Ende der isländischen Handball-Überraschung »Danke für nichts, Dänemark«

Enttäuschte Isländer bei der EM
Foto:ATTILA KISBENEDEK / AFP
Der isländische Handball-Keeper Björgvin Páll Gústavsson nimmt kein Blatt vor den Mund. Das Vorrunden-Aus des EM-Gastgebers aus Ungarn nannte er bei Twitter eine »skammar«, eine Schande. Noch nie hätte sich eine Mannschaft eines Ausrichters so wenig bemüht wie die ungarische.
Zuletzt war der Nationaltorhüter vor allem von den Coronaregelungen der EM genervt. Gústavsson, 36, hatte sich bei der EM mit Corona angesteckt, er war für einige Tage in Isolation, dann wurde er negativ getestet und durfte die EM-Teilnahme fortsetzen, eigentlich. Dann aber folgte ein erneut positiver Test, bei dem er den zulässigen CT-Wert knapp unterschritten hatte. Er musste wieder zurück in Isolation.
»Ich habe alle drei Impfungen, bin vom ersten Tag an asymptomatisch und war bereits in Isolation. Jetzt geht das Theater weiter, es wird bizarr«, schrieb der Keeper.
Nun, am Mittwochabend, drückte Gústavsson sich fast diplomatisch aus. »Ich hätte nicht gedacht, dass die Isolation noch schlimmer werden kann.« Dahinter ein Smiley, der sich übergibt.
Die isländischen Handballer waren die Überraschung dieser EM. Einige Topspieler, darunter der Torhüter, hatten sich mit Corona angesteckt – doch die Isländer waren kaum aufzuhalten. In der Hauptrunde feierten sie einen Kantersieg gegen Frankreich, zuletzt gelang ein Erfolg gegen Montenegro, und plötzlich stand die Tür zum Einzug ins Halbfinale weit geöffnet.
Island ist kein No Name im Handball, Deutschlands Bundestrainer Alfred Gíslason ist hier geboren, 2008 gewann das Land die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in Peking. »Es ist ein unglaublich beliebter Sport in Island. Die Leute nehmen Handball sehr ernst«, beschrieb Trainer Gudmundur Gudmundsson die Rolle des Handballs. Doch die großen Erfolge liegen einige Jahre zurück.
Für den großen Wurf, für den ersten Halbfinaleinzug seit zwölf Jahren, fehlte nur noch eine Kleinigkeit: Die bis dahin ungeschlagenen Dänen, die aktuellen Weltmeister, hätten ihr letztes Hauptrundenspiel am Mittwochabend gegen Frankreich gewinnen müssen.
Die Franzosen gehören zwar ebenfalls zu den großen Nationen im Handball, doch bei diesem Turnier hatten sie oft Probleme, einige Coronafälle (unter anderem der Nationaltrainer ist betroffen) und verloren gegen Island mit acht Toren.
Es sah so aus, als sollte die Handballmaschine Dänemark diese Hürde nehmen – auch für Island.
Doch um 19.02 Uhr sollten viele isländische Fans ein schlechtes Gefühl bekommen. Die Kaderliste der dänischen Mannschaft war bekannt geworden, und Nationaltrainer Nikolaj Jacobsen hatte beschlossen, einige Topspieler bereits für das Halbfinale zu schonen: Es fehlten die Topstars Mikkel Hansen, Mathias Gidsel, Magnus Saugstrup sowie Ersatzkeeper Jannick Green. Allein Hansen und Gidsel hatten zusammen 70 Treffer der bis dahin insgesamt 185 erzielten dänischen Tore verantwortet.
Es entwickelte sich ein spannendes Spiel, bei dem Dänemark die meiste Zeit in Führung lag – bis am Ende die Kraft ausging. Frankreich gewann mit einem Treffer und steht nun statt Island im Halbfinale.

Europas Tormarschine Ómar Ingi Magnússon
Foto: BERNADETT SZABO / REUTERSDie isländische Handball-Überraschung endete abrupt, Torwart Gústavsson verfolgte das Drama aus der Isolation. »Danke für nichts, Dänemark«, heißt es am Donnerstagmorgen in einer isländischen Zeitung .
In den sozialen Netzwerken fand man jede Form von Reaktion. Einige User nannten das dänische Vorgehen »beschämend«, andere nahmen es mit Humor: »Aus Island bekommt ihr beim nächsten Eurovision Songcontest keinen Punkt mehr.« Es gab auch Verständnis dafür, dass der dänische Trainer Jacobsen seinen wichtigsten Spielern eine Pause vor dem Halbfinale schenkte.
Ganz ohne Folgen blieb die Pleite nicht für Dänemark. Im Halbfinale am Freitag wartet nun Europameister Spanien (20.30 Uhr). Frankreich, das plötzlich Gruppensieger war, bekommt es mit Schweden zu tun (18 Uhr), was allerdings nicht unbedingt die leichtere Aufgabe ist. Und, immerhin: Island spielt noch um den fünften Platz, Gegner ist Norwegen (15.30 Uhr).
Die Europameisterschaft hatte mit einem Spruch von Bob Hanning begonnen: »Wer die wenigsten Coronafälle hat, wird Europameister.« Das von Corona geplagte Island hatte lange dagegen erfolgreich angekämpft: Ómar Ingi Magnússon vom SC Magdeburg ist mit 49 Treffern der überraschende Toptorjäger des Turniers. Sigvaldi Guðjónsson wurde zur »Lunge« schlechthin, er stand bereits 400 Minuten auf der Platte und lief dabei 33,4 Kilometer – das sind Topwerte bei dieser Endrunde.
Doch der große Kampf ist nicht belohnt worden.
Nun könnte es vielleicht doch so kommen, wie Hanning prophezeit hat. Die wenigsten Coronafälle der noch vier Teilnehmer im Halbfinale hat Dänemark. Für die dänische Auswahl spricht auch, dass die geschonten Topspieler Hansen, Gidsel und Saugstrup mit frischen Beinen in die letzten Spiele dieser EM gehen werden.