Remis gegen Island Argentinien braucht eine Revolution

Lionel Messi
Foto: MLADEN ANTONOV/ AFPAls Jorge Sampaoli im Juni 2017 die argentinische Nationalmannschaft übernahm, war der Jubel im Land des zweifachen Weltmeisters groß. Der Schüler von Marcelo Bielsa hatte sich in seiner Zeit in Chile einen Ruf als innovativer Trainer erarbeitet, der Mannschaften auf ein höheres Niveau heben kann. Der mit seiner Idee von aggressivem Pressing um Titel spielen kann.
Nun sollte man Auftaktspielen bei Weltmeisterschaften keine für das gesamte Turnier gültige Bedeutung beimessen. Aber nach dem 1:1 (1:1)-Unentschieden Argentiniens gegen äußerst biedere Isländer ist nur schwer vorstellbar, dass die Albiceleste in Russland noch begeisternden Fußball zeigen wird. Geschweige denn um die WM-Trophäe mitspielen wird.
Sampaoli, der mit seinen überdimensionalen Tattoos an beiden Armen der aktuellen Spielergeneration entsprungen zu sein scheint, wirkte nach der Partie dann auch angefressen und einsilbig. Island habe nun mal extrem defensiv gespielt, "aber wir glauben an uns und wissen, dass wir alle Möglichkeiten haben, erfolgreich zu sein". Viel mehr konnte man dem 58-Jährigen nicht entlocken, zu tief saß die Enttäuschung über das schwache Spiel seiner Mannschaft.
Island freut sich über 22 Prozent Ballbesitz
Am Tag zuvor hatte das noch ganz anders geklungen. Sampaoli gab die komplette Aufstellung bekannt, nicht nur für den deutschen Bundestrainer Joachim Löw ein undenkbares Vorgehen. "Wir wissen, was wir tun wollen", sagte der Trainer. "Wir haben heute schon mit unserer Startelf trainiert und ich halte es nicht für nötig, diese Informationen geheim zu halten." Für seinen Gegenüber Heimir Halmgrimsson war es so ein Leichtes, sich auf alle Eventualitäten einzustellen.

Argentinien vs. Island: Messi verzweifelt an der Island-Mauer
So entwickelte sich ein Spiel ganz nach dem Geschmack des isländischen Trainers. Argentinien hatte 78 Prozent Ballbesitz und brachte auch neun von zehn Pässen zum Mitspieler, weil die Bälle in der Regel aber kurz und quer gespielt wurden, war das mit dem Raumgewinn für die Argentinier so eine Sache. Island machte die Räume eng, spielte viele lange Pässe und konzentrierte sich sonst auf den Dunstkreis von Lionel Messi.
Der Superstar zeigte im Nationaltrikot mal wieder eine durchwachsene Leistung, die nicht mit seiner Saison beim FC Barcelona in Einklang zu bringen ist. Messi kam zwar auf elf Torschüsse, allerdings wurden allein fünf davon geblockt und nur drei kamen tatsächlich auf das isländische Tor. Als er in der 64. Minute dann nach einem Foul an Maximiliano Meza zu einem Elfmeter antrat, hätte Messi seiner Rolle als Heilsbringer gerecht werden können, doch Torhüter Hannes Halldorsson parierte den schwach geschossenen Strafstoß.
Lionel Messi hat alles und nichts unter Kontrolle
Nach dieser Leistung hat sich Argentinien aus dem Kreis der Mitfavoriten verabschiedet und es spricht derzeit wenig dafür, dass sich das noch einmal ändert. Denn Sampaoli müsste eine Revolution ausrufen, die es so mit Messi nicht geben wird. Vor dem Turnier hatte der Trainer einen entscheidenden Satz gesprochen: "Wenn Leo gut drauf ist, hat er das Team mehr unter Kontrolle als ich."
Sampaolis Pressing ist mit Messi, der nur bei Ballbesitz am Spiel teilnimmt, nicht machbar. Stattdessen wird in einem 4-2-3-1 gespielt, das gegen Island im Angriff häufig zu einem 2-4-4 mutierte. Meza, Messi, Torschütze Sergio Agüero und Ángel di María standen vorne auf einer Linie, die defensiven Mittelfeldspieler Javier Mascherano und Lucas Biglia haben jedoch gar nicht die spielerischen Möglichkeiten, um die richtigen Pässe für das Quartett zu spielen. Ganz automatisch lief trotzdem nahezu jeder Angriff über Messi, wie in einer Dauerschleife.
Nach den Einwechslungen von Éver Banega und Cristian Pavón wurde es zwar etwas besser, aber mit Paulo Dybala ließ Sampaoli einen Weltklassespieler 90 Minuten auf der Bank. Für den Trainer ist der Profi von Juventus anscheinend nur ein Ersatz für Messi - und keine Ergänzung. Dabei wäre in einem anderen System ein Zusammenspiel der beiden sehr wohl denkbar, wenn beispielsweise Messi wie häufig in Barcelona über die rechte Seite käme.
Aber selbst wenn Sampaoli diese Probleme lösen könnte, bleibt noch die instabile Defensive mit einem schwachen Torhüter Willy Caballero und nur einem Verteidiger von internationalem Format: Nicolás Otamendi. Am kommenden Donnerstag (20 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE; TV: ZDF und Sky) geht es für Argentinien gegen Kroatien weiter, dann wird die Abwehr von Mario Mandzukic, Luka Modric oder Ivan Perisic ganz anders gefordert werden.
Wahrscheinlich wird es aber wieder Messi richten müssen. Wenn er denn kann.