
WM-Sensation Costa Rica: Ein Land in Ekstase
WM-Überraschung Costa Rica Angst? Wer hat hier Angst gesagt?!
Nach der WM-Auslosung kamen die Zweifel. Italien, Uruguay und England - und das kleine Costa Rica. Was sollte "La Sele" schon ausrichten gegen drei ehemalige Weltmeister? Kaum jemand hatte damit gerechnet, dass die "Ticos" es bis ins Achtelfinale gegen Griechenland schaffen würden (22 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE): Laut einer Umfrage der New York Times hatten nur die Engländer noch geringere Erwartungen an die eigene Mannschaft.
Grund zu leiser Hoffnung hatte die WM-Qualifikation gegeben, die das Team von Trainer Jorge Luis Pinto auf Platz zwei hinter den USA abschloss. Und das wohl nur, weil die sonnenverwöhnten "Ticos" beim Auswärtsspiel gegen Klinsmanns US-Team in Colorado allen Protesten zum Trotz im Schneegestöber spielen mussten und 0:1 verloren.
"Wer sagte hier Angst?"
Die Costa Ricaner tobten und schworen Rache. "Ich glaube, als man uns dieses Spiel quasi weggenommen hat, wurde unser Feuer, unser Nationalstolz so richtig entfacht", sagt José Enrique Morales, einer von Millionen Fußballfans im Land. "Wir Ticos sind sonst nicht allzu nationalistisch und lassen uns kulturell von verschiedenen Einflüssen inspirieren. Aber wenn es um Fußball geht, wissen wir genau, wann wir zusammenstehen müssen."
Die Unterstützung der Fans machte sich bezahlt. Nach dem Sensationssieg zum WM-Auftakt gegen Uruguay bezweifelte kaum jemand, dass die Nationalelf auch Italien und England besiegen könnte. Schnell setzte sich im Netz der Hashtag #QuienDijoMiedo (Wer sagte Angst?) durch.
Die Fifa verschärfte die Dopingkontrollen
Damit niemand die historischen Momente verpasst, hat der neu gewählte Präsident Luis Guillermo Solís nahezu dem ganzen Land während der "Sele"-Spiele freigegeben. So konnten die "Ticos" den zweiten Sieg ihrer Elf gegen Italien miterleben, der klarmachte, dass der Erfolg kein glücklicher Zufall ist, sondern auf fußballerischer Klasse beruht. "Das ist das Produkt von harter Arbeit, viel taktischer Disziplin und Spielern, die keine Angst vor großen Namen und Herausforderungen haben", sagt Juan Carlos Rojas, Präsident des costa-ricanischen Rekordmeisters CD Saprissa, bei dem die beiden Nationalspieler Yeltsin Tejeda und Michael Umaña unter Vertrag stehen.
Die Fifa schien von der Vorstellung der Ticos derart überrascht, dass sie nach dem Spiel gegen Italien gleich sieben statt wie gewöhnlich zwei Nationalspieler zur Dopingkontrolle beorderte. Das sorgte für Unmut.
Ein Land wagt zu träumen
Als die "Sele" mit dem Unentschieden im letzten Spiel gegen England den Gruppensieg perfekt gemacht hatte, gab es kein Halten mehr. Zur Mittagszeit nach Spielende kehrte kaum jemand zur Arbeit zurück. Stattdessen schien es, als hätten sich alle 4,5 Millionen Bürger des Landes auf den Straßen und Plätzen San Josés versammelt. Das Alkoholverbot in der Öffentlichkeit interessierte da niemanden mehr. In kollektiver Ekstase bejubelten die "Ticos" ihre Mannschaft bis spät in die Nacht.
Der Effekt des Erfolgs scheint bereits spürbar: "Das hat dem costa-ricanischen Fußball und unserem Land allgemein einen gigantischen Schub verpasst", sagt Rojas. "Die WM ist das größte Medienschaufenster überhaupt, die Welt sieht zu, wie ein kleines Land zu träumen wagt und es mit den ganz Großen aufnimmt. Das gilt für Fußball, aber auch darüber hinaus, und wird Bereiche wie den Tourismus und Handel stärken." Den Wunsch, diese Euphorie für nachhaltige Verbesserungen jenseits der WM zu nutzen, vernimmt man immer häufiger.
Blick richtet sich aufs Viertelfinale
Wie weit kann Costa Rica bei der WM noch kommen? Wenn es gelingt, Griechenland aus dem Weg zu räumen, träfe die "Sele" im ersten Viertelfinalspiel ihrer Geschichte wahrscheinlich auf die Niederlande. "Gegen Holland würde es sehr schwer, da sind wir nicht naiv. Wir sind stolz, dass unser kleines Land überhaupt so weit gekommen ist", sagt der Fan José Enrique Morales.
"Die Unterschiede auf diesem Niveau sind gering, Kleinigkeiten können über den Finaleinzug oder das Aus im Achtelfinale entscheiden", sagt hingegen Rojas. "Ich glaube, dieses Team hat sowohl das taktische Geschick als auch die physische und mentale Stärke, um es weit nach vorne zu schaffen." Nach Leistungen wie in der Gruppenphase sind wilde Träumereien erlaubt. Ausgeschlossen ist bei dieser WM ohnehin nichts mehr - auch dank Costa Rica.