Niersbach-Rücktritt Im letzten Moment

Am Vormittag ging er noch "zuversichtlich" in die Sitzung von Präsidium und Landesverbänden, am Nachmittag war die Zeit für Wolfgang Niersbach als DFB-Präsident schon vorbei. Der 64-Jährige hat dann doch, wenn auch sehr spät und nach quälenden Wochen für den DFB, erkannt, dass er als Führungsfigur des größten Fußballverbandes der Welt nicht mehr haltbar war. (Lesen Sie hier Niersbachs Erklärung im Wortlaut.)
Zu massiv waren die Vorwürfe, zu schwerwiegend die Belege, die der SPIEGEL in den Vorwochen vorgelegt hatte, zuletzt noch durch die Veröffentlichung eines Faksimiles, das allem Anschein nach die Handschrift Niersbachs aus dem Jahr 2004 zeigt. Diese überführt den nun ehemaligen Präsidenten, nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Niersbach musste gehen, das hat er an diesem Montag selbst gemerkt. Oder es wurde ihm von seinen DFB-Kollegen klargemacht.
Der gelernte Journalist hat in der Krise ein denkbar schwaches Bild abgegeben. Er hat erst alles abgestritten, sich dann nach und nach auf Erinnerungslücken berufen, er hat eine desaströse Pressekonferenz gegeben, aus der man mit mehr Fragen als Antworten herausging. Niersbach, der immer als der Profi galt und gelten wollte, war in der Krise ein Amateur.
Im Video: Wolfgang Niersbach erklärt seinen Rücktritt
Einfluss des DFB ist international geschwächt
Der Schaden für den DFB ist ohnehin schon immens. Als moralische, integre Insel im Meer des korrupten Weltfußballs hat der Verband bis auf Weiteres ausgedient. In Frankfurt an der Otto-Fleck-Schneise sind sie auch nur wie alle anderen - das ist die verheerende Botschaft, die den Einfluss des DFB auch bei Fifa und Uefa massiv schwächen wird.
Das kann nachhaltige Folgen haben, die bis zur deutschen Bewerbung um die EM 2024 reichen. Eine Bewerbung, die so etwas wie die Krönung von Niersbachs Schaffen werden sollte. Zu den Lehren der Vorwochen könnte nun gehören, dass man beim DFB auch einmal auf die Ausrichtung einer solchen Großveranstaltung verzichten kann, wenn man merkt, dass es auch unlauterer Mittel bedarf, ein Turnier ins eigene Land zu holen.
Jenes "Das Sommermärchen bleibt das Sommermärchen, das lassen wir uns nicht kaputtmachen" fiel in den vergangenen Wochen schließlich ein wenig zu leichtfertig und zu oft. Korruption ist kein Kavaliersdelikt, auch wenn es vermeintlich einer letztlich guten Sache gedient haben soll. Das muss auch der letzte Begleitjournalist begreifen.
Für den Deutschen Fußball-Bund bedeutet dieser Tag eine Zäsur. Er sollte auch ein endgültiger Abschied sein von der Hinterzimmerpolitik, von der Männerbündelei, von der Kungelei, der klebrigen Nähe mit den allmächtigen Sponsoren und vermeintlichen Größen des Fußballs. Der DFB hat jetzt auch eine Chance: aufklären, transparent sein, über die Gründung von Ethikkommissionen und Compliance-Gremien nachdenken. All den Mief der Vergangenheit hinter sich lassen. Eine große Aufgabe, aber nur so kann der organisierte Sport wieder Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.
Und vielleicht sogar zum Vorbild für den Weltverband werden, auf den man, so sieht es nun aus, in den vergangenen Monaten jede Menge Steine warf. Aus dem Glashaus.
Der DFB-Präsident ist gegangen, jetzt wird man die strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihn, seinen Vorgänger Theo Zwanziger und den früheren Generalsekretär Horst R. Schmidt abwarten müssen. Die drei Funktionäre werden Verantwortung und Folgen zu tragen haben.
Andere werden mutmaßlich glimpflicher davonkommen: Franz Beckenbauer und Günter Netzer mögen in all die Vorgänge um die WM-Vergabe ebenso verstrickt sein wie der unglückliche Niersbach. Am Ende sitzen sie in ihren Chalets und bleiben die Götter des Fußballs.
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Es ist vorbei: Wolfgang Niersbach ist als Präsident des Deutschen Fußball-Verbands zurückgetreten. Der Druck nach den Enthüllungen des SPIEGEL war offenbar zu groß geworden. Er übernehme im Zuge der WM-Affäre die "politische Verantwortung", sagte Niersbach am Montag nach einer Präsidiumssitzung.
Niersbach war seit 2001 geschäftsführender Vizepräsident und Pressechef des deutschen Organisationskomitees für die WM 2006.
Nach Informationen des SPIEGEL war Niersbach allem Anschein nach spätestens seit 2004 in die dubiosen Vorgänge um die deutsche Bewerbung um die WM 2006 eingeweiht. 2012 wurde der heute 64-Jährige als Nachfolger von Theo Zwanziger zum DFB-Präsidenten gewählt.
Niersbach ist ausgebildeter Journalist. Er begann seine Karriere beim Sport-Informations-Dienst (sid), arbeitete mehr als 15 Jahre in den Fachgebieten Fußball und Eishockey und berichtete von zahlreichen Welt- und Europameisterschaften sowie Olympischen Spielen. Gleichzeitig kümmerte er sich um die Stadionzeitungen seines Heimatklubs Fortuna Düsseldorf und des Eishockeyvereins Düsseldorfer EG.
Noch heute besucht er Partien der Fortuna, wie hier in Frankfurt gegen den FSV.
Nach seiner sid-Zeit arbeitete Niersbach für den DFB. Er war Pressechef der Europameisterschaft 1988. Anschließend ging seine Karriere beim Fußballbund nach oben: Zunächst wurde er Pressereferent und Mediendirektor, kurz: Pressechef.
So feierte er 1990 in Rom den Weltmeistertitel der deutschen Mannschaft mit Teamchef Franz Beckenbauer. Zwischen beiden entwickelte sich eine enge Freundschaft, die Niersbach helfen sollte, beim DFB aufzusteigen.
Später übernahm Niersbach die Organisation der Fußballweltmeisterschaft 2006 im eigenen Land. Er war Vizechef des Organisationskomitees.
2007 wurde Niersbach DFB-Generalsekretär. Damit war er der höchste hauptamtliche Mitarbeiter des Verbands.
Niersbach ist ein Netzwerker. Mit Uefa-Boss Michel Platini ist er eng verbunden.
Auf der Tribüne konnte sich Niersbach über Siege der Nationalmannschaft freuen, so wie bei der WM 2010 gemeinsam mit seinem Vorgänger Theo Zwanziger und der Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Als DFB-Präsident hatte Niersbach unter anderem die Aufgabe, den Vertrag mit Weltmeistertrainer Joachim Löw bis 2018 zu verlängern. Das gelang - ein Erfolg für Niersbach.
Auch die Durchsetzung der geplanten DFB-Akademie in Frankfurt klappte. Der 64-Jährige brachte das neue Zentrum des Fußballverbands trotz Protesten von Anwohnern und eines Bürgerentscheids durch.
Erinnerungen an die WM 1990: Vor 25 Jahren feierte die deutsche Nationalmannschaft den Titel in Italien. Niersbach und der damalige Kapitän Lothar Matthäus kramten noch mal ihre alten Anzüge und Pullover raus.
Nun ist das Kapitel Niersbach beim DFB beendet. Die Aufklärung der Affäre geht hingegen weiter.
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