
Arbeiter auf WM-Baustellen: Zwischen Ausbeutung und Ignoranz
Ausbeutung auf WM-Baustellen Amnesty wirft Fifa Versagen in Katar vor
Rund um die Vorwürfe der Ausbeutung von Gastarbeitern auf WM-Baustellen in Katar greift die Menschenrechtsorganisation Amnesty International die Fifa an: Dem Weltverband mangele es an Interesse, die Probleme im Gastgeberland der WM 2022 zu thematisieren und gegen die Ausbeutung von Arbeitern auf WM-Baustellen vorzugehen.
"Die Fifa muss sofort den Druck auf die katarische Regierung erhöhen", fordert Regina Spöttl, Katar-Expertin bei Amnesty International in Deutschland. Stellungnahmen der Fifa fehle "jeder ernstgemeinte Einsatz" zur Bekämpfung der Menschenrechtsverletzungen und des unwürdigen Umgangs mit Arbeitern, die am Umbau des Khalifa-Stadions beteiligt sind.
Amnesty hat bei mehr als 100 Arbeitern Menschenrechtsverletzungen festgestellt. Das "Supreme Committee for Delivery and Legacy", eingesetzt durch die Regierung Katars, ist Schirmherr für die WM-Baustellen. Ihre Vorschriften zur Einhaltung der Rechte der Arbeiter werden laut Amnesty in der Praxis von vielen der beauftragten Unternehmen und Sub-Unternehmen ignoriert. Kontrollen seien viel zu spät durchgeführt worden.
Dreimal besuchten Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation die Baustellen und die Unterkünfte der Arbeiter in Katar. Insgesamt befragten sie 234 Menschen, die meisten von ihnen waren Gastarbeiter aus Südasien. Das sind die wichtigsten Vorwürfe:
- Fast alle Befragten erklärten, vor Ort niedrigere Gehälter erhalten zu haben als ihnen vor der Abreise versprochen wurde.
- Einige Angestellte erhielten ihre Bezahlung erst mit monatelanger Verspätung.
- Viele Menschen lebten zu Beginn laut Amnesty in "armseligen Arbeitslagern mit überfüllten Räumen und geringfügiger Ausstattung". Einige seien später umquartiert worden, aber gerade Arbeiter, die Sub-Unternehmen und Leiharbeitsfirmen unterstellt sind, lebten weiterhin in den unwürdigen Verhältnissen.
- Amnesty bezeichnet die Vorgänge in Katar als Zwangsarbeit. Wenn sich die Gastarbeiter weigern, den geforderten Tätigkeiten nachzugehen, drohen ihre Arbeitgeber damit, dass sie das Gehalt nicht auszahlen oder die Mitarbeiter das Land nicht verlassen dürfen.
- Die Verweigerung der Ausreise ist möglich, weil die Rekrutierung nach einem Patenschaften-System funktioniert, jeder Arbeiter muss einen "Paten" haben, bei dem er angestellt ist. Eine Ausreisegenehmigung erhalten die Arbeiter nur mit Zustimmung dieses Paten. In 88 Fällen sei die Erlaubnis, das Land zu verlassen, verweigert worden.
- Den meisten Personen, mit denen Amnesty sprach, seien die Pässe entzogen worden. Das erschwert die Ausreise und bringt auch Probleme für die Aufenthaltsgenehmigung. Einigen Arbeitern seien die Pässe mittlerweile wieder ausgehändigt worden.
Die Gastarbeiter hätten meist keine andere Wahl, als die schlechten Bedingungen zu akzeptieren. Alle von Amnesty befragten Personen gaben an, für die eigene Anwerbung Schulden auf sich genommen zu haben, weil sie Gebühren an Agenten zahlen mussten. Sollten sie ihre Arbeit einstellen, können sie diese Kredite nicht abbezahlen und ihre Familien in der Heimat nicht ernähren.
Auch wenn die direkten Menschenrechtsverletzungen durch die unter Vertrag genommenen Unternehmen und vor allem durch die Sub-Unternehmen erfolgt seien, sieht Amnesty auch die Fifa und die Regierung Katars in der Verantwortung. Das System der Patenschaften wird zwar durch ein neues Gesetz verändert, die Erlaubnis der Paten zur Ausreise brauchen Angestellte danach aber immer noch. Sie können sich dann lediglich beschweren, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird und die Regierung hat jederzeit Einsicht in die Vorgänge.
Das verantwortliche Komitee verfolge zudem trotz großen Engagements einen falschen Ansatz, kritisiert Amnesty. Es sei sehr von Berichten der Unternehmen abhängig und fokussiere sich zudem nur auf die Hauptarbeitgeber. Die größten Probleme gebe es aber bei den Sub-Unternehmen und Leiharbeitsfirmen.
Zahl der Arbeiter auf WM-Baustellen steigt weiter schnell
Noch kritischer sieht Amnesty das Vorgehen der Fifa. Der Weltverband setze zu wenige konkrete Maßnahmen um und zeige zu wenig Einsatz, um die derzeitige Situation zu verbessern. "Wenn die Fifa jetzt nicht handelt, ist sie mitverantwortlich dafür, dass die Fußball-WM 2022 auf dem Rücken Zehntausender ausgebeuteter Arbeitsmigranten ausgetragen wird", sagt die Menschenrechtlerin Spöttl.
In einer schriftlichen Stellungnahme an die Menschenrechtsorganisation, die SPIEGEL ONLINE vorliegt, verwies der Weltverband selbst vor allem auf Maßnahmen des Supreme Komitees anstatt selbst Verbesserungen anzustreben. Außerdem gebe es entgegen der Behauptungen Amnestys auch Vorgaben der Fifa, die Verletzungen der Menschenrechte vorbeugen sollen. So habe Ex-Präsident Joseph Blatter beispielsweise dafür gesorgt, dass mögliche Gastgeber in ihrem Bewerbungsschreiben auch auf die Arbeitsrechte eingehen müssen. Das gilt jedoch erstmals für die WM 2026, weil bis dahin schon alle Turniere vergeben sind.
Die Fifa erklärte außerdem, sie sei in stetiger Absprache mit wichtigen Teilhabern, Menschenrechtsorganisationen und politischen Institutionen, sei aber nicht "für die Lösung aller gesellschaftlichen Probleme eines Gastgeberlandes verantwortlich". Amnesty wiederum befürchtet, dass das "wiederholte Versagen der Fifa" für Tausende Arbeiter auf WM-Baustellen ein großes Risiko birgt, ausgebeutet zu werden.
In den kommenden Jahren könnten die Probleme noch größer werden. Nach Angaben der Fifa verdoppelte sich die Zahl von Arbeitern auf WM-Baustellen von 2000 auf 4000 Personen. Innerhalb der nächsten zwei Jahre soll sie bis auf 36.000 Arbeiter steigen.