FUSSBALL / SCHOTTLAND-SPIEL Karten bei Annette
Heiße Ware übernahm Fußball-Funktionär Hermann Joch am 27. Juli in der Druckerei Hornberger zu Waldfischbach: 71 925 Eintrittskarten -die wertvollsten, die der Deutsche Fußball-Bund (DFB) jemals drucken ließ.
Die Karten sichern Schau-Plätze beim größten Fußball-Spektakel des Jahres am Mittwoch dieser Woche im Hamburger Volksparkstadion. Die bundesdeutsche National-Equipe will sich gegen Schottland den Weg zur Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko freischießen.
»Wir könnten 500 000 Plätze füllen«, verriet DFB-Generalsekretär Hans Paßlack. Trotz der angekündigten Live-Übertragung im Fernsehen waren sämtliche Karten schon ausgebucht, bevor sie noch gedruckt worden waren (Selbstkosten: 4000 Mark). Sie brachten eine Rekordeinnahme von 860 000 Mark. Den wirklichen Umsatz steigerten Schwarzhändler auf mehr als eine Million Mark.
Die Polizei erwartet zum Fußball-Oktoberfest 25 000 Autos -- aneinandergereiht eine Schlange von Hamburg bis Hannover. in der Pause zur Halbzeit und nach Spielende befürchten alle deutschen Wasser- und Elektrizitätswerke kritische Viertelstunden. Vom Kickerkampf im Fernsehen erregt, knipsen die Fans millionenweise Lichtschalter an, besetzen Toiletten, öffnen Wasserhähne und reißen Kühlschränke auf. Im Fall eines deutschen Sieges schließen Energieexperten sogar Versorgungspannen nicht aus.
Das Seewetteramt Hamburg diente sogar eine frühzeitige Wettervorhersage für den 22. Oktober an: wechselhaft und kühl, aber überwiegend niederschlagsfrei.
Den DFB in Frankfurt hatte die erste Kartenbestellung anderthalb Jahre vor dem Spiel erreicht. Ein Hamburger wünschte sechs Tribünenkarten. Als die Warteliste wuchs, tüftelten die Fußball-Planer einen komplizierten Verteilerschlüssel aus. 500 Plätze reservierten sie Ehrengästen wie etwa dem designierten Verteidigungsminister Helmut Schmidt.
Aus dem Kontingent der 300 Pressekarten beanspruchen ausländische Reporter ein Drittel; ein Brasilianer verlangte nach südamerikanischer Sitte drei Frei-Billetts -- für sich und seine Familie. Sogar die Tageszeitung »Cumhuriyet« aus Ankara entsandte einen Berichterstatter. Mehr als 46 000 Tickets mischten die DFB-Kartengeber unter die Landesverbände. Bevor die Karten in den Handel gelangten, kletterten die Fußball-Aktien (offizielle Preise: 6,60 bis 30 Mark) auf das Zehnfache. DFB-Drucker Gerd Hornberger, ein früherer deutscher Sprintmeister, fertigte Länderspielkarten erstmals im Hochformat. Außerdem verwandte er eine besondere Papierart und neue Wasserzeichen. Mustersätze erhielt die Hamburger Kriminalpolizei. Die Druckplatten wurden vernichtet.
Direkt aus der pfälzischen Dorfdruckerei versandte Verteiler Joch das Gros der Karten als Expreßgut, Luftfracht und Wertpaket. Nur 11 000 schaffte er in die DFB-Zentrale. Dennoch tauchten rasch in bundesdeutschen Zeitungen Anzeigen auf, in denen Karten für das Schottlandspiel angeboten wurden. Joch wunderte sich: »Ich glaube nicht, daß Leute für eine mehr als 100 Mark zahlen.«
Sie zahlten. Ein Berliner Handelsvertreter bot sie zwischen 50 und 800 Mark an. Während in Hamburg Fans eine Nacht an Vorverkaufskassen Schlange standen, verlangten Schwarzhändler 60 Mark für einen Stehplatz, 150 für das billigste Tribünenticket. »Es besteht kein Mangel«, verriet ein Kartenhändler. »Ich habe noch ein gutes Sortiment.«
Zwei Hamburger trieb die Platzangst per Flugzeug nach Glasgow« wo sie aus dem Kontingent des schottischen Fußballverbandes acht Karten zurückkauften. Um Zuschauer anzulocken, verloste der Hamburger Amateurverein Altona 93 vor einem Meisterschaftsspiel fünf Länderspielbilletts. Doppelt soviel Zuschauer als sonst passierten die Kassenhäuschen.
Als der Bönningstedter Firma Görtz & Maske Facharbeiter fehlten, köderte sie Spitzendreher mit Fußballkarten. Der Hamburger Klub »Bei Annette« lockte Gäste mit dem Hinweis an, daß zum Schoppen Fußballkarten versteigert würden.
Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen befürchtet der DFB, daß viele Zuschauer mit illegal gedruckten Karten ins Stadion eindringen. 600 Polizisten und Kriminalbeamte überwachen die Zugänge. 460 Ordner kontrollieren Karten. Zehn Ärzte und 190 Sanitäter sind im Einsatz.
Vier Gastronomen bewirten die Zuschauer mit 24 000 Flaschen Bier, 10 000 Flaschen Limonade und 30 000 Würstchen. Der ehemalige HSV-Torwart Walter Warning serviert beiden Mannschaften den Pausentee.
»Gott gnade dieser Stadt«, orakelte das »Hamburger Abendblatt«, »wenn Deutschland verliert.«