Griezmann überragt im WM-Halbfinale Der Star, den Frankreich braucht, aber nicht verdient hat

Frankreich spielt destruktiven Fußball, gewinnt, und am Ende wird Wunderkind Kylian Mbappé gefeiert. Dabei hat das WM-Halbfinale gegen Marokko einmal mehr verdeutlicht: Ohne Antoine Griezmann geht gar nichts.
Antoine Griezmann (links), der heimliche Star des französischen Fußballs, neben Wunderkind Kylian Mbappé

Antoine Griezmann (links), der heimliche Star des französischen Fußballs, neben Wunderkind Kylian Mbappé

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Lars Baron / Getty Images

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Spieler des Spiels: Im Fokus stand natürlich auch diesmal Kylian Mbappé. Im Halbfinale gegen Marokko bereitete er beide Tore vor. Ein anderer Spieler hätte die Aufmerksamkeit jedoch mehr verdient: Antoine Griezmann.

Das blondierte Genie mit Flair, auf dem Platz scheint er geradezu zu schweben, er ist überall. Ohne ihn liefe nichts im französischen Spiel. Griezmann orchestriert das Pressing, wenn es so weit kommt. Er initiiert fast jeden Angriff, läuft die Wege zu, die Mbappé durch die ihm zugestandenen Starallüren offen lässt.

Eine Szene war exemplarisch dafür, was Griezmann dem französischen Spiel gibt: In der zweiten Hälfte stand er zum Eckball bereit, gestikulierte aber wie wild in Richtung Mittellinie. Ihm gefiel die Absicherung bei dieser Standardsituation nicht, denn Marokko ließ einen zusätzlichen Konterstürmer vorn. In einem so traurig destruktiven Team, das ja eigentlich vor individueller Weltklasse nur so sprudelt, ist Griezmann der Spieler, der alles zusammenhält. Nur dass ihm die Aufmerksamkeit, die er verdient hätte, viel zu selten zuteilwird.

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Das Ergebnis: Am Ende interessieren im Fußball vor allem die harten Statistiken. Deswegen auch an dieser Stelle: 2:0 (1:0) gewann Frankreich gegen Marokko und zieht damit ins WM-Finale am Sonntag ein. Theo Hernández (5. Minute) und Randal Kolo Muani (79.) trafen. Lesen Sie hier den Spielbericht.

Marokkanischer Feiertag in Katar: Es gibt nicht viele Hymnen, die im Weltfußball mit der französischen »Marseillaise« mithalten können. Dafür ist das mit Inbrunst von Spielern wie Olivier Giroud oder Raphaël Varane vorgetragene Kriegslied zu etabliert. Am Mittwochabend jedoch wurde sie durch die marokkanische Hymne »an-Naschid asch-Scharif« geschlagen. Nicht nur, dass sich Torhüter Bono ob der Kulisse mit fast 70.000 vor allem arabischen, also an diesem Abend marokkanischen Fußballfans, die mitsangen, sein bei dieser WM schon bekanntes schelmisches Grinsen nicht verkneifen konnte. Trainer Walid Regragui schrie sich vor der Trainerbank fast die Seele aus dem Leib, ZDF-Reporterlegende Béla Réthy sagte zu Beginn seines Abschiedsspiels: »Haben Sie den Trainer gesehen? Er hat gebrüllt wie ein Löwe!«

Erste Hälfte: Marokko begann etwas nervös: Der erst kurz vor Anpfiff für den verletzten Starverteidiger Nayef Aguerd in die Partie gerutschte Achraf Dari ließ den zurück gespielten Anstoß direkt einmal über den Fuß rutschen. Ein technischer Fehler, der Dutzende Male passiert. Aber auch ein Zeichen von Aufregung, die ein paar Minuten später möglicherweise auch die französische Führung begünstigte: Griezmann ließ den etwas überstürzt herausrückenden Jawad El Yamiq mit einer Körpertäuschung vorbeirutschen und spielte in den Strafraum. Am Ende gelangte ein geblockter Abschluss von Mbappé bei Theo Hernández, der per Zeitlupenseitfallzieher zur Führung traf (5.). Marokko wurde ebenfalls gefährlich, am gefährlichsten durch einen Schienbeinfallrückzieher durch El Yamiq, der am Pfosten landete (44.). Marokko hatte aber auch einen weiteren personellen Rückschlag zu verkraften: Kapitän Romain Saïss musste verletzt runter (21.).

Feiernde Fußballfans am Mittwochabend auf den Champs-Élysées in Paris

Feiernde Fußballfans am Mittwochabend auf den Champs-Élysées in Paris

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JULIEN DE ROSA / AFP

Das Selbstverständnis: Marokko drückte Frankreich tief an den eigenen Sechzehner, hatte mehr Ballbesitz, die schöneren Kombinationen, die gefährlicheren Szenen. Es wurde vor dem Spiel viel über die Partie der beiden Nationen mit der komplexen Kolonial- und Einwanderungsgeschichte diskutiert. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron sprach von einem »brüderlichen und freundschaftlichen Spiel«, auch hinsichtlich einer angespannten Lage etwa in Paris, wo Ausschreitungen erwartet wurden. Jedoch stets implizierend, Frankreich sei der große Bruder. Es dürfte der größte Sieg der Marokkaner sein, dass sich der amtierende Weltmeister Frankreich im direkten Aufeinandertreffen vor allem in der zweiten Hälfte über weite Strecken in einem Zustand dauerhafter Verteidigung befand.

Zweite Hälfte: In der zweiten Hälfte gelangen Frankreich kaum einmal Entlastungsmomente. Und Marokko hatte durchaus Chancen: Abderazzak Hamdallah dribbelte sich formschön in den französischen Strafraum, unter anderem an Varane vorbei. Dann verpasste er jedoch den Zeitpunkt für den Abschluss (76.). Dann machte Frankreich Frankreich-Dinge: Der Frankfurter Randal Kolo Muani wurde eingewechselt und während Béla Réthy noch eine dieser wunderbaren Béla-Réthy-Geschichten erzählte, nämlich die, dass Kolo Muani nur 15 Tage vor Kylian Mbappé im selben Krankenhaus in Bondy in einem Pariser Banlieue geboren wurde, machte sich Kolo Muani auf zur Vorentscheidung: Nach einem Ballgewinn schaltete Frankreich gut um, über Mbappé kamen sie in den Strafraum, der sechs marokkanische Spieler band. Zum marokkanischen Unglück wurde der folgende Abschluss abgefälscht, Kolo Muani staubte ab (79.). Die Entscheidung.

Béla Ciao: In der 73. Minute wurde er noch einmal eingeblendet. Er, dessen Stimme man im Kopf hat, wenn man an WM-Fußball oder andere wichtige Fußballspiele denkt: »Béla Réthy, Reporter« hieß es in einer Einblendung des ZDF, wohl wissend, dass es die letzte dieser Art sein wird. Réthy beendet seine Karriere nach diesem Turnier, nach diesem Spiel an seinem 66. Geburtstag. Vor der Partie hatte er sich fünf bis sechs Tore gewünscht. Die bekam er nicht zu sehen, aber auch so schien er ganz zufrieden: »Wir hatten bei Turnieren viele, viele Zuschauer. Auch solche, die nur bei diesen Gelegenheiten geschaut haben. Ich habe versucht, alle zu unterstützen und alle mitzunehmen. Es freut mich, wenn es gefallen hat. Und sorry an die, die ich nicht erreichen konnte«, sagte er nach dem Spiel. »Liebe Zuschauer, es war mir eine große, große Ehre. Tschüss und adieu.« Später gab es, zugeschaltet ins ZDF-Studio in Mainz, auch noch Tränen.

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