
Krise in Bremen: Desolates Team, wackelnder Trainer
Werder-Führung Schaaf & Allofs Doppelt ratlos in Bremen
London/Hamburg - Mitten im Champions-League-Spiel gegen Tottenham Hotspur stimmten die Fans ihr Loblied an. Die rund 2000 mitgereisten Werder-Anhänger sangen: "Thomas Schaaf, du bist der beste Mann." Mehrfach war es am Mittwochabend zu hören - trotz der Krise, trotz dieses chancenlosen Auftritts in London, trotz des frühen Ausscheidens im Europapokal.
Und was sagte der sonst so reservierte Schaaf zu den Treueschwüren von der Tribüne? Für seine Verhältnisse gab der Coach schon ungewöhnlich viel preis über sich, als er nach der Niederlage zu den Gesängen sagte: "Ich habe das schon vor der Partie gehört. Das freut einen natürlich." Persönliches und Gefühle, das behält der 49-Jährige sonst lieber für sich.
Aber es sind ungewohnte Zeiten für die Bremer, erfolglose Zeiten. Die aktuelle sportliche Bilanz von Werder fällt katastrophal aus. In der Bundesliga liegt der Nordclub abgeschlagen auf dem zwölften Platz - mit sechs Punkten Rückstand zu einem Europa-League-Platz, aber mit nur vier Punkten Vorsprung vor einem Abstiegsrang. Im DFB-Pokal gab es das Aus in der zweiten Runde gegen den FC Bayern München. Und in der Champions League? Nach dem 0:3 gegen Tottenham Hotspur ist Werder am Mittwoch ausgeschieden. Mehr noch: Die Qualifikation für die Europa League durch den dritten Platz in der Gruppenphase wurde verpasst. Internationale Perspektive für die kommende Saison? Gleich null.
In den vergangenen fünf Partien schoss Werder kein einziges Tor, kassierte aber dafür gleich 15 Gegentreffer. Von den letzten sieben Begegnungen verloren die Bremer sechs, nur gegen Eintracht Frankfurt gelang ein torloses Unentschieden. Eine triste Bilanz.

Werder in der Krise: Bittere Bremer Bilanz
Trainer Schaaf und Manager Klaus Allofs haben in dieser Saison schon einiges versucht, um die Mannschaft unter Kontrolle zu bekommen. Allofs probierte es mit einem vorübergehenden Einfrieren der Gehälter. Ein Schuss, der nach hinten losging, weil er beim Team keinerlei Wirkung zeigte und in der Öffentlichkeit stark kritisiert wurde. Und auch im Club dürfte die Maßnahme nicht unumstritten gewesen sein.
Schaaf hingegen scheint seine Spieler einfach nicht mehr in den Griff zu bekommen. Ein Problemfall ist nach wie vor Marko Arnautovic, für 6,5 Millionen Euro von Twente Enschede verpflichtet. Von der Mannschaft, die in der Champions League in der Gruppe A Werder den Europa-League-Platz weggeschnappt hat. Schaaf hat es bei dem Österreicher trotz etlicher Gespräche nicht geschafft, ihm die geforderte Kämpfer-Mentalität zu vermitteln, die es als Fußball-Profi braucht. Die Stimmung innerhalb des Teams ist ohnehin nicht von überbordender Freundlichkeit geprägt. Kapitän Torsten Frings äußerte sich schon mehrfach in dieser Saison zu den Unzulänglichkeiten seiner Mitspieler.
Torwart Tim Wiese beklagte sich über das Fehlen des zu Real Madrid abgewanderten Mesut Özil, was indirekt auch als Kritik an den verbliebenen Kreativ-Kräften gewertet werden darf. Einer der sich angesprochen fühlen dürfte, Mittelfeldspieler Aaron Hunt, reagierte genervt: "In Tims Aussage steckt wenig Überlegung. Aber das kennen wir ja von ihm." Der konterte: "Was Aaron sagt interessiert mich nicht." Die produktive Wohlfühlatmosphäre, die Werder seit Jahren umgab, gibt es nicht mehr.
Zweifellos plagen Werder etliche Verletzungssorgen. Vor dem Spiel gegen Tottenham fehlten unter anderem Naldo, Claudio Pizarro, Mikael Silvestre, Tim Borowski, Sebastian Boenisch, Wesley, Arnautovic und der gesperrte Frings. Insgesamt standen Schaaf nur noch zwölf Profis zur Verfügung. Der Trainer musste den Kader mit Amateuren und Jugendspielern auffüllen. Dennoch, was in Bremen derzeit anzusehen ist, ist der Kollaps eines einstigen Erfolgsmodells.
Die große Frage lautet: Was wird aus Werder?
Die Qualifikation für den internationalen Wettbewerb wird in dieser Verfassung nicht zu schaffen sein. Die Konkurrenz um die erstarkten Schalker, Bayern München, Hoffenheim, Wolfsburg, Hamburg, Dortmund, Leverkusen und Mainz scheint derzeit zu groß. Für Werder wäre es eine ungewohnte Erfahrung, immerhin hat der Club in den vergangenen sieben Jahren sechs Mal die Champions League erreicht.
Die Folge: Es muss gespart und ein Umbruch eingeleitet werden. Auch weil einige Stammspieler zumindest mittelfristig ausgetauscht werden müssen. Torsten Frings ist bereits 34 Jahre alt. Pizarro 32 Jahre. In der Innenverteidigung muss eine Alternative für den dauerverletzten Naldo her. Auf der linken Seite braucht es zumindest einen soliden Außenverteidiger, der Werder seit Jahren fehlt. Auch Clemens Fritz auf der rechten Seite hatte schon bessere Tage und könnte Konkurrenz vertragen.

Tottenham vs. Bremen: Werders Debakel bei den "Spurs"
Das Problem: Werder muss den Kader qualitativ aufwerten, wird dafür aber weniger Geld zur Verfügung haben als in den vergangenen Jahren.
Ob für diesen Neuanfang das Gespann Schaaf-Allofs noch verantwortlich sein wird, ist fraglich. Selten hat man Schaaf derart angeschlagen erlebt. Dessen angebliche Rücktrittsdrohung gegenüber der Mannschaft dementierte Allofs zwar deutlich: "Es hat keine Rücktrittsandrohung oder die Frage nach einem möglichen Rücktritt in irgendeiner Mannschaftsbesprechung gegeben." Doch das öffentliche Auftreten von Schaaf ist schon lange nicht mehr von der stoischen Selbstgewissheit geprägt, die man von ihm gewohnt ist. Stattdessen gibt er sich dünnhäutig und reizbar.
Ein weiterer Punkt, der daran zweifeln lässt, ob Schaaf und Allofs auch über die aktuelle Saison hinaus gemeinsam die Geschicke bei Werder lenken, sind die Absetzbewegungen des Managers. Allofs sagt zwar, "dass er überzeugt sei, dass es keinen besseren gibt, der so akribisch arbeitet". Er sagt über einen Wechsel in der sportlichen Leitung aber auch: "Wenn in den Gremien die Meinung herrscht, dass es anders ist, dann ist es sicherlich kein Tabuthema."
Ein Trainerwechsel würde denn vorerst von seinen Versäumnissen ablenken. Denn auch wenn die finanziellen Aspekte mit einem Gewinn von 1,1 Millionen Euro in der Spielzeit 2009/2010 stimmen, wie vor zehn Tagen auf der Mitgliederversammlung verkündet wurde, Allofs' Transfer-Bilanz der vergangenen Jahre kann nicht überzeugen. Auf seiner Habenseite: Claudio Pizarro, Marko Marin, Mesut Özil und Wesley. Sein Soll: Carlos Alberto, Alexandros Tziolis, Boubacar Sanogo, Marcelo Moreno, Aymen Abdennour, Sebastian Prödl, Silvestre und Arnautovic.
Allofs hat es zuletzt formuliert: "Wir sind alle auf dem Prüfstand."