
Klima bei der WM: Schöner schwitzen mit den Stars
WM-Statistik Der entzauberte Klima-Mythos
Bei steigenden Temperaturen wächst das Chaos. So lautet ein Prinzip, das an die Thermodynamik erinnert, sich aber auch prima in der Fußball-Analyse nutzen lässt. Etwa von Ottmar Hitzfeld, der damit die hohen Ergebnisse der WM-Vorrunde erklärte: "In der Hitze leidet die Konzentration, man macht Fehler. Und Tore entstehen nun mal aus Fehlern", zitiert ihn das Schweizer Radio und Fernsehen.
Eine überzeugende Kausalkette? Nicht wirklich. Untersucht man den statistischen Zusammenhang von Toren und Temperaturen der Vorrunde, lassen sich diese Thesen nicht halten. Auch die Fußballwelt ist komplizierter als ein Dreisatz.
Zunächst zum Wetter: Das ist zweifellos außergewöhnlich und herausfordernd, insbesondere für die europäischen Teams. Rund jedes vierte Spiel der Vorrunde wurde bei Außentemperaturen von 29 Grad und mehr ausgetragen, Italien musste gegen Uruguay sogar bei 33 Grad auf den Platz. Und schwül war es, mit einer Luftfeuchte von häufig über 75 Prozent.
Auch die deutsche Elf bestritt ihre Spiele im tropischen Klima: 26 Grad gegen Portugal, 29 gegen Ghana, 27 gegen die USA. Und nur gegen Ghana blieb die Luftfeuchtigkeit mit 61 Prozent vergleichsweise gering. Besser hatten es die bereits ausgeschiedenen Engländer getroffen: Gegen Uruguay durften sie in São Paulo bei inseltypischen 12 Grad antreten - im kühlsten Spiel der Vorrunde. Es blieb die große Ausnahme.
These 1: Weil es heiß ist, laufen die Spieler weniger
In den Vorrundenspielen legte die deutsche WM-Elf rund 341 Kilometer auf dem Rasen zurück, im Durchschnitt 114 Kilometer pro Einsatz. Im Vergleich zur Bundesliga wirkt dieser Wert schon weit weniger beeindruckend: In der vergangenen Saison brachten es die Spieler des SC Freiburg laut Opta-Daten auf einen Schnitt von 121 Kilometern, für alle Klubs lag dieser Mittelwert bei 117 Kilometern. Offenbar scheinen sich also die Spieler in der Hitze Brasiliens tatsächlich weniger zu bewegen.
Dafür aber allein das Wetter verantwortlich zu machen, wäre deutlich zu kurz gegriffen. So legte das deutsche Team bei der viel kühleren WM 2010 in Südafrika nur 108 Kilometer pro Spiel zurück. Und gäbe es einen direkten Zusammenhang zum Klima, dann müsste sich dieser Effekt auch innerhalb der kompletten Vorrunde dieser WM nachweisen lassen. Wo es moderater war, hätte die Laufleistung tendenziell ansteigen müssen. Was sie nicht tat.
Stattdessen brachten es einige Teams trotz hoher Temperaturen auf Spitzenwerte bei den gelaufenen Kilometern. Etwa die deutsche Elf mit 117 Kilometern gegen Ghana, Australien mit 116 Kilometern gegen Chile und Algerien mit 113 Kilometern gegen Belgien - allesamt erlaufen bei 29 Grad im Stadion.
Fazit: Stimmt nicht.
These 2: Weil die Spieler in der Hitze mehr Fehler machen, fallen mehr Tore
Diese These hat immerhin einen wahren Kern: Torreich war die Vorrunde dieser WM tatsächlich, mit 136 Treffern in 48 Spielen. Allein sieben Tore fielen im Spiel Schweiz gegen Frankreich, jeweils sechs in den Partien Spanien gegen die Niederlande und Südkorea gegen Algerien. Auch im Vergleich zu früheren WM-Vorrunden hält sich dieser Eindruck: In Südafrika ging der Ball in der Vorrunde nur 101 Mal ins Netz, trotz eines Spiels mit sieben Toren (Portugal gegen Nordkorea).
Doch auch hier müsste sich ein Effekt auch innerhalb der Vorrunden zeigen. Schließlich reichten die Tagestemperaturen in Südafrika von 2 bis 19 Grad, in Brasilien von 12 bis 33 Grad. Diese Spannbreiten hätten belegen können, was viele vermuten: Dass der Ball häufiger im Tor landet, wenn es wärmer ist. Dieser Zusammenhang ist aber statistisch nicht zu beweisen.
Fazit: Ja und nein. Tore sind sehr viele gefallen, aber das liegt nicht nur am Wetter.
These 3: Weil die Erschöpfung während des Spiels zunimmt, fallen mehr Tore später
Wie offensiv diese Vorrunde war, zeigte sich tatsächlich oft erst in der zweiten Halbzeit. Dann nämlich wurden rechnerisch sechs von zehn Toren geschossen. Doch dahinter dürfte mehr stecken als die Außentemperatur. Denn auch in Südafrika waren die zweiten Spielhälften der Vorrunde deutlich torreicher als die ersten.
Zudem unterscheiden sich heiße und moderate Spiele auch hier zu wenig, als dass sich ein Effekt daraus ableiten ließe. In allen Vorrundenspielen in Brasilien wurden 46 Prozent der Tore in der letzten halben Stunde erzielt. Vergleicht man nur die Spiele bei Temperaturen bis 21 Grad, lag dieser Wert deutlich unter, im moderaten Bereich zwischen 23 und 26 Grad weit über dem Schnitt. Eine Gesetzmäßigkeit lässt sich also auch hier nicht finden.
Fazit: Ja und nein. Tore fallen eher spät als früh, aber auch das liegt nicht nur am Wetter.
Der Fluch von Manaus
Der einfache Dreisatz Hitze-Fehler-Tore darf also als widerlegt gelten, jedenfalls in seiner eindimensionalen Form. Als Ausgleich fördert die Statistik aber einen neuen Mythos zutage, den die Zahlen ohne Zweifel belegen: Die Arena Amazônia in Manaus bringt Unglück. Von sechs Teams, die hier am ersten und zweiten Spieltag der Vorrunde spielten, verloren fünf ihr nächstes Spiel. Wie dieser Fluch auf die Mannschaften übertragen wird, müssen weitere Analysen zeigen.
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