SEEFAHRT / WELTUMSEGLUNG Herrliches Hundeleben
Jahrelang hatte das segelnde Ehepaar jede entbehrliche Mark abgezweigt: Ernst-Jürgen Koch, heute 44, leitete den Spirituosen-Verkauf der Importfirma Charles Hosie (Produkte: White Label Whisky, Gordon"s Gin); Frau Elga, heute 39, arbeitete beim Paramount-Filmverleih. 1957 endlich lief ihre »Kairos« (Preis: 50 000 Mark) vom Stapel. »Um die Welt«, rechnete Koch, »ist es per Jacht am billigsten, wenn man Zeit hat.«
Die nahm sich das Ehepaar. Drei Jahre und drei Monate nachdem die Kochs ihre Wohnung aufgegeben und zur Fahrt rund um die Welt aufgebrochen waren, kehrten sie -- am Mittwoch letzter Woche -- zurück. Flottillen über die Toppen geflaggter Segel- und Motorboote geleiteten die »Kairos« (deutsch: Glücklicher Augenblick) heim in den Wedeler Jachthafen. Zum Empfang brummten Schiffssirenen« platzten rote und blaue Feuerwerksraketen; 2000 Sehleute begrüßten die Kochs mit Hipp, hipp, hurra.
Drei Monate nach Chichesters bestaunter Erdumrundung feierten sie ein Wagnis« das mit ungleich bescheidenerem Aufwand unternommen worden war.
Dem englischen Weltumsegler Francis Chichester hatten allein die Zeitungen »Times« und »Sunday Times« 100 000 Mark zugeschossen. 50 000 Mark steuerte das Internationale Wollsekretariat bei, mit 33 000 Mark beteiligte sich die Bierbrauerei Whitbread. Chichesters »Gipsy Moth IV« segelte als »Testinstitut der britischen Markenartikelindustrie« ("Die Welt"); werbebewußte Firmen statteten Englands letzten Seehelden -- von der 6000 Mark teuren Radioausrüstung bis zur Konserven-Kost -- kostenlos aus. Die Hamburger Eheleute Koch dagegen hatten keine Mäzene. Noch sieben Jahre nach dem Stapellauf der »Kairos« mußten sie sich einschränken, um weitere 15 000 Mark zu ersparen, die sie für die Ausrüstung des 9,60 Meter langen Bootes benötigten. Allein um zwei Passatsegel kaufen zu können, veräußerte die frühere Musik-Studentin Elga Koch ihren Bechstein-Flügel. Weitere 25 000 Mark waren erforderlich als Betriebskapital, das fünf Jahre Unabhängigkeit garantierte. Auf der »Kairos« glühte kein elektrisches Licht. Die gesamte radiotechnische Ausrüstung: ein einziger Empfänger.
Die Hamburger bereiteten sich nach einem privaten Siebenjahrplan freilich ebenso gründlich wie Chichester vor. Vorbeugend ließen sie sich den Blinddarm herausoperieren, trainierten auf Schlechtwetter-Fahrten nach Nor wegen und Schottland, lebten an Land wochenlang von Trockenverpflegung.
Anhand der verfügbaren Tabellen über Wind, Klima und Strömung bestimmten sie ihre Route. Ihren Fahrplan -- den sie auf den Monat genau eingehalten haben -- richteten sie nach den günstigsten Wetterbedingungen. Koch: »Wir wollten eine sportliche Aufgabe aus eigener Kraft lösen.« Deshalb segelten sie durch den Panama-Kanal statt um Kap Hoorn. »Dort hilft die Leistung allein nicht. Man braucht einfach Glück, und das grenzt an Abenteuerei.«
Chichester hatte absichtlich den härtesten Weg, die Route um Kap Hoorn, gewählt. Der Brite jagte nach Rekorden: Er wollte Australien schneller als die alten Getreide-Klipper erreichen -- was ihm mißlang -- und die längste Alleinfahrt auf einer Segeljacht bestehen, was ihm glückte. Tatsächlich segelte Chichester in 226 Tagen 46 000 Kilometer weit. Er unterbrach seine Weltreise nur einmal.
Die Hamburger legten 61 466 Kilometer zurück. Doch sie hatten genügend Zeit zum Anlegen eingeplant: Ein Drittel ihrer Reisezeit verbrachten sie auf See -- zwei Drittel an Land. Dennoch segelten sie lange Strecken -- bis zu 36 Tage -- ohne Unterbrechung. Koch: »Die Einsamkeit ist schlimmer als die vorübergehende Angst vor Stürmen.«
Überschlagende Brecher weichten ihre Kleidung auf und verursachten schwärende Ekzeme am ganzen Körper. Mit Vitaminpillen und Hefe behalfen sie sich, wenn ihnen frisches Obst und Gemüse ausgegangen waren.
Im Pazifik waren allein 1965 acht Jachten, meist an Korallenriffen, verlorengegangen. Die Kochs durchschipperten den Stillen Ozean dagegen ohne Havarie. Unheil drohte ihnen vor allem in der Nacht: Dreimal entgingen sie nur knapp der Gefahr, von einem Dampfer überrannt zu werden, zuletzt noch vor Helgoland.
Die Kochs bestanden ihre Seeabenteuer unter Ausschluß der Öffentlichkeit -- in den letzten Etappen zur gleichen Zeit, da die Weltpresse jede Kursänderung Chichesters verfolgte. Die staatliche britische TV-Gesellschaft BBC ließ sich die Berichterstattung über Britanniens Seehelden allein 2,2 Millionen Mark kosten.
Die Nachklänge des Chichester-Rummels wehten bis nach Deutschland. Nun bangten plötzlich auch die Bundesdeutschen mit erwachendem Stolz um Koch und seine Frau, die erste deutsche Weltumseglerin. Bis Dover schickte der Blankeneser Segel-Club ihnen seinen Ehrenpräsidenten entgegen. Er sollte ein minuziöses Protokoll für den Empfang vereinbaren.
»Jetzt geht es weiter, wie vor der Abreise«, sah Koch dem Alltag nüchtern entgegen. Er will ein Buch über die Reise schreiben. Titel: »Hundeleben in Herrlichkeit«.
Danach will er in seine alte Stellung beim Spirituosenhandel zurückkehren. Das Land aber soll ihn nicht für immer wiederhaben. »Das ist sicher«, sagte Koch letzten Donnerstag, »irgendwann gehen wir wieder auf Langfahrt -- am liebsten in die Südsee.«