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Jubler willkommen

An der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 nehmen 16 Mannschaften aus vier Kontinenten teil -- keineswegs nur die besten.
aus DER SPIEGEL 1/1974

Für die Favoriten beginnt der Ersatzkrieg um die Fußball-Weltmeisterschaft 1974 erst im Juni. Drei Länder feiern schon die Teilnahme als größten Triumph der Fußball-Geschichte.

So brandete kurz vor Weihnachten in Haiti karnevalsgleicher Jubel an Hütten und Palästen: Die Kicker des kümmernden 5,1 -Millionen-Volkes (jährliches Pro- Kopf-Einkommen: 120 Dollar) mit der rekordnahen Analphabeten-Quote von 90 Prozent hatten sich zwischen den Aleuten und der Karibik für die WM qualifiziert -- dank ihres Heimvorteils.

Das entscheidende Turnier fand in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince statt. Proteste der mexikanischen Favoriten gegen die einheimischen Fans, die sie unter den Augen der Polizei belästigten und bedrohten, verhallten ungehört. Mexiko besiegte zwar den Gastgeber Haiti, war jedoch zuvor von Trinidad besiegt worden. Trinidad wiederum erzielte gegen Haiti fünf Tore. Aber der Schiedsrichter erkannte nur eines an: 2:1 für Haiti. Diktator Jean-Claude ("Baby Doc") Duvalier, 22, finanziert das seinem Ansehen bislang zuträglichste Unternehmen.

Der wichtigste Fan eines anderen Außenseiters, Zaires Staatspräsident Mobutu, setzte als Lohn für die WM-Qualifikation seiner Mannschaft Prämien aus, mit denen die künftigen Weltmeister kaum rechnen dürfen: Ferien in Übersee, Auto und Haus. Schon zur Auslosung der vier Vorrunden-Gruppen des WM-Turniers war auch das Scheitern eines dritten Fußballzwerges, Australien, in der ersten Runde vorprogrammiert.

Im Zwist zwischen dem Anspruch auf Universalität und sportlicher Chancengleichheit muß der Fußball-Weltverband (Fifa) seine halbstarken Mitglieder gleicher behandeln als die großen Fußballmächte. Von 144 Fifa-Mitgliedern bewarben sich 91 um die WM-Teilnahme. Da das Gastgeber-Land und der letzte Weltmeister von Qualifikations-Spielen befreit sind, konnten sich nur noch 14 National-Equipen qualifizieren -- etwa jede sechste.

Die spielstärksten Mannschaften gibt es in Südamerika und Europa. In den Qualifikations-Runden müssen sie sich gegenseitig aus dem Wettbewerb boxen: Der einstige Olympiasieger und Vizeweltmeister Ungarn schied gegen den WM-Zweiten von 1958. Schweden. aus. England, der Weltmeister von 1966, scheiterte an Polen. dem Olympiasieger von 1972.

Aber kein Kontinent soll abseits stehen, auch wenn seine Kicker das große Fußball-Abc noch nicht beherrschen. Deshalb räumt die Fifa, in der El Salvador (3000 Kicker) wie der Deutsche Fußball-Bund (drei Millionen Mitglieder) gleiches Stimmrecht genießen, der weiten Welt außerhalb Europas und Südamerikas-drei WM -Freiplätze ein.

Selten haben Fußball-Entwicklungsländer beim eigentlichen WM-Turnier Kicker-Weltmächte zu erschüttern vermocht. Insgeheim hoffen die Veranstalter auf überrumpelungs-Manöver: 1950 kickte das mit Spielern europäischer Herkunft durchsetzte US-Team die englischen Favoriten aus dem Turnier.

Bei der Weltmeisterschaft 1966 in England hatte das Mitgefühl der Experten besonders dem Militär-Kollektiv aus Nordkorea gegolten. Statt Probespiele gegen Spitzenmannschaften auszutragen, hatten sich die Nordkoreaner optisch geschult: an Filmen von den Spielen der Weltbesten. Ex-Weltmeister Italien geriet während der lästigen Pflichtübung gegen den Fußball-Underdog in Rückstand. Nordkorea verteidigte seinen 1:0-Vorsprung; Italien schied in der Vorrunde aus. Teamchef Edmondo Fabbri traute sich erst Wochen später zurück -- inkognito.

in Mexiko führte Afrikas Fußball-Vertreter Marokko 1970 gegen die Bundesrepublik lange 1:0. Erst zum Schluß wendeten die Deutschen eine Blamage ab. Außenseiter Israel erkämpfte gegen Schweden und Italien sogar Unentschieden. »Wir kopieren die Sturmmethoden unserer Armee«, versicherte Torschütze Mordechai Spiegler.

Doch gewöhnlich schieden die Gäste aus den Fußball-Entwicklungsländern vor nahezu leeren Tribünen aus. El Salvador. dessen Qualifikations-Spiel gegen Honduras einen Schießkrieg mit 1000 Toten ausgelöst hatte, bezog 1970 in Mexiko ausschließlich Niederlagen. Die mit 400 000 Mark aus der Staatskasse finanzierte Expedition aus El Salvador feierte im Motel »Maria Barbara« bei Mexico City dennoch ausgelassen ihre Teilnahme.

Immerhin hatte El Salvador dem WM-Veranstalter Mexiko ungefähr 10 000 Fußball-Fans zugeführt. Dagegen dürfen die Organisatoren des Deutschen Fußball-Bundes nicht mit Scharen zahlungskräftiger Jubler aus Haiti, Zaïre oder Australien rechnen. Im Gegenteil: Nach Englands Scheitern wird die erwartete Invasion aus Großbritannien ausbleiben. Auch Österreichs Ausscheiden bewirkt vermutlich ein Zuschauer-Minus

Um die Einnahmen zu erhöhen, modelte die Fifa schon den WM-Spielplan um: Statt wie bisher 32 finden in diesem Jahr 38 WM-Spiele statt. Aus Eintrittsgeldern hoffen die Organisatoren 30 Millionen Mark einzunehmen.

An der Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien, das steht schon fest, werden noch mehr Außenseiter teilnehmen. Die Fifa erweitert das Endrundenfeld auf 20 Mannschaften. Für 1982 verlangen einige Länder schon 24 Teilnehmer.

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