPIEGEL: Was macht das mit Ihnen, wenn Sie wissen, dass so viele Menschen wie noch nie zugucken?
Semjonow: Das gibt Freude und Kraft. Wir wollen unbedingt gewinnen. Je mehr Menschen unsere Spiele und Erfolge mitbekommen, desto mehr wird unsere Arbeit geehrt. Wir bekommen viel Unterstützung, lesen die zahlreichen Kommentare und sehen Bilder in den sozialen Netzwerken. Das ist großartig, motiviert uns. In der Vergangenheit war unsere Liga für andere Länder weniger interessant.
SPIEGEL: In Weißrussland haben einige ausländische Spieler die Entscheidung öffentlich kritisiert, weiterzuspielen. Was halten sie davon?
Semjonow: Jeder hat seine Meinung. Überall auf der Welt sind Menschen krank und sterben. Das ist schrecklich. Aber jeder muss auf seine Gesundheit achten, bei sich selbst anfangen.
SPIEGEL: Vertrauen Sie den offiziellen Statistiken Ihres Landes? Viele Weißrussen tun das nämlich nicht.
Semjonow: In einer Zeit wie dieser ist es schwer, offiziellen Zahlen voll zu vertrauen. Aber gleichzeitig gibt es in meiner Umgebung keine offensichtlichen Corona-Fälle, für mich damit keinen Grund zu behaupten, dass die Situation viel schlimmer ist, als man uns sagt.

Präsident Alexander Lukaschenko im Stadion: Fußball ist Chefsache
Foto: Alexei Nikolsky/ imago/ITAR-TASSSPIEGEL: Präsident Alexander Lukaschenko nennt die globale Reaktion auf die Pandemie eine "Corona-Psychose". Er rät sogar dazu, das Virus mit Wodka "zu vergiften" und viel Traktor an der frischen Luft zu fahren. Nicht nur in Deutschland schütteln die Menschen darüber nur den Kopf.
Semjonow: Wir in Weißrussland verstehen, dass das Witze sind. Weder Traktoren noch Wodka werden verhindern, dass wir krank werden. Es liegt wirklich in unseren Händen, wie stark sich das Virus verbreitet. Viele der Menschen, die jetzt eine Quarantäne herbeischreien, befolgen selbst die einfachsten Hygieneregeln nicht, sobald die Wochenenden beginnen, sehen wir Menschenmassen, Treffen vergnügter Menschen. Eine strenge Quarantäne im Staat wird denjenigen nicht helfen, die sich selbst nicht an die Regeln halten.
SPIEGEL: Was sagt Ihre Frau dazu, dass Sie weiterhin spielen?
Semjonow: Sie scheint keine Angst zu haben. Wenn ich nach den Spielen am Wochenende nach Hause komme, zwingt sie mich, mir die Hände zu waschen, sie zu desinfizieren. Aber sie sagt nicht: "Geh nicht zur Arbeit, bleib zu Hause." Wir haben zwei Kinder, eine Tochter, zwei Jahre, und einen Sohn, drei Monate. Sie verlassen fast nie das Haus. Wir laden keine Gäste ein. Aber einkaufen gehen wir natürlich.
SPIEGEL: Wie lange wird das noch so weitergehen mit Ihrer Liga?
Semjonow: Es ist schwierig, das einzuschätzen. Zu Beginn jeder Woche entscheidet der Fußballverband über den nächsten Spieltag. Ich verstehe es so: Solange alle gesund sind, werden wir spielen. Um den Ligabetrieb zu unterbrechen, brauchen wir einen Grund. Solch eine Entscheidung wäre logisch, wenn sich die Situation im Land deutlich verschlechtert, einer der Spieler erkrankt.
Am 31. Dezember 2019 wandte sich China erstmals an die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In der Millionenstadt Wuhan häuften sich Fälle einer rätselhaften Lungenentzündung. Mittlerweile sind mehr als 100 Millionen Menschen weltweit nachweislich erkrankt, die Situation ändert sich von Tag zu Tag. Auf dieser Seite finden Sie einen Überblick über alle SPIEGEL-Artikel zum Thema.
SPIEGEL: Wie läuft die Saison für Ihre Mannschaft?
Semjonow: Nicht schlecht - besser als die vorherige. Wir liegen auf Platz zwei der Tabelle. Am Samstag treffen wir auf Wizebsk.
SPIEGEL: Im Gebiet Wizebsk gibt es bereits viele Kranke und sogar Tote. Eine eigentlich als Heimspiel geplante Partie fand auswärts statt.
Semjonow: Wir werden zu Hause in Sluzk spielen. Im Team von Wizebsk war bisher niemand krank. Wir hoffen zu gewinnen, unsere Fans auch im Ausland zufriedenstellen zu können. Ich wünsche allen Gesundheit! Das Wichtigste ist, nicht den Mut zu verlieren. Seien Sie sicher: Sluzk newer goes down.