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Gefühlte Niederlage gegen Schweden "Nur peinlich"

Zu wenig Einsatz, keine Führungsspieler: Die seit Monaten schwelende Kritik an der deutschen Nationalmannschaft ist nach dem 4:4 gegen Schweden aktueller denn je. Das DFB-Team hat offensichtlich nichts aus dem EM-Aus gelernt.

Es hätte die Szene des Spiels werden können: Nachdem Per Mertesacker das 3:0 für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gegen Schweden erzielt hatte, rannte er einmal über den gesamten Platz, direkt zur Ersatzbank. Die Reservisten sprangen auf, liefen auf Mertesacker zu und feierten gemeinsam mit dem Verteidiger. Deutlicher hätte man die zuletzt von Bastian Schweinsteiger geäußerte Kritik am Teamgeist nicht entkräften können. Doch am Ende jubelte niemand mehr im DFB-Lager.

Die Auswechselspieler spurteten nach dem Schlusspfiff umgehend in die Katakomben des Berliner Olympiastadions, Mertesacker stand da noch auf dem Spielfeld. Der 28-Jährige schaute völlig entgeistert auf die Tribüne: leerer Blick, Kopfschütteln. Sekunden zuvor hatte der Schwede Rasmus Elm den 4:4-Ausgleichstreffer erzielt, nachdem Deutschland eine halbe Stunde vor diesem Tor scheinbar ungefährdet 4:0 geführt hatte.

In diesem Moment flogen all die bösen Geister, die die deutsche Mannschaft seit dem Ausscheiden im EM-Halbfinale begleitet hatten, durch das Stadion. Wo waren die Führungsspieler? Wieso bricht die Mannschaft nach einer Stunde ein? Wo war der Wille, um ein solches Spiel bis zum Ende erfolgreich zu gestalten?

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Deutschland vs. Schweden: Wut, Enttäuschung, Ratlosigkeit

Foto: Kay Nietfeld/ dpa

"Nach dem 4:0 ist zuerst der eine Spieler einen Schritt weniger gelaufen, dann der nächste", sagte Teammanager Oliver Bierhoff. Er nannte es "ein psychologisches Problem, dass wir unsere Gegner zwar dominieren, aber sie durch eigene Nachlässigkeiten wieder herankommen lassen". Die Mannschaft, die sich vor wenigen Tagen beim 6:1-Sieg über Irland fast in einen Rausch gespielte hatte, muss sich nun, nachdem sie gegen Schweden eine Stunde Weltklasse-Fußball zeigte, den Vorwurf gefallen lassen, dass sie zu genügsam ist, nicht alles für den Erfolg tut. Gibt es etwas Schlimmeres als solche Kritik am Charakter eines Teams?

Diesmal war es nicht wie bei der 1:2-Niederlage im EM-Halbfinale gegen Italien. Diesmal gab es keine defensiv-taktische Meisterleistung des Gegners, die als Erklärung dienen könnte. Gegen Schweden war es schlimmer, weil die Skandinavier eine Stunde harmlos waren und nie zurück ins Spiel gefunden hätten, wenn Deutschland das nicht durch eigene Fehler zugelassen hätte. "Das war heute nur peinlich", sagte Toni Kroos.

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DFB-Einzelkritik: Klose klasse, Neuer orientierungslos

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Bezeichnend waren die Szenen beim Stand von 4:2, als Bastian Schweinsteiger wie wild in Richtung Kroos und Mesut Özil gestikulierte. Der Münchner versuchte die beiden Edeltechniker mehrfach wieder näher in Richtung des eigenen Tors zu beordern, um die Defensive zu stärken. Sie folgten der Aufforderung nicht.

DFB-Team hat aus seinen Fehlern nicht gelernt

"Wir haben vollständig unsere Ordnung verloren", kritisierte Schweinsteiger nach der Partie. Und Bierhoff sagte: "In solchen Momenten muss man cleverer sein. Wir haben so große technische Möglichkeiten, da muss man den Ball auch einfach mal in den eigenen Reihen halten."

Nun könnte man argumentieren, dass es sich beim DFB-Team größtenteils um eine junge, entwicklungsfähige Mannschaft handelt. Dass diese, wie es Bierhoff ausdrückte, "einfach auch mal schlechte Zeiten überstehen muss, um daraus gestärkt hervorzugehen". Dafür muss dieses Team aber auch den Willen zum Lernen haben. Es muss Strategien für sich entwickeln, wie es von einem Matchplan abrücken kann, wenn es der Spielverlauf erfordert. Und sie muss offenbar noch immer lernen, dass es keinen Moment im Spiel gibt, in dem man sich ausruhen darf.

Das ist das Erschreckende bei der Analyse des 4:4 von Berlin. Man hätte annehmen müssen, dass diese Entwicklung des Teams in den Wochen nach der EM bereits stattgefunden hat. Dass die Aufarbeitung des Italien-Traumas genau diese Probleme thematisiert hat.

"Leider verfallen wir immer noch zu häufig in alte Handlungsmuster", sagte Bierhoff und meinte damit Rückpässe zum Torwart und hohe Bälle aus der eigenen Abwehr, die den Gegner zu Kontern einladen. Bierhoff hätte auch anmerken können, dass in kritischen Phasen nach wie vor ein echter Chef fehlt. Dass Schweinsteiger sich zwar bemüht, als Leader aufzutreten, seine Mitspieler aber zu selten auf ihn hören. Dass Spieler wie Özil oder Kroos brillante Fußballer sind, aber immer dann abtauchen, wenn sie körperlich dagegenhalten müssten.

"Wir werden jetzt den Finger in die Wunde legen und alles ganz genau analysieren", kündigte Bierhoff an. Es waren Worte, die in sehr ähnlicher Form auch schon nach der EM fielen. Eine nachhaltige Verbesserung gab es seitdem nicht.

Deutschland - Schweden 4:4 (3:0)
1:0 Klose (8.)
2:0 Klose (15.)
3:0 Mertesacker (39.)
4:0 Özil (56.)
4:1 Ibrahimovic (62.)
4:2 Lustig (64.)
4:3 Elmander (76.)
4:4 Elm (90.+3)
Deutschland: Neuer - Boateng, Mertesacker, Badstuber, Lahm - Kroos, Schweinsteiger - Müller (ab 67. Götze), Özil, Reus (ab 88. Podolski) - Klose
Schweden: Isaksson - Lustig, Granqvist, Jonas Olsson, Safari - Wernbloom (ab 46. Källström), Elm - Larsson (ab 78. Sana), Ibrahimovic, Holmen (ab 46. Kacaniklic) - Elmander
Schiedsrichter: Proenca (Portugal)
Zuschauer: 72.369
Gelbe Karten: Reus (2), Lahm (3), Schweinsteiger - Isaksson

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