
Robin Dutt: Gefeiert in Freiburg, gescheitert in Leverkusen und Bremen
Werder-Trainer Dutt "Wir berauschen uns noch zu sehr am Fußballspielen"
SPIEGEL ONLINE: Herr Dutt, haben Sie noch ein schlechtes Gewissen gegenüber dem SC Freiburg?
Dutt: Warum sollte ich?
SPIEGEL ONLINE: Weil Sie dem SC vor der Saison mit Cédric Makiadi einen der zentralen Spieler weggekauft haben.
Dutt: Im Fußball gibt es nun mal gewisse Regeln. Sonst müsste Jürgen Klopp ein schlechtes Gewissen haben, weil er Neven Subotic aus Mainz zum BVB geholt hat, Pep Guardiola auch, weil er Thiago von Barcelona zu Bayern geholt hat, und Jos Luhukay fragen wir lieber gar nicht.
SPIEGEL ONLINE: Da sind Sie also unromantisch?
Dutt: Es ist schon so, dass ich von Freiburg keinen Spieler abwerben würde, der einen gültigen Vertrag hat. Diesen Respekt habe ich gegenüber dem Verein. Durch Ziehen einer Ausstiegsklausel seitens des Spielers endet jedoch ein Vertrag.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie denn noch Kontakt zum Verein oder zu ihrem ehemaligen Co- und jetzigen Cheftrainer Christian Streich?
Dutt: Ich habe sogar sehr engen Kontakt. In Freiburg hatte ich vier außergewöhnliche Jahre, die für mich nicht nur sportlich erfolgreich, sondern auch menschlich sehr schön waren, die bisher vielleicht schönsten meiner Karriere. Ich verfolge sehr genau, was dort passiert.
SPIEGEL ONLINE: Nach Freiburg kam für Sie die Station in Leverkusen, dann der Sportdirektorposten beim Deutschen Fußball-Bund. Waren diese zehn Monate zwischen August 2012 und Juni 2013 beim DFB für Sie vertane Zeit?
Dutt: Nein, ich habe einiges über mich selbst gelernt.
SPIEGEL ONLINE: Zum Beispiel?
Dutt: Leute, die mich näher kennen, sagen, ich sei gelassener geworden, nicht mehr so empfindlich. Ich habe mich in dieser Zeit mit vielen Trainern unterhalten und dabei festgestellt, dass alle dieselben Sorgen und Nöte haben - aber jeder denkt, seine seien die schlimmsten. Das hat mir auch gezeigt, dass kein Trainer Kritik persönlich nehmen sollte, es sei denn, sie driftet ins Respektlose ab. Wir sind als Cheftrainer nun mal in einer exponierten Stellung, wir müssen mehr aushalten als andere. Aber wir haben das Recht, Mensch zu bleiben. Und das dürfen wir uns nicht nehmen lassen.
SPIEGEL ONLINE: Konnten Sie aus diesem Job noch etwas mitnehmen?
Dutt: Einblicke in die Nachwuchsarbeit aller Bundesligisten zu bekommen war sehr interessant. Dabei habe ich auch einige Überraschungen erlebt. Bei manchem Verein, von dem man dachte, er betreibe tolle Förderung, steckte so gut wie nichts dahinter. Andere Vereine, von denen man diesbezüglich kaum etwas gehört hatte, haben mich mit richtig guten jungen Trainern und Inhalten verblüfft.
SPIEGEL ONLINE: Bei welchem Verein steckte denn nichts dahinter?
Dutt: Namen werde ich da natürlich nicht nennen, weder im Positiven noch im Negativen.
SPIEGEL ONLINE: Seit dieser Saison sind Sie bei Werder Bremen. Ist das nach Freiburg wieder ein Wohlfühlclub für Sie?
Dutt: Es ist sicher kein Zufall, dass ich in Bremen gelandet bin. Ich hatte in der Vergangenheit Momente, in denen ich an Freiburg zurückdachte und an die Zeit, als ich nur Trainer sein konnte, ohne dass das Drumherum mich zu sehr beschäftigte. Das hatte mir in Freiburg sehr gut gefallen, und ich habe das Gefühl, dass Werder eine der letzten Bastionen im Profifußball ist, die ähnlich tickt - wenn auch in ein bis zwei Nummern größer.
SPIEGEL ONLINE: Wenn man in Ruhe arbeiten will, kann Erfolg nicht schaden. Wie hilfreich ist da die Hinrundenbilanz von elf Punkten aus acht Spielen bei 9:12 Toren?
Dutt: Es hilft, ganz klar. Allerdings wäre es auch nicht schlimm, wenn wir zwei, drei Punkte weniger geholt hätten. In diesem ersten Jahr geht es uns weniger um die Platzierung, solange man nicht in gefährliche Bereiche gerät, sondern um andere Bausteine, vor allem um Teambuilding und die Erarbeitung einer Basis für die kommenden Jahre.
SPIEGEL ONLINE: War der Zustand im Team denn so schlecht?
Dutt: Da waren zunächst mal die 66 Gegentore. Man muss gar kein Fachmann sein, um zu wissen: So viele Tore kannst du gar nicht schießen, um bei einem solch schlechten Wert noch erfolgreich zu sein. Die Offensive ist zwar mein Steckenpferd, aber sie ist auch am schwierigsten zu trainieren. Die Defensive erfordert eine gewisse Mentalität, ist vom taktischen Ablauf aber einfacher zu trainieren. Gemeinsam zu verteidigen ist die Basis, über die wir unsere spielerische Linie entwickeln wollen.
SPIEGEL ONLINE: Und das klappt jetzt?
Dutt: Dass das Miteinander funktioniert, ist für mich immer am wichtigsten. Es passt dann, wenn wir intern hart miteinander arbeiten und uns als Einheit präsentieren. Das geht nur, wenn die Jungs sich auf ein paar Dinge verlassen können. Zum Beispiel darauf, dass ich niemanden öffentlich kritisiere. Dafür sage ich dann intern auch mal scharf meine Meinung, und die Mannschaft nimmt das an.
SPIEGEL ONLINE: Unter Ihrem Vorgänger Thomas Schaaf wirkte das Werder-Spiel stark geprägt durch Eigeninitiative und Selbstverantwortlichkeit der Profis. Täuscht der Eindruck, dass es unter Ihnen striktere Vorgaben gibt?
Dutt: Das ist eine Gratwanderung. Ich glaube, kein Trainer sollte sich anmaßen, mehr zu wissen als die Summe seiner Spieler. Je mehr Vorgaben ich mache, desto weniger reize ich das Potential meiner Spieler aus. In Bremen wurde da lange vieles richtig gemacht. Ich wäre ja als Trainer blöd, würde ich das Wissen von Top-Spielern durch Vorgaben einschränken. Momentan sind wir aber in der Übergangszeit, und wir haben einen anderen Kader. Deshalb brauchen meine Spieler mehr Vorgaben, sie wollen das sogar so. Nach jedem Training werde ich um Rat gebeten in Bezug auf bestimmte Spielsituationen.
SPIEGEL ONLINE: Gelten die Vorgaben denn für alle Spieler in gleichem Maße?
Dutt: Manche Vorgaben sind bindend, sowohl in der Defensive als auch in der Offensive. Dann wiederum gibt es Spieler, die Freiheiten genießen. Aaron Hunt ist so einer, den ich nicht einschränken will. Der entscheidet zu 90 Prozent allein, was er macht, weil er Laufwege drauf hat, die ich ihm nicht beibringen muss.
SPIEGEL ONLINE: Beim 0:3 gegen Frankfurt und beim 3:3 gegen Nürnberg haben Sie versucht, nicht nur sicher zu stehen, sondern auch offensiv zu spielen. Ist es ein Zufall, dass Sie genau in diesen Spielen die Hälfte aller Gesamtgegentore kassiert haben?
Dutt: Nein, das ist kein Zufall. Ich habe mir selbst nach diesen Spielen die Frage gestellt: Wieviel Offensive verträgt unsere Defensive? Vor allem in Heimspielen besteht bei uns noch die Gefahr, dass wir von der Begeisterung unserer Fans in Gefilde getragen werden, in denen wir uns noch nicht so gesund bewegen. Wir berauschen uns dann noch zu sehr daran, auch mal selbst Fußball zu spielen und zu zeigen, dass wir auch offensiv können.
