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Kampf der Konzerne

aus DER SPIEGEL 10/1991

Seinen Ruf als »Motoren-Papst« hat sich der Chef der Porsche-Rennmotorenentwicklung, Hans Mezger, redlich erworben. Sein bestes Stück, ein Turboaggregat für das Formel-1-Team McLaren, gewann drei Weltmeistertitel in Folge.

Am kommenden Wochenende, beim Auftakt der Grand-Prix-Saison in Phoenix (Arizona), wird das neueste Mezger-Produkt Premiere feiern. Doch an Siege verschwendet der erfahrene Ingenieur diesmal keinen Gedanken: »1991 wird für uns ein reines Lernjahr.«

Die Skepsis im Hause der erfolgsverwöhnten Sportwagenschmiede ist angebracht. Porsche, das sich 1987 aus der Formel 1 zurückgezogen hatte, rüstet diesmal nur das englische Außenseiterteam Footwork mit Motoren aus.

Zudem fällt das Comeback in eine Zeit härtester Konkurrenz. Die Zuffenhausener treffen auf sieben Weltkonzerne, die bei der Weltmeisterschaft an den Start gehen: Ferrari nutzt die Manpower von Fiat, Williams fährt mit Renault-Motoren, Honda beliefert McLaren und Tyrrell, auch Yamaha und Suzuki versuchen ihr Glück. Ford hat das englische Benetton-Team unter Kontrolle, Chrysler schickt seine europäische Tochter Lamborghini ins Rennen.

Allen wachsenden Verkehrs- und Energieproblemen zum Trotz beschäftigen sich Stabsabteilungen der Automobilwerke von Japan bis Italien damit, Motoren zu konstruieren, die saufen, lärmen und stinken dürfen - und nur 300 Kilometer halten müssen. Dabei spielt Geld eine ebenso untergeordnete Rolle wie der im automobilen Alltag zu nutzende technische Fortschritt: Bei Ferrari sind 300 Ingenieure und Mechaniker allen Ernstes damit ausgelastet, zwei möglichst schnelle Autos zu bauen - die aber den Luftwiderstandsbeiwert eines Lieferwagens haben.

Angesichts solcher Millionen verschlingender Unvernunft und rabiater Wildwest-Methoden der Branche hielten sich viele Firmen lange zurück. Doch der immer härter werdende Absatzkampf auf dem Automarkt, sagt Fords Motorsport-Direktor Michael Kranefuß (siehe Seite 228), machte die Konzerne wieder einem Argument des Motorsport-Weltverbandes und ihres Formel-1-Maklers Bernie Ecclestone zugänglich: Die 16 WM-Rennen würden von insgesamt 17 Milliarden Fernsehzuschauern verfolgt. Und eine Grand-Prix-Saison, argumentiert Renault-Manager Bernard Casin, sei nicht teurer »als eine zehntägige Werbekampagne«.

Da scheint es durchaus profitabel, auf diesem Feld Wettbewerbsfähigkeit zu demonstrieren, so, als stecke in jedem Fiat Panda das Herz eines Ferrari. Das Rennen um die Reputation kostet Spitzenteams wie McLaren oder Ferrari über 100 Millionen Dollar, selbst drittklassige Teilnehmer wie der französische Ligier-Rennstall veranschlagen 40 Millionen Dollar.

Experten sehen indes im Boomjahr 1991 den Vorabend einer Baisse. Der Glanz, der mit den großen Automobilwerken scheinbar wieder in die Formel 1 zurückgekehrt ist, kann die Probleme nicht kaschieren: Der Motorenzirkus bleibt eine einzige riesige Geldvernichtungsmaschine.

So sollte das Verbot der Turbomotoren eigentlich die Kosten reduzieren und die Sicherheit erhöhen. Doch Ferrari kalkuliert inzwischen für einen einzigen seiner über 700 PS starken Zwölfzylinder-Saugmotoren Produktionskosten von einer halben Million Mark. Auch die Inflation der Geschwindigkeit hält dank neuer Reifenmischungen unvermindert an. In Vollgaskurven zerren in diesem Jahr wieder bis zu 5g an den Nackenmuskeln der Piloten.

Die siegbringenden Zehntelsekunden werden immer häufiger über teures High-Tech geschunden: Automatische Getriebe und elektronisch geregelte Radaufhängungen sind der neueste Schrei, Gelenkwellen aus Titan und Überstunden im Windkanal gelten als Standard. Der Aufwand, sagt ein Formel-1-Teamchef, werde so weit getrieben, daß die Konstrukteure »ihre Autos selber nicht mehr verstehen«.

Ferrari glich im Vorjahr ein leichtes PS-Defizit gegenüber Honda durch chemische Zusätze im Benzin aus. Der Leistungsgewinn von rund 40 PS verteuerte den Sprit auf 300 Dollar pro Liter und schadete der Gesundheit: Die Fahrer klagten über Augenbrennen, bei Testfahrten in Estoril wurde ein Ferrari-Mechaniker mit Atembeschwerden ins Hospital eingeliefert. Daß ein roter Rennwagen vor ihm fahre, verrät der belgische Pilot Thierry Boutsen, spüre er schon aus einem Kilometer Entfernung: »Ferraris erkennt man am Geruch.«

Der Rüstungswettlauf fordert inzwischen erste Opfer. Keines der Teams aus den hinteren Startreihen weiß beim Auftakt in Phoenix, wovon es beim Finale im Herbst in Australien die Löhne bezahlen soll. Denn die weltweit drohende Rezession und die Golfkrise schlagen auch in den Formel-1-Etats Lücken. Japanische Investoren, die in den letzten Jahren die Rennställe mit einst billig aufgenommenem Kapital finanziert hatten, stöhnen unter der Last der mehr als verdoppelten Zinsen.

Vor allem bei den Kleinen geht der Frust um - die Schere öffnet sich immer weiter. Im Vorjahr kassierten die vier besten Teams 359 der 400 WM-Punkte. Wer technologisch nicht mithalten kann, fährt hinterher, kommt nicht ins Fernsehen, findet keine Sponsoren - eine Spirale, die unweigerlich in die Pleite führt.

Die Zurückhaltung der werbetreibenden Wirtschaft trifft aber auch schon die Elite. Bei Williams/Renault, das im Vorjahr immerhin zwei Rennen gewann, ist noch ein halber Quadratmeter auf dem Rennwagen frei. Die Forderung von sechs Millionen Dollar hat bisher alle Interessenten abgeschreckt.

Substantielle Verluste aber müßte die Branche erwarten, wenn die EG-Kommission ein generelles Werbeverbot für die Tabakindustrie ab 1993 durchsetzt. Fallen Marlboro, Camel oder Gitanes als Geldgeber aus, erwartet Kranefuß ein »Gesundschrumpfen um 50 Prozent der Budgets«. Denn »für Kekse« werde niemand so viele Werbegelder aufbringen wie für Zigaretten. Und auch für die Autoindustrie, die jährlich 1,4 Milliarden Dollar in den weltweiten Rennsport investiert, sei »die Grenze erreicht«.

Dagegen steigen die Fahrergagen, den Gesetzen des Marktes folgend, in immer neue Dimensionen. Der Grund ist simpel: Jeder Konzern will gewinnen, dazu benötigt er einen der schnellsten Fahrer. Ein Unternehmen wie Renault, das rund 50 Millionen Dollar ausgibt, um beim Kunden Eindruck zu schinden, wird beim Gehalt des wichtigsten Mitarbeiters nicht knausern. Da es aber inzwischen mehr Top-Autos als Top-Fahrer gibt, konnte Weltmeister Ayrton Senna sein Einkommen auf rund 16 Millionen Dollar pro Jahr schrauben.

Die Formel 1, urteilt Sport Auto, stehe »kurz vor dem Kollaps«. Der große Run der Automobilhersteller auf die Formel-1-Rennerei wird langfristig sogar kontraproduktiv wirken, da sich die Millionen-Investitionen in den Vorstandsetagen nur mit Erfolgsmeldungen rechtfertigen lassen. Wenn aber acht Konzerne um den Sieg kämpfen, gibt es bei jedem Rennen sieben Verlierer.

Diese Aussicht könnte auch den Daimler-Benz-Vorstand beeinflussen, der im Frühjahr über ein mögliches Formel-1-Engagement ab 1993 entscheiden will.

Über Jahre wehrte sich das auf seinen guten Ruf bedachte Industrieunternehmen, in die anrüchige, vom ehemaligen Gebrauchtwagenhändler Ecclestone geführte Branche einzusteigen. Die Bemühungen der Schwaben, über die Sportwagenklasse international zu reüssieren, kommentierte der Brite hämisch: »Mercedes sollte Erste Klasse und nicht Touristenklasse buchen.«

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