Schach Kasse oder Klima
Die bislang teuerste Schachpartie der Welt erscheint dem amerikanischen Großmeister Robert ("Bobby") Fischer noch zu billig. Im Juni sollte er als Herausforderer gegen den russischen Weltmeister Boris Wassiljewitsch Spasski spielen. Preisgeld: 138 000 Dollar.
Doch Fischer, 29, beschränkte das Wettziehen nicht nur auf die 64 Felder des Schachbretts. Seit Wochen überzog er Funktionäre, Veranstalter und vor allem Gegenspieler Spasski, 35, mit einem Nervenkrieg. Monatelang feilschte er um Austragungsorte, Gagen und Termine.
So erreichte Fischer, Sproß eines deutschstämmigen Physikers und jüdischen Glaubens, daß keine der höchstens 24 Partien sonnabends, am Sabbath, gespielt werden müsse. Dann erwirkte er, daß in seinem Hotel kein Russe, vor allem aber nicht Spasski, einquartiert werden dürfe. Ein Lehrbuch des Weltmeisters Spasski in rotem Samt verulkte er: »Dieses große rote Buch unterscheidet sich von der Fibel des Vorsitzenden Mao nur dadurch, daß jene kleiner ist.«
Fischers Geringschätzigkeit reizte die Moskauer Nachrichtenagentur »Tass« zur Rüge: »Sein Streben nach Dollars hat seinen Blick für die Fairneß getrübt.« Und UdSSR-Schachchef Wiktor Baturinski wetterte: »Die sowjetischen Schachspieler haben immer wieder Rücksicht auf Fischers religiös bedingte Schwierigkeiten und andere Gewohnheiten genommen, die oft einen Bruch der im Schachsport bestehenden Gesetze bedeuteten.«
Die Rivalität mit den Russen pflegt Fischer ("Ich schlage alle Russen") seit je. Schon vor zehn Jahren schrieb er: »Die Russen haben das Weltschach derart unter Kontrolle, daß es keinen ehrlichen Wettbewerb um die Weltmeisterschaft mehr geben kann.«
Damals beteiligten sich am Kandidaten-Turnier, dessen Sieger den Weltmeister herausfordern durfte, unter acht Spielern fünf Russen. Sie spielten untereinander fast immer unentschieden, was jedem einen halben Punkt einbrachte. Saß einer aber einem Nicht-Russen gegenüber, pflegten die Sowjet-Kiebitze den Landsmann zu beraten.
Fischer vermochte den Russen-Riegel zunächst nicht zu durchbrechen. 1962 wurde er Vierter -- hinter drei Russen. Befragt, was er als 19jähriger bei diesem Turnier gelernt habe, antwortete Fischer: »An keinem mehr teilzunehmen.«
1963 änderte der Weltverband (Fide) das Reglement. Künftig wurde nach dem sogenannten K.-o.-System gespielt: der Sieger gelangt eine Runde weiter, der Verlierer scheidet aus.
Nun reizte es auch Fischer wieder, den Russen die Weltmeisterschaft abzujagen. Bedacht verärgerte er sie durch Bosheiten. Als er in Vancouver gegen den Pianisten Mark Taimanow zu spielen hatte, wechselte er das Hotel, sobald er dort dem ersten Russen begegnete.
Auch im Endkampf um das Recht, den Weltmeister Spasski herauszufordern, verließ er die gemeinsame Unterkunft, als er
im Lift zufällig auf seinen Gegner Tigran Petrosian stieß und mit ihm 18 Stockwerke tief ins Erdgeschoß fahren mußte. Am Brett jedoch blieb er Sieger. Erstmals nach 24 Jahren hatte ein Nichtrusse das Finale erreicht.
Um die Austragung des Titelkampfes bewarben sich 15 Städte. Weltmeister Spasski aus Leningrad wünschte in Nordeuropa zu spielen, »des Klimas wegen«. Fischers erste Frage lautete: »Wie hoch sind die Preise -- für mich ist in erster Linie das Geld wichtig.«
Spasski zog es besonders nach Reykjavik, Islands Hauptstadt. Fischer entschied sich für Belgrad, das mit 152 000 Dollar die höchste Kampfbörse zugesichert hatte. Reykjavik wollte 125 000 Dollar aussetzen.
Der Weltverband schlichtete: Erstmals sollte in zwei Städten gespielt werden; die ersten zwölf Partien in Belgrad, die restlichen auf Island. 138 500 Dollar sollten beide Städte zur Hälfte aufbringen, dem Sieger davon 62,5 Prozent zufallen. Fischers Manager Edmund Edmonson stimmte der Vereinbarung zu. Fischer setzte ihn ab und verhandelte selbst.
Nun jagten Telegramme über den Ozean. Die Fide stellte Fischer ein Ultimatum: Zusage oder Sperre. Vorsichtshalber nominierte der Verband Petrosjan als Ersatzmann. Da kabelte Fischer: »Einverstanden, auch mit Belgrad und Reykjavik.
Nun verlangte er zusätzlich zum Preisgeld eine Gewinnbeteiligung. Da stellten die Belgrader Organisatoren, ein Schachmagazin sowie die »Export- und Kreditbank«, Fischer im Gegenangriff in der letzten Woche ein Ultimatum: Er sollte 35 000 Dollar Kaution einzahlen.
»Wenn er keine Sicherheit stellt«, drohte Mitorganisator Milivoje Molerovic, »ist es endgültig vorbei.«