Real Madrids Trainer Zinédine Zidane
Er coacht nicht mehr, als er muss
Gegen Liverpool zeigte Real Madrids Zinédine Zidane, warum in der Champions League kein Trainer mehr Siege geschafft hat als er: Der Franzose verkompliziert die Dinge nicht. Liverpools Jürgen Klopp droht das Aus.
Real-Angreifer Vinícius Júnior, Trainer Zidane: »Ja, ja, da war was«
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Gonzalo Arroyo Moreno / Getty Images
Und jetzt also der Clásico. Ob er ab sofort daran denke, wurde Zinédine Zidane gefragt. »Heute sollten wir diesen Sieg genießen und morgen sehen wir dann«, sagte der Trainer von Real Madrid, um sich gleich zu korrigieren: »Ach, morgen auch noch nicht.«
So ist das beim Rekordeuropapokalsieger und besonders beim Trainer Zidane, wenn sie einmal auf der Welle sind. Dann kann sie gar nichts aus der Ruhe bringen. Dann scheint es ganz egal, ob zwischen zwei Viertelfinals gegen Liverpool auch noch das für die Liga sehr entscheidende Duell gegen Erzrivale Barcelona ansteht (Samstag, 21 Uhr). Dann spielen plötzlich alle jederzeit königlich, und die Siege bekommen den Hauch einer Prozession. Wie am Dienstagabend beim 3:1 im Hinspiel gegen die Elf von Jürgen Klopp.
Dann kann plötzlich sogar passieren, was die ganzen vergangenen Jahre nicht so recht passieren wollte: Dass nicht nur die Alten glänzen, sondern auch mal ein Junger. Der schleppende Umbruch, Zidanes vermeintliche Defizite bei der Spielerentwicklung, die frustrierten Abgänge von Spielern wie Martin Ødegaard oder Luka Jovic hatten monatelang üppige Krisendebatten befeuerte.
»›Vini‹ hat das verdient«
Doch als es jetzt darauf ankam, war der umjubelte Matchwinner mal nicht der 33-jährige Karim Benzema oder der verletzt fehlende 35 Jahre alte Kapitän Sergio Ramos. Es war Doppeltorschütze Vinícius Júnior, eines dieser Talente, mit denen Zidane angeblich nichts anfangen kann. Die ewige Romanze der Madrilenen mit der Champions League hat offenbar auch ihre Beziehung gerettet.
Vinícius, 20, dribbelte und sprintete schon immer spektakulär, verstolperte aber auch regelmäßige beste Torchancen. Bei mehr Effizienz hat er das Potenzial zu einem prägenden Spieler des nächsten Jahrzehntes, das galt immer als unbestritten. Nur nicht, ob diese Effizienz jemals kommen würde.
Jetzt, wo sie da war, versetzte sie den Verein in den Rausch. »›Vini‹ hat das verdient«, sagten unisono Zidane und Klubdirektor Emilio Butragueño. Die Sturmlegende hob sich besonders salbungsvolle Worte aber auch für den besten Veteranen auf, einen selbst für seine Verhältnisse mit überragender Präzision agierenden Toni Kroos: »Es ist ein Privileg, ihn in unserer Mannschaft zu haben.«
Bissige Kritiken
Ja, und dann kam das Fernsehen noch mit einer dieser Statistiken, die solche Abende gern abrunden. Der Trainer Zidane hat jetzt exakt 50 Champions-League-Spiele gecoacht, und davon 31 gewonnen. Mehr als jeder andere im heutigen Format des Wettbewerbs.
Das ist natürlich nicht schlecht für einen, der – wenn er nicht gerade mal wieder das Turnier gewinnt, wie in drei seiner vier Anläufen – gern als ein bisschen einfältig dargestellt wird. So bissig waren die Kritiken diese Saison schon wieder, dass manche fürchten, er könnte im Sommer erneut freiwillig abtreten wie 2018. Und dass es dann so läuft wie damals: Die meisten würdigen ihn erst, wenn sie ihn vermissen.
Zidane ist ein Trainer, der nicht mehr coacht, als er muss. Aber das macht ihn nicht zu einem schlechteren Coach. Er verkompliziert die Dinge bloß nicht, wenn er den einfachen Weg sieht. Und schon gar nicht macht er danach irgendein Gewese darum.
Schwächen des Gegners passen zu Reals Stärken
»Ja, ja, da war was«, brummelte er nun also über den allseits als entscheidenden Kniff analysierten Ansatz, hohe Bälle über die Liverpooler Abwehr zu spielen. Im nächsten Moment schien er schon wieder zu überlegen, wie er das jetzt möglichst bescheiden ausdrücken konnte: »Weil ihre Außenverteidiger sehr offensiv sind.« Weitere Zutaten des Matchplans – konstante Spielverlagerungen, Antritte von Vinícius – erwähnte er erst gar nicht; es reichte ja, dass der Plan richtig umgesetzt worden war.
Real hätte einen noch größeren Vorsprung herausschießen können, weil es nicht nur technisch stärker war – wie zu erwarten –, sondern sogar physisch und eben auch taktisch. Und weil sich die Schwächen des Gegners ideal mit den eigenen Stärken zusammenfügten. Werden solche Lücken geboten wie von Liverpool – akzentuiert durch das katastrophale Abwehrverhalten des Rechtsverteidigers Trent Alexander-Arnold und die unerfahrene Notinnenverteidigung –, dann findet sie Toni Kroos so entspannt, dass er Vínícius vor seinem Pass zum 1:0 persönlich den Laufweg anzeigte.
Schwerer tun sich die Madrilenen mit den massiven Abwehrreihen, auf die sie meist in der spanischen Liga treffen. Doch eine solche Rückzugstaktik kommt für Klopp nicht infrage. »Wer ins Halbfinale will, muss sich das verdienen«, sagte Liverpools Trainer. »Das haben wir heute nicht gemacht. Die gute Nachricht ist das Ergebnis, es gibt uns ein bisschen Leben.«
Klopp hat Erfahrung damit, spanischen Teams eine Woche später das passende Gegengift zu verabreichen. Das 4:0 zu Hause nach 0:3 in Barcelona vor zwei Jahren ist unvergessen. Freilich schuldete es sich »zu 80 Prozent den Fans«, wie er einräumte. Die klinische Atmosphäre des Corona-Fußballs ist gegen technisch bessere Teams da eher keine Hilfe. Aber nach dem in jeder Hinsicht deprimierenden Ausflug auf den Vorstadt-Campus, den Real derzeit wegen der Bauarbeiten in seinem Bernabéu-Stadion bespielt, gebe es an der Anfield Road schon mal einen Vorteil, so Klopp: »Wenigstens ist es ein Stadion.«