LEICHTATHLETIK Honorierte Höhe
Kürzlich bot die Computer-Firma Nixdorf in Paderborn dem Hochsprung-Rekordler Dietmar ("Didi") Mögenburg, 23, einen soliden Halbtagsjob an. Er lehnte ab: »Versteht denn niemand, daß ich nur hochspringen will.«
Hochsprung hat Konjunktur: Der Nervenkitzel der Höhenjagd lockt so viele Zuschauer an, daß Veranstalter sich, wie etwa in Eberstadt, schon an reine Hochsprung-Meetings trauen. Die deutschen Asse Carlo Thränhardt und Mögenburg zogen mit ihren Klubs sogar eigene Sprungfeste erfolgreich auf.
Allerdings finden nur eine Handvoll Top-Flopper gutes Auskommen, Athleten mit Leistungen von mehr als 2,35 Meter, die gleichsam imstande sind, auf eine Telephonzelle zu hüpfen. Sie üben keinen anderen Beruf mehr aus, weder Weltrekordinhaber Zhu Jianhua aus Schanghai (2,39 Meter), noch der Olympia-Zweite Patrick Sjöberg (2,38 Meter) aus Schweden oder der Kölner Thränhardt, bis Ende Februar Hallen-Weltrekordler mit 2,37 Meter. Die Ostblock-Springer waren immer schon Profis.
Vor allem Mögenburg ist auf bestem Wege, sein Ziel zu erreichen, in den Jahren seiner Athleten-Karriere finanzielle Unabhängigkeit zu erlangen. Das erfordert höchste Qualität bei der Produktion großer Sprünge. Europameister, Olympiasieger und Hallenweltrekordler (2,39 Meter) ist er schon.
Was aus dem Hochsprung, wenn er professionell betrieben wird, herauszuholen ist, erfuhr die Branche spätestens 1977, als das Finanzamt dem ersten 2,30-Meter-Springer Dwight Stones aus den USA eine Nachzahlung von 50 000 Dollar abverlangte.
Mögenburg hatte jedenfalls 1979 wegen dem bevorstehenden Olympia in Moskau vor dem Abitur die Schule verlassen. Darüber ist er immer noch »auf mich selber sauer«, und nicht nur wegen des Boykotts. Vielleicht trachtet Siegertyp Mögenburg gar unterschwellig, diese Niederlage durch immer höhere Hüpfer auszugleichen. Nach einem Praktikum bei Bayer Leverkusen wechselte er 1982 zum ASV Köln und konzentrierte sich auf die Hochspringerei.
Mögenburgs Einkünfte stiegen seither sprunghaft an. Geld fließt von der Sporthilfe, die seinen Olympiasieg mit 15 000 Mark honorierte, und von der Sportartikelfirma adidas. Die Konkurrenz zwischen dem ehemaligen Zehnkampf-Europameister Werner von Moltke (adidas)
und seiner geschiedenen Frau Margitta (Puma) mag das Werbehonorar in die Höhe getrieben haben. Mit Moltke-Tochter Astrid lebt Mögenburg zusammen.
Bei internationalen Sportfesten, von denen er im Jahr locker ein Dutzend bestreitet, beträgt sein Startgeld wenigstens 10 000 Mark. Nach dem Gewinn der Goldmedaille in Los Angeles sprang er in drei Wochen fünfmal über 2,30 Meter und mehr. »Das muß doch auch honoriert werden«, fand er, als er in Zürich für weniger auftreten sollte. Er blieb weg.
Aber beim Abschiedssportfest des Mittelstrecklers Mike Boit aus Kenia in Nairobi will Mögenburg auch umsonst floppen und anschließend das Land erkunden. Einblicke in fremde Kulturen reizen ihn. Deshalb riskiert er auch eine Niederlage im Auswärtsspiel gegen Zhu in dessen Heimatstadt Schanghai.
Kosten für Fahrten oder Training in warmen Regionen trägt Mögenburg teilweise selber. In Olympia »habe ich 15 000 Mark investiert«, rechnete er vor. Als sich im vorolympischen Trainingslager Irvine Athleten und Funktionäre um einige bereitgestellte Audis kabbelten, mietete er zu seiner Unabhängigkeit einen großräumigen Ami-Schlitten auf eigene Rechnung.
Hochspringer haben einen ungewöhnlichen Beruf. Thränhardt etwa empfindet es als »wahnsinnig«, 2,30 Meter zu überqueren, es sei manchmal »wie ein Orgasmus«. Aber bei solchen Höhen droht ständig Verletzungsgefahr. Der Flop beansprucht durch die abrupte Drehung vom Vorwärts-Anlauf in den Rückwärts-Sprung Fuß und Fußgelenk übermäßig. Auch Mögenburg litt lange unter Fußverletzungen.
Im Training variieren die Topspringer zwischen 400 und 1000 Sprüngen pro Woche, sie stemmen täglich bis zu 40 Tonnen, üben Sprints und joggen längere Strecken. Mögenburg beginnt die schweißtreibende Arbeit, wohl als einziger, mit einer Stunde Gymnastik. In New York fiel ihm während des Musicals »Cats« die Beweglichkeit der Tänzerinnen auf. »Davon kann ich profitieren«, befand er und will Ballettunterricht in sein Programm aufnehmen.
Am meisten setzt Hochspringern der Streß zu. Einerseits: Ohne kräftigen Adrenalinstoß überfliegt keiner Rekordhöhen. Andererseits: Erwartungsdruck und Versagensängste vor den Fans im Stadion und Millionen TV-Guckern hemmen oft im entscheidenden Augenblick. Mögenburg siegte am sichersten aus der Warteposition gegen andere Favoriten; so war es im Alter von 17 Jahren im Europacup und zuletzt beim Olympia in Los Angeles. Nur einmal, bei der WM 1983 in Helsinki, floppte er selber als Favorit: Er wurde Vierter.
Bis dahin, sagt er, habe er im Hochsprung »nur gespielt«. Den Hallenweltrekord sprang er jüngst »mit dem Rücken zur Wand«. Er selber hatte das Springer-Festival in der Halle des ASV Köln angekurbelt. Er half bei der Organisation, betreute bulgarische Gäste, sorgte für Werbung und Tombola-Gewinne. Die »Welt« verglich seinen Alltag mit der Arbeit »eines Top-Managers«.
Trotz Konkurrenz durch die Live-Übertragung des Fußball-Länderspiels Portugal gegen Beckenbauers Mannschaft und des Eishockey-Endrundenspiels Düsseldorf gegen Köln füllten am letzten Februar-Sonntag 600 Zuschauer alle Hallenplätze. An der Bande plakatierten 13 Firmen ihre Produkte, 23 Anzeigenseiten im Programmheft trugen zum wirtschaftlichen Erfolg bei.
Doch die Produktion der Gegenleistung stockte, die versprochenen und erwarteten Höhen blieben aus. Die Siegerin im Frauenwettbewerb schaffte nur 1,88 Meter. Mögenburg fand sich nach 2,24 Meter allein mit der Latte und den Ansprüchen der Fans.
Er hatte am Freitag zuvor nach Sjöbergs Weltrekordsprung (2,38 Meter) nicht mehr kontern können, am Sonnabend fünf Stunden im Smoking bei der Verleihung der »Goldenen Kamera« ausgeharrt, nachts nur fünf Stunden geschlafen.
Dennoch glückten ihm 2,30 und 2,35 Meter jeweils im ersten Anlauf. Er ließ die neue Rekordhöhe von 2,39 Meter auflegen und überwand sie im dritten Versuch. Dann griff Mögenburg nach dem Mikrophon des Hallensprechers und entschuldigte sich beim Publikum, daß er »zu kaputt« sei, um sich auch noch an den 2,40 Meter zu versuchen.
Sjöberg und Mögenburg schreiben Experten das größte Potential aller Rekordanwärter zu: Der Schwede übersprang seine Körpergröße von 1,99 Meter um 39 Zentimeter, Mögenburg seine 2,01 Meter erst um 38 Zentimeter. Zum Vergleich: Der Amerikaner Franklin Jacobs (1,74 Meter) hat sich selber schon um 58 Zentimeter übertroffen.
Am 16. Juni in Eberstadt könnte die nächste Grenze fallen. »Wir brauchen nur schönes Wetter«, wünschte sich Veranstalter Peter Schramm, »dann springt einer 2,40 Meter.« Mögenburg bereitet sich vorher sechs Wochen in Kalifornien vor.
Beim Sportpressefest in Kiel hat er sogar schon 2,45 Meter bezwungen - von einem Sprungbrett, um sich »an größere Höhen zu gewöhnen«. _(Beim Hochsprung-Festival am 24. Februar ) _(in Köln. ) _(Beim Hochsprung-Festival am 24. Februar ) _(in Köln. )
Beim Hochsprung-Festival am 24. Februar in Köln.Beim Hochsprung-Festival am 24. Februar in Köln.