REKORDFAHRTEN Go Go
Fauchend und brüllend stob ein merkwürdig anmutendes Gefährt, aussehend wie ein Flugzeug ohne Flügel, über die weißleuchtende Salzsee -Rekordpiste bei Bonneville im US-Staat Utah. Das Vehikel beförderte den Kalifornier Craig Breedlove, 28, einen ehemaligen Feuerwehrmann, ans Ziel seiner kühnsten Träume: In seinem düsengetriebenen »Spirit of America« wurde Breedlove mit 893 Stundenkilometer schnellster Mensch zu Lande.
Fast ebenso schnell handelten die Reifenfirma Goodyear und der Mineralölkonzern Shell, die Breedlove das 800 000 Mark teure Rekordfahrzeug finanzierten und ihn mit jährlich 400 000 Mark honorieren. In Windeseile pflasterten sie Amerikas Presse mit ganzseitigen Anzeigen. Unter dem Motto »Go Go Goodyear« verkündete etwa Goodyear den »neuen Geschwindigkeits-Weltrekord auf Goodyear-Reifen«,
Nicht schnell genug. Anfang letzter Woche, nur wenige Tage nach Breedloves Rekordfahrt, preschte der Mechaniker Art Arfons, 39, aus Akron (US -Staat Ohio) noch schneller über die ausgetrocknete Salzrennbahn. Obwohl bei der Fahrt ein Reifen platzte, erzielte sein gleichfalls durch eine Flugzeugturbine angetriebenes Vehikel 927 Stundenkilometer.
Die Folge: In den gleichen Zeitungsausgaben, in denen Goodyear triumphierend seine »Go Go«-Anzeigen placiert hatte, konnten die Leser dem redaktionellen Teil entnehmen, daß Arfons mit seinem »Grünen Ungeheuer« (Sponsors: Reifenfirma Firestone und Ölkonzern Socony) den »Spirit of America« übertroffen hatte.
»So schlimm war es hier draußen noch nie«, verwunderte sich ein langjähriges Mitglied der Zeitnahmekommission, »die Rekorde sind noch warm - und schon werden sie übertroffen.« In der Tat gab es auf der seit Jahrzehnten berühmtesten Rekordpiste der Welt nie soviel Gestank und Getöse wie diesmal, so zügig war der Andrang Rekordwütiger aller Motorklassen.
Selbst Deutsche zog es in dieser Saison nach langjähriger Abwesenheit wieder auf die gelobte Kruste von Bonneville, die nur im Oktober und im November genügend ausgetrocknet und für Rekordfahrten geeignet ist.
Mit einem ultraleichten Kleinwagen, in den er NSU-Motorrad-Motoren von 350 und 500 Kubikzentimeter einbaute, wetteiferte der ehemalige Motorrad -Champion Wilhelm Herz, 53, erfolgreich mit zahlreichen Konkurrenten dieser Klassen und fuhr mehrere Rekorde. Die Kornwestheimer Kreidler-Werke brachten ein verkleidetes, hochgetrimmtes Super-Moped an den Start, auf dem Kreidler-Fahrer Rudolf Kunz 210 Stundenkilometer erreichte.
Die amerikanischen Brüder Bill und Bob Summers montierten auf dem Salzsee ein zehn Meter langes Gefährt, das einem gigantischen Kugelschreiber ähnelt: Ihr »Goldenrod« rollt auf gasgefüllten Reifen mit dem ungewöhnlich hohen Druck von 20 atü und wird allrädrig von vier hochgezüchteten und gekoppelten Chrysler-Kolbenmotoren angetrieben. Ihre Leistung von 2400 PS erreicht bei weitem nicht die 17 000 PS, die das Turbinentriebwerk des Weltrekordlers Arfons produzieren kann. Doch die Brüder schwören auf die aerodynamisch günstige Form ihres Fahrzeugs, das sie sich von einem Flugzeugingenieur entwickeln ließen.
Die meisten Rekordanwärter verlassen sich allerdings nur noch auf die pure Schubkraft von Düsentriebwerken. Zum erstenmal schob sogar eine Frau den Gashebel eines Düsen -Rekordwagens nach vorn, brauste über die Meßstrecke und würde mit 492 Stundenkilometer Schnellste auf Rädern. Es war Lee Breedlove, 28, Ehefrau des Weltrekordlers Craig Breedlove. Bis dahin war sie mit nichts Schnellerem als ihrem Ford Mustang (Höchstgeschwindigkeit: 186 Stundenkilometer) gefahren.
Erstmals mischte sich in diesem Jahre ein neuer Ton unter das gewohnte Trompetengeschmetter hochtouriger Kolbenmotoren und das Winseln der Turbinen. Zischend und feuerspeiend raste ein Raketen-Fahrzeug, der »Wingfoot-Express«, zur Probe über die Meßstrecke. Seine 25 eingebauten Feststoffraketen brennen pro Rekordversuch 21 Sekunden lang. Einen Rekord hat der Fahrer, der Amerikaner Robert Tatroe, schon erreicht: Er hat den weitaus kostspieligsten Treibstoffkonsum - jeder seiner Rekordversuche verschlingt nahezu 100 000 Mark.
Tatroe will mit seinem Rekord-Fresser die Düsen-Konkurrenten übertreffen und die Schallgrenze zu Lande - auf der Höhenlage Bonnevilles etwa 1150 Stundenkilometer - als erster durchbrechen.
Diese Geschwindigkeit trauen sich die langjährigen Rekord-Rivalen Breedlove und Arfons mit ihren Düsen-Fahrzeugen allerdings schon lange zu. Beide haben ihre Triebwerke während der Rekordfahrten nie auf vollen Touren laufen lassen, beide wollen noch in diesem Monat Vollgas geben und versuchen, zu Lande den Überschall-Knall zu erzeugen.
Beide fürchten dabei die gleiche Schwierigkeit: »Unser größtes Problem ist es, wieder rechtzeitig abzustoppen«, erläuterte Breedlove. Kleine Pulverladungen feuern zum Bremsen nacheinander zwei Bremsfallschirme aus den Hecks der Wagen, danach strapazieren die Fahrer überdimensionierte Scheibenbremsen an allen Rädern bis zur Weißglut.
Trotz dieser Vorkehrungen ist die mit 18 Kilometer längste und bestbeschaffene Rekordpiste der Welt für die immer mehr ansteigenden Geschwindigkeiten offenbar zu kurz. Als Breedlove vorletzte Woche nach einem Rekordversuch seinen »Spirit of America« aus 800 Stundenkilometer heraus abbremste, zerplatzten nacheinander beide Bremsfallschirme, und der Wagen kam nach wilden Schlenkern erst kurz vor dem Ende der Piste zum Stehen.
Rekordfahrer-Ehepaar Breedlove
Schnellste Frau, zweitschnellster Mann
Breedlove-Rekordfahrzeug: Bei Tempo 800 platzten die Bremsfallschirme
Arfons-Rekordfahrzeug: Bei Tempo 900 platzte ein Reifen