Start der umstrittenen Handball-WM 2021 Wie soll das gutgehen?

Einer der Austragungsorte der Handball-WM 2021: Das New Captial Stadium in Kairo
Foto: SHOKRY HUSSIEN / REUTERSDie Diskussionen um die Handball-WM verliefen zuletzt wie das Zupfen an den Blüten einer Blume. »Sie liebt mich, sie liebt mich nicht...« Übersetzt: »Diese WM wird ein Desaster, das wird schon alles gut gehen...« Auf Kritik eines Beteiligten an der Durchführung folgte die Verteidigung eines anderen, wie in einer Endlosschleife. Während der Corona-Pandemie ist der Grundsatz entstanden, dass wir in 14 Tagen mehr wissen. So ist es auch mit der Handball-WM.
Nun beginnt am Mittwochabend diese umstrittene Weltmeisterschaft, Ende Januar endet sie und dann wird man wissen: War sie ein Desaster? Die Vorzeichen sind bescheiden: Gastgeber Ägypten und Chile eröffnen die Endrunde, die ausgerechnet jetzt erstmals mit 32 statt wie bisher 24 Ländern ausgetragen wird. Noch mehr Menschen, mehr Ansteckungsgefahr.
Darunter befinden sich 16 Nationen aus dem europäischen Verband, dazu die USA und Brasilien, also genug Länder, in denen das Coronavirus besonders gewütet hat und noch immer wütet. Und kurz vor dem Abflug Richtung Ägypten beklagt das US-Team ein extremes Ausbruchsgeschehen, 18 Corona-Infektionen wurden bekannt.
Auch in Ägypten sind die Zahlen der Neuinfektionen und Todesopfer seit Mitte Dezember rasant gestiegen. Handball ist eine Hallensportart und das Ansteckungsrisiko gilt in geschlossenen Räumen als höher. Zuerst hatte der Veranstalter noch Zuschauer eingeplant. Doch Kapitäne europäischer Handballnationen protestierten – und am vergangenen Sonntag verwarfen Ausrichter und Weltverband die Fan-Idee.
Viele Lager, unterschiedliche Interessen
Mit einem Sicherheitskonzept wollen die Organisatoren das ganz große Desaster verhindern: Alle 48 bis 72 Stunden werden Profis und andere am Turnier beteiligte Personen auf Corona getestet. Es gilt eine Maskenpflicht, wer nicht gerade ein Spiel oder Training absolvieren oder zum Essen muss, hat sich in seinem Einzelzimmer zu isolieren. Ausflüge außerhalb der Hotelmauern sind untersagt. »Ich habe bei diesem Konzept ein gutes Gefühl«, sagt der deutsche WM-Fahrer Johannes Golla dem SPIEGEL.
Die Teststrategie hält der Epidemiologe Prof. Dr. Markus Scholz von der Universität Leipzig für ausreichend. Für den SPIEGEL hat er das zwölf Seiten lange Hygienekonzept gelesen und bewertet. Er sieht darin auch Probleme: »Es könnte zu Ansteckungen vor oder während des Fluges bei der Anreise kommen. Dadurch könnte es Einträge in die Bubbles geben trotz negativem Initialtest.«
Der Ausrichter hat in Ägypten vier Hotels reserviert, in denen alle Teams und auch Journalisten und Funktionäre unterkommen werden. Scholz sagt: »Die Bubbles sind relativ groß, sodass einzelne Fälle größere Auswirkungen haben können. Das heißt, wenn es doch Fälle gibt, sind weitere Ansteckungen wahrscheinlich.« Das besonders betroffene US-Team zieht in jene Blase nun ein, und es ist noch nicht klar, ob es in der Mannschaft weitere Fälle geben wird. Zudem warnt Scholz vor falsch negativen Testergebnissen.
Kritik am Hygienekonzept kam zuletzt vor allem von Bundesliga-Vertretern. »Die Blase von Kairo ist ein Witz«, sagte etwa der Aufsichtsratschef des HC Erlangen, Carsten Bissel, der »Süddeutschen Zeitung«. Auch Michael Roth, der vor zwei Monaten als Nationaltrainer Bahrains zu einem Länderspiel in Ägypten war, kritisierte den WM-Gastgeber scharf. »Es herrschte ein heilloses Durcheinander«, sagte er im SPIEGEL-Interview.
Bob Hanning, Vizepräsident beim deutschen Handballbund, verteidigte den Veranstalter zuletzt. »Ich weiß nicht, woher wir die Arroganz nehmen, dass wir das alles besser können als andere Länder«, sagte der 52-Jährige dem RBB. »Ich finde das sehr hart, so etwas ständig zu behaupten.« Die Idee der Zuschauer in den Hallen verteidigte Hanning bis zum Schluss.
Präsident stichelt nach WM-Absagen
Eigentlich konnte man zuletzt einen Ballwechsel zwischen Bundesliga und Nationalmannschaft verfolgen. Das eine Lager sorgt sich, dass die Liga aufgrund steigender Corona-Zahlen während der WM anschließend nicht wie geplant fortgesetzt werden kann. Die andere Partei will sichtbar sein und verfolgt finanzielle Interessen: Der Januar ist der Monat der Handball-Nationalmannschaft, jährlich finden dann WM oder EM statt und ein Millionenpublikum verfolgt die deutschen Spiele.
Und so ist jeder zuletzt seine eigene Interessenvertretung geworden. Auch die Spieler bilden eine, aber auch die ist eher gespalten. Einige Profis haben wegen der Corona-Pandemie entschieden, dass sie nicht in Ägypten antreten wollen. Aus dem deutschen Kader sind das vor allem die Profis vom THW Kiel: Patrick Wiencek, Hendrik Pekeler und Steffen Weinhold. Torhüter Andreas Wolff sieht ihre Absagen »sehr, sehr kritisch«. Auch andere internationale Spieler werden fehlen, allerdings dürfte keiner auf so viele Schlüsselspieler verzichten müssen wie Deutschland.
»Wir sind wahrscheinlich die sensibelste Handball-Nation der Welt«, befand DHB-Präsident Andreas Michelmann daraufhin in der »Sport Bild«. Er könne die Beweggründe zwar verstehen und wolle niemanden »denunzieren«. Aber dass Profis vom obersten Handball-Boss als sensibel abgetan werden, weil sie um ihre eigene Gesundheit fürchten und bei ihren Familien bleiben wollen, ist schon beachtlich. Auf SPIEGEL-Anfrage wollte sich das Kieler Trio dazu nicht mehr äußern. Vom THW hieß es, die Spieler befänden sich nach dem Champions-League-Sieg im Urlaub und das Thema WM sei für sie abgehakt.
Die Symbolkraft der WM
All die verschiedenen Standpunkte zeigen, wie zerrissen die Handball-Familie derzeit ist. Für eine Sportart, die sich stets kameradschaftlich und bodenständig zu verkaufen versucht und damit auch probiert, sich von der Ellbogengesellschaft Profifußball abzugrenzen, waren die vergangenen Wochen keine guten. In Ägypten steht viel auf dem Spiel.
Und mit der Handball-WM ertönt der Startschuss in einem Sportjahr, das ein langes werden soll. Viele im Vorjahr ausgefallene Veranstaltungen sollen in den nächsten Monaten nachgeholt werden, darunter das Megaevent Fußball-Europameisterschaft in elf europäischen Städten und die noch größeren Olympischen Sommerspiele in Tokio mit Sportlerinnen und Sportlern aus aller Welt. Die Handballer spielen in Ägypten nicht nur für sich, auch für alle anderen, die in diesem Jahr noch auf ihre Veranstaltung hoffen. Wenn sich die Handball-WM in 14 Tagen als Desaster herausstellen sollte, dann hat das auch eine gewisse Symbolkraft für alle anderen Großveranstaltungen. Dann könnte das Sportjahr 2021 doch kürzer werden als geplant.