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»Geduld bis zur Jahrhundertwende«

SPIEGEL-Interview mit dem Boot-Designer Ben Lexcen über deutsche Chancen beim America's Cup Der Australier Ben Lexcen, 50, gilt unter seinen Kollegen als Mann genialer Entwürfe. Die von ihm mit einem Flügelkiel konzipierte Jacht »Australia II« entführte 1983 mit ihrem Sieg vor Newport gegen die von Dennis Conner gesteuerte »Liberty« erstmals nach 132 Jahren den America's Cup aus den USA. *
aus DER SPIEGEL 6/1987

SPIEGEL: Herr Lexcen, »die Deutschen kommen zum nächsten America's Cup«, diese Nachricht hat selbst den amerikanischen Star-Skipper Dennis Conner erschreckt. Ist seine Reaktion nicht übertrieben?

LEXCEN: Überhaupt nicht. Ich würde mir schon Sorgen machen. Der America's Cup ist für die Deutschen wie maßgeschneidert. Sie haben das, was man Ordnungssinn nennt. Sie verfügen über Organisationstalent und seglerisches Können. Das haben sie im Admirals Cup bewiesen. Das Ding gewinnen die doch dauernd.

SPIEGEL: Der America's Cup mit seinen 12-Meter-Schiffen ist zweifellos eine Nummer größer.

LEXCEN: Sicher. Das ist die Schwergewichts-Weltmeisterschaft der Segler. Nur die Deutschen haben alles, was für die 12er wichtig ist. Im America's Cup haben wir es mit Technologie zu tun. Und davon verstehen die Deutschen sehr viel. Der America's Cup hat mit Disziplin zu tun. Davon verstehen die Deutschen noch mehr. Vielleicht ist die jüngere Generation etwas weniger diszipliniert, aber sicher immer noch mehr als die Franzosen oder Italiener.

SPIEGEL: Diese beiden Nationen haben hier in Australien immerhin zusammen vier Boote an den Start gebracht. Auf jeden Fall verfügen sie über mehr Erfahrung als die Deutschen.

LEXCEN: Und wenn sie es tausend Jahre versuchen, weder die Franzosen noch die Italiener werden es jemals schaffen, den America's Cup zu gewinnen. Die sind einfach zu individualistisch. An Bord arbeiten elf Leute. Die müssen wie eine Einheit fein aufeinander abgestimmt sein. Versuchen Sie nur mal elf Italiener dazu zu bringen, gemeinsam in eine Richtung zu laufen. Nein, der 12er ist etwas für Deutsche und Japaner, die haben ein Gefühl für Technologie.

SPIEGEL: Wieviel Vorbereitungszeit müssen die Deutschen einkalkulieren bevor sie den Pokal gewinnen können?

LEXCEN: Realistisch gesehen? Sie brauchen Geduld bis zur Jahrhundertwende. Das können sie natürlich nicht den Sponsoren sagen; dann geben die kein Geld. Aber so ist es halt. Wir haben es x-mal versucht, mehr als 20 Jahre, bis wir erfolgreich waren. Eine Niederlage darf die Deutschen nicht umhauen. Sie müssen einfach stur weitermachen.

SPIEGEL: Beim nächsten America's Cup ist vermutlich Werbung an Schiffen und Crew zugelassen. Entwickelt er sich zu einem Formel-1-Rennen auf hoher See?

LEXCEN: Für manche bedeutet Werbung am Schiff eine visuelle Verschmutzung. Nicht für mich. Immer wieder hat man gesagt, Segeln sei ein Sport für die Reichen. Tatsache ist: Reiche Leute kaufen die Jachten, damit arme Leute sie segeln können. Die Werbung wird es den Jungs, die kein Geld haben, erlauben trotzdem ein Boot zu steuern.

SPIEGEL: Dieses Duell vor Fremantle kostet die Teilnehmer rund 300 Millionen Dollar. Erscheint Ihnen diese Summe nicht absurd für eine Regatta?

LEXCEN: Natürlich argumentieren einige Leute: unglaubliche Verschwendung. Ich kann darüber nicht einmal streiten. Entwicklungen kosten Geld. Für ein einziges Segel etwa haben wir eine halbe Million Dollar ausgegeben. Sie können sagen: Steckt das Geld in Segel-Jugendprogramme. Und Sie haben sicher nicht unrecht. Andererseits: Die technologische Entwicklung, die in den America's-Cup-Jachten steckt, wird irgendwann auch den anderen Bootsklassen zugute kommen. So sickert alles langsam durch. Nicht alles natürlich, nicht die Computer-Programme.

SPIEGEL: Was ist eigentlich heute entscheidender für den Sieg - Technologie oder seglerisches Können?

LEXCEN: Wahrscheinlich die Technologie. Die Computer-Programme bestimmen die Navigation, bis ins kleinste Detail. Man segelt zwar Stunden, aber über den Sieg entscheiden Sekunden. Eine Fehlentscheidung des Skippers, ein falsches Programm und das Rennen ist gelaufen. Dies ist Schach. Packen Sie einen Zug falsch an, ist die gesamte Partie verloren, vor allem wenn man gegen einen Großmeister wie Conner spielt. Er hat Erfahrung: Er ist der beste Starter der Welt. Und wenn er mal hinten liegt, dann bleibt er eiskalt. In dieser Situation war er Hunderte Male. Ian Murray, der gegen ihn segelt, ist gut. Möglicherweise aber hat er Premierenfieber, oder er ist eingeschüchtert durch den Ruhm, der Conner umgibt.

SPIEGEL: Und auf wen würden Sie wetten?

LEXCEN: Fragen Sie lieber nach dem Wetter. Conners »Stars & Stripes« ist ein Schlechtwetter-Boot, wenn die Winde leichter sind, hat die »Kookaburra III« eine Chance. Einige Tage Flaute und Conner ist verloren, einige Tage schweres Wetter und der America's Cup steht wieder drüben in den USA.

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