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EISKUNSTLAUF Geld für die Republik

Das Glamour-Girl des DDR-Sports schafft nicht nur Medaillen an. Eiskunstlauf-Olympiasiegerin Katarina Witt beherrscht auch die Spielregeln des Regimes. Großzügige Privilegien sind der Dank. *
aus DER SPIEGEL 5/1986

Das renommierte Kosmetik-Unternehmen Lancome bot eine Million Mark, die US-Eisrevue »Holiday on Ice« lockte mit vier Millionen Dollar. Eiskunstlauf-Olympiasiegerin Katarina Witt aus der DDR lehnte ab und hat sich darüber »nicht einmal Gedanken gemacht«.

»So etwas ist bei uns nicht möglich«, begründete Katarina Witt, 20. Die rote Prinzessin weiß, daß es »nicht zur sozialistischen Gesellschaftsordnung paßt Stars und deren Ruhm zu züchten«.

Für Make-up und Düfte aus dem kapitalistischen Westen zu werben, ist nach den Moralvorstellungen von SED-Ideologen zu starker Tobak. Ein Leben als Schau-Star im Westen könnte sie dem sozialistischen Vaterland entfremden. Zudem sieht die Mustersportlerin »keinen sportlichen Wert« bei einer Eisrevue.

Der Eisstar der Arbeiter-und-Bauern-Republik, Favoritin der Eiskunstlauf-Europameisterschaften diese Woche in Kopenhagen, hebt sich schon durch die vornehmlich in Pink und Blau gehaltenen Kleidung ab vom Alltagsbild der Frauen im real existierenden Sozialismus. Das gewinnende Lächeln der blauäugigen Schönheit sei »bezaubernder als jedes Schloß an der Elbe«, schwärmte das US-Magazin »Sports Illustrated«.

Siege für den Sozialismus und Achtung vor den ideologischen Grenzlinien bescheren erfolgreichen DDR-Sportlern Segnungen, die sonst nur Spitzen-Genossen und Führungskader aus Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft zuteil werden. Medaillen-Prämien bis zu 30000 Mark, Prestige-Karossen und Wohnungen sollen westerfahrene Stars auch gegen Anfechtungen aus dem Lager des Klassenfeinds immunisieren.

Katarina Witt scheint bislang auf keine Versuchung ideologischer Art gestoßen zu sein. Sie fühlt sich als »Diplomat im Trainingsanzug«, der dem Sponsor Staat »sein Bestes geben will, um so auch seine Ausstrahlungskraft zu erhöhen«. Mit zwei WM-Titeln, drei Europameisterschaften und olympischem Gold für die Republik liegt die Modell-Athletin voll im Soll.

Neben der Eisbahn in ihrer Heimat Karl-Marx-Stadt war sie aufgewachsen. Im Alter von fünf Jahren und mit der ihr eigenen Beharrlichkeit begann sie 1970 die ersten Kringel zu drehen. Der SC Karl-Marx-Stadt hatte Nachwuchs im Kindergarten-Alter gesucht. Aber ihre Eltern versäumten den Anmeldetermin;

Katarina setzte bei Eltern und Trainer die verspätete Aufnahme durch.

Schon 1975 nahm Staatstrainerin Jutta Müller sie in ihre Trainingsgruppe auf, mit elf Jahren stand sie ihren ersten Dreifach-Sprung und kassierte die erste 20-Mark-Belohnung von der Trainerin.

Jutta Müller, 57, hatte zuvor schon ihrer Tochter Gaby Seyfert zur Weltmeisterschaft verholfen und insgesamt 48 Medaillen, darunter 23 goldene, bei Europa- und Weltmeisterschaften sowie Olympischen Spielen angeschafft - Weltrekord. Ihre Eltern waren Arbeitersportler gewesen. Der SED trat Jutta Müller 1946 sofort nach der Zwangsvereinigung von SPD und KPD bei.

Den Lohn der Erfolge versteckt Jutta Müller nicht. Nerz trägt sie lässig zur Schau, an ihren Fingern glitzert Hochkarätiges. Schick und Disziplin gibt die Meistermacherin an ihre Musterschülerin weiter. Sie ordnet ihr das Haar, kümmert sich um Make-up, Musik und Kostüm.

Wenigstens vier Stunden täglich übt Katarina Witt auf dem Eis. Ballettmeister Rudolf Suchy aus der CSSR ist für die Choreographie zuständig, Trainerin Müller für die läuferische Perfektion. Und für die Überwachung des Idealgewichts von 51 Kilo bei 1,65 Metern Körpergröße. Die geforderte Askese, so Katarina Witt, falle ihr nicht immer leicht. Für ihr Leben gern nasche sie Pralinen und Eis.

Doch das Fasten und die Schwerarbeit auf dem Eis haben sich gelohnt. Katarina Witt fährt einen »Lada« (Preis: 25000 Mark), auf den gewöhnliche DDR-Bürger zwölf Jahre warten müssen, und bewohnt eine »Mehrraum-Wohnung«, die sonst nur Familien zusteht. »Held der Arbeit« ist sie seit 1984 auch. Ihr Abitur darf sie 1986 nachmachen. Was sie dann studieren wird, weiß sie noch nicht.

Bis jetzt ist sie ein Idol zum Anfassen geblieben, kennt keine Berührungsängste beim Einkaufsbummel. Als allerdings bei einem Disco-Besuch ein Tanzpartner darauf bestand, sie »von irgendwo zu kennen«, hat sie ihm »das mit Erfolg ausgeredet«, erzählt Katarina Witt.

Die Trainerin schätzt Disco-Besuche zwar weniger, doch Katarina Witt bewies in dem Streitfall durchaus eigenen Willen. So muckte sie unlängst in öffentlicher Rede vor FDJ-Freunden auf: Ihr Platz sei nicht nur »auf dem Eis zur Freude der Menschen«, sondern »in der Disco genauso wie im Theater«, eben »überall dort, wo ich an unserem sozialistischen Leben teilnehmen kann«. Doch ihr sozialistisches Bewußtsein hielt Schritt mit dem Erfolg. Sie ist aktiv in der kommunistischen Jugendorganisation FDJ und schon Kandidat der SED, weil sie als Genossin »noch besser dazu beitragen kann, den Staat zu stärken«.

Systemkonform spürt sie in »feierlichen Augenblicken« auch die »ganze Fürsorge unserer Partei- und Staatsführung für das Wohl der Bürger«, beschwört die »tiefe Freundschaft mit dem Sowjetvolk« und denkt an die Pflicht der Sportler, »das Ansehen der Deutschen Demokratischen Republik in der Welt zu erhöhen«.

Unter ihren Landsleuten weckt sie zugleich Neid und Phantasie. Sie trat schon als Flamenco-Tänzerin Carmen auf oder als ungarische Bauernbraut. Zur Europameisterschaft 1983 in der Dortmunder Westfalenhalle glitt Katarina Witt zu verpopter Mozart-Musik stilgerecht in Kniebundhosen aufs Eis.

Unter den Zuschauern löste sie Beifallsstürme aus. Aber die orthodoxen Punktrichterinnen legten ihrer Trainerin nahe, bei Strafe von Punktabzügen beim üblichen Röckchen zu bleiben. Zur nächsten Auslosung trug Jutta Müller als Protest selber Kniebundhosen.

Bei der EM in Kopenhagen will Katarina Witt zum Kurzprogramm in ein knappes arabisches Kostüm - »bunt und wenig Stoff« - schlüpfen wie eine Prinzessin aus Tausendundeiner Nacht. Ihre Vier-Minuten-Kür gestaltet erstmals durchgehend ein Thema: Im schwarzroten Trikot aus der Werkstatt des Friedrichstadtpalastes bringt sie die Rolle der Maria aus dem Musical »West Side Story« aufs Eis.

Unter den 35000 Briefen seit ihrem weltweit ausgestrahlten Olympiasieg 1984 fand sie auch viele »mit Heiratsanträgen von US-Boys«. Doch auf einen festen Freund ist sie noch »nicht scharf«. Lieber flirtet sie, und sei es mit dem Publikum. Dann sucht sie sich manchmal »unter den Zuschauern einen Typ mit männlichem Gesicht, damit ich während der Kür so etwas wie einen Anhaltspunkt habe«.

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